Dmitri Schostakowitsch und Jimi Hendrix – diese beiden Namen werden wohl eher selten in einem Atemzug genannt. Der umtriebige Cellist Jan Vogler setzt sie – zusammen mit dem New Yorker Orchester „The Knights“ – auf seiner neuen CD zueiander in Beziehung. Mit Erfolg, so unser Autor Michael Ernst, der die Scheibe für nmz Online vorstellt:
Dmitri Schostakowitsch hat viel Lebens- und Schaffenszeit in purer Existenzangst verbracht. Stalins Schergen spielten böse Spiele mit dem Komponisten, der Diktator persönlich äußerte sich nach einem Besuch der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ höchst ablehnend in der Prawda („Chaos statt Musik“); angeblich ist der 1906 in Sankt Petersburg geborene Komponist seiner Deportation und dem wahrscheinlichen Tod nur dadurch entkommen, dass der damit beauftragte KGB-Mitarbeiter als Hinrichtungskandidat einige Listenplätze weiter oben stand und just an dem Tag abgeholt worden, als er selbst Schostakowitsch festnehmen wollte/sollte. So ist der geschundene Schöpfer unvergesslicher Meisterwerke noch einmal davongekommen und erst 1975, in Moskau, einem Herzinfarkt erlegen.
Jimi Hendrix hielt es nicht so lang. Der Gitarrist und Sänger kam zwar 1942 in Seattle und somit im damals vielleicht freiesten Land der Erde zur Welt, doch er erlag bereits 27-jährig den Verlockungen von Drogen und allzu raschem Lebenskarussell. Im September 1970 starb er nach einem Konzert in London, in seinem Hotelzimmer erstickt am Erbrochenen.
Gemeinsamkeiten? Schostakowitsch, wiewohl KPdSU-Mitglied und Träger diverser staatlicher Auszeichnungen, wurde vom KGB verfolgt. Hendrix, der gewiss kein politischer Künstler war, geriet aufgrund unangepasster Lebensart und vor allem wegen seines offenen Widerspruchs zum Vietnamkrieg auf die (übrigens bis heute unter Verschluss gehaltenen!) Listen von CIA und FBI. Vor allem aber sind beide höchst originäre Künstlerpersönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts gewesen, die jeweils auf ihrem Gebiet Meilensteine aufschichteten. Das macht sie unvergessen.
Und nun, im Frühling des Jahres 2009, sind die beiden so unterschiedsvollen Solitäre des 20. Jahrhunderts erstmals auf einer CD vereint. Das eigentlich Undenkbare hat eine logische Basis, die neben den biografisch riskanten Vergleichbarkeiten auch rein musikalisch zu begründen ist. Schostakowitschs 1960 uraufgeführtes Konzert für Violoncello und Orchester op. 107 endet in ähnlich bizarren Rhythmen wie jenen, von denen Hendrix' „Machine Gun“ aus dem Jahr 1970 durchzogen ist. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich der Cellist Jan Vogler das Wagnis erlaubt, den virtuosen Gitarrenpart für sein Montagnana-Instrument von 1721 transkribieren zu lassen und die beiden wohl eher zufällig ähnlichen Werken mit einer Reihe weiterer Kompositionen des sowjetrussischen Jahrhundertkünstlers zu verbinden. Das sind neben den wohlbekannten Walzern aus Schostakowitschs „Jazz-Suiten“ auch zwei Filmmusiken sowie „Garmoshka“ von Lev „Ljova“ Zhurbin (Jg. 1978), der sich dieses leutselige Stück nicht nur rasch passend zum Kontext einfallen ließ, sondern im übrigen auch die russisch schwermutsvollen Walzer arrangiert hat. Den von Gewehrsalven durchzogenen Hendrix-Song brachte Gitarrist und Film-Komponist Kyle Sanna für Cello und Orchester in Form.
Für was für ein Orchester?! Für „The Knights“, die musikalischsten Ritter aus New York! Die sind in Europa noch weitgehend unbekannt, zählen aber in den USA schon zu den führenden Ensembles, ohne auf Klassik pur festgeschrieben zu sein. In der sogenannten Weltmusik und im Jazz sind sie ebenso spielfreudig und professionell zu Hause. Im Mai eröffnen „The Knights“ die ersten von Jan Vogler als Intendant verantworteten Dresdner Musikfestspiele (die übrigens, welch Koinzidenz, unter dem Motto „Neue Welt“ stehen). Der in New York und Dresden lebende Künstler, er wurde 1964 geboren und wuchs in einer höchst musischen Familie in Ost-Berlin auf, avancierte früh, als 20-Jähriger, zum Kapellmeister der Sächsischen Staatskapelle Dresden und machte sich alsbald auf den Weg einer freiberuflichen Karriere, er hat diese jüngste CD denn auch noch an geschichtsträchtigem Ort eingespielt. Während zweier Konzerte im frisch eröffneten Club „Le Poisson Rouge“, dem vormaligen „Village Gate“, erklangen die Musik und der Jubel des Publikums nämlich just da, wo Jimi Hendrix zahlreiche seiner Auftritte absolvierte.
Als wehte der Geist dieser Stätte bis auf die CD mit dem beziehungsträchtigen Titel „Experience: Live From New York“, so beleben der frenetische Beifall und vor allem die überaus frische Spielweise der jungen Musikerinnen und Musiker von „The Knights“ (musikalische Leitung Eric Jacobsen) diese Scheibe. Der Solist Jan Vogler erweist sich darauf abermals quasi als Sänger. Elegisch lässt er sein Instrument durch die lyrisch emotionsgeladenen Passagen der Walzer schwelgen, ohne in Wiener Glückseligkeit zu verfallen. Packend geht er das im Zentrum des dramaturgisch klug konzipierten Albums stehende Cellokonzert an. Ganz und gar Leidenschaft, ohne je an Virtuosität einzubüßen, ein Perfektionismus, dem nie an Lebendigkeit mangelt.
Geradezu brutal groovend setzt „Machine Gun“ dann den knapp zehnminütigen Schlusspunkt. Orchester und Solist betreiben da keine Verfremdung um ihrer selbst willen, sondern setzen ein Stück rockiger Musikgeschichte neu reflektiert ins Licht von heute. Um den Hendrix'schen Gitarrenpart einem barocken Streichinstrument abzuverlangen, wird spür- und hörbar aufs Ganze gegangen. Ein Schubladenbegriff wie Crossover würde dieses Projekt nur sehr begrenzt beschreiben.