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Leistete Pionierarbeit: Simone Young. Photo: Plakat, Hamburger Staatsoper

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Simone Young: „Für mich sind Geschlecht und Herkunft nicht von Interesse. Man muss Möglichkeiten schaffen“

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Gespräch mit Simone Young, die in diesem Jahr nach Cornelius Meister und Pietari Inkinen bei den diesjährigen Festspielen im Graben das Pult für den Nibelungen „Ring“ übernimmt. Mit der Dirigentin sprach in Bayreuth Joachim Lange.

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Joachim Lange: Frau Young, was ist der „Ring“ für Sie?

Simone Young: Der „Ring“ ist ein Teil von mir. Ich habe schon oft einzelne Teile daraus dirigiert, unter anderem in Berlin, Wien, London, München. Das erste Mal war 1995, „Siegfried“ in Berlin. Das ist inzwischen drei Jahrzehnte her! Mit dem „Ring“ habe ich aber schon vorher beschäftigt, in der Zeit, als ich Pianistin an der Oper in Sidney war. 

An der Staatsoper Hamburg habe ich mit Regisseur Claus Guth einen kompletten „Ring“-Zyklus gemeinsam erarbeitet. Damals war ich hier in Bayreuth, um in den Archiven alle greifbaren Originalquellen zu studieren. Diese Recherchen hatte ich mir akribisch notiert – daher konnte ich jetzt alles schnell wieder auffrischen. 

Eine ziemlich lange Vorbereitung auf Bayreuth könnte man sagen …

Nach diesen vielen Jahren habe ich tatsächlich das Gefühl, dass sich hier in Bayreuth für mich ein Kreis schließt. Meinen ersten kompletten „Ring“ habe ich 1999 dirigiert – mittlerweile habe ich aufgehört, zu zählen. Jedenfalls brauche ich die Partitur nicht neu zu lernen. 

In meiner Karriere bin ich den langen, bewährten Weg gegangen: Klavierspielen, Korrepetieren, Assistieren und endlich selbst dirigieren. Auf diese Weise nähert man sich dem Dirigieren langsam und über einen längeren Zeitraum an.

Was ist das Besondere an Bayreuth für Sie?

Wenn ich mich im Graben umschaue, erkenne ich die Gesichter der Musiker aus München oder Berlin oder Wien, Dresden oder Frankfurt wieder. Das ist sehr schön. Bei den Sängern geht es mir ebenso. Nicht unbedingt beim „Ring“, aber in anderen Wagneropern habe ich mit vielen von Ihnen schon einmal zusammengearbeitet.

Bayreuth ist einfach etwas Besonderes. Man arbeitet die ganze Zeit fokussiert und konzentriert an der Musik. Dazu kommen die Ideen, die Leute von anderen Orten und Ensembles mitbringen. Das ist absolut einmalig, und ich fühle mich sehr wohl mit dem Orchester!

Unter der verdeckte Graben …? 

Ganz neu ist der Bayreuther Graben für mich nicht. Anfang der 90er-Jahre habe ich hier zwei Festspielsommer lang den Kupfer-Barenboim-„Ring“ als Assistentin betreut und auch mehrmals Proben selbst geleitet. Das ist inzwischen dreißig Jahre her!

Die Akustik ist hier tatsächlich anders, sie ist sehr speziell. Es ist das einzige Opernhaus, das ich kenne, in dem die Sänger häufig dem Orchester voraus sind. Der Klang geht erst auf die Bühne und dann in den Saal. Von den anderen Opernhäusern sind die Sänger gewöhnt, dass sie immer leicht „hinterher“ singen.

Man kann im Festspielhaus nichts forcieren, sondern muss den Klang sich entwickeln lassen. Daraus entsteht eine Klangarchitektur. Fast alle Dirigenten, die hier mehrfach dirigiert haben, sind im Laufe der Jahre immer schneller geworden. Das liegt daran, dass man sich an diese sehr spezielle Akustik gewöhnt. 

Reichen die Proben?

Gefühlt ist es wie immer: Man wünscht sich immer eine Probe zusätzlich, egal woran und welchem Opernhaus man arbeitet. Man hat immer das Gefühl: noch eine Probe wäre genau das Richtige. 

Für mich ist es ein Vorteil, dass ich hier im vorletzten und nicht im letzten Jahr dazu gekommen bin. So habe ich die Chance, meine Erfahrungen aus diesem Jahr im nächsten Jahr mit einfließen zu lassen. Insgesamt kann ich aber sagen, dass wir in den Proben, die wir hatten, effektiv gearbeitet haben.

Wann stand denn fest, dass Sie den „Ring“ übernehmen ?

Die Anfrage für das Dirigat kam Ende Oktober, der Vertrag folgte im Januar 2024. Seit Januar habe ich drei Opern und 13 verschiedene Konzertprogramme dirigiert. In Deutschland, in Australien, in den USA und dann wieder hier. Eigentlich hatte ich für Juli zwei Wochen Urlaub und zwei Wochen Konzerte gehabt mit meinem Orchester in Australien geplant. In Sydney musste daher erst einmal ein Ersatz organisiert werden, bevor wir meine Verpflichtung in Bayreuth bekannt geben konnten. 

Ich habe mir hier in der Nähe ein Haus mit einer Terrasse gemietet -man studiert einfach viel leichter auf einer Terrasse mit dem Blick auf den Wald. 

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Wie sieht es aus mit der Inszenierung?

Wenn man als Dirigent zu einer fertigen Produktion dazukommt, trägt man sie mit, nimmt man die Produktion wie sie ist in kauf. Es ist etwas anderes, wenn man mit einem Regisseur von Anfang an gemeinsam eine Konzeption erarbeitet, was ich auch sehr liebe.

Vom Pult aus sehe ich nicht alles, was auf der Bühne passiert. Wenn mir aber ein inszenatorischer Zugang absolut gegen den Strich gehen würde, dann hätte ich Probleme, die Produktion zu machen.

Valentin Schwarz habe ich als hochintelligenten und sehr musikalischen Regisseur kennengelernt. Wir haben interessante, anregende Diskussionen gehabt. Ich schätze ihn als Gesprächspartner sehr und würde gerne einmal mit ihm gemeinsam eine Produktion entwickeln.

Er wird ja Co-Intendant in Weimar – aber das Haus ist für Sie jetzt wahrscheinlich zu klein?

Weimar ist ein Haus mit großer Tradition. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich so viel mehr geschafft habe, als ich je gedacht hätte, so dass ich mir alles vorstellen kann. Ich kann jetzt meine Projekte völlig frei wählen.

Es gibt ein paar Opernhäuser, denen ich mich sehr verbunden fühle. Die Staatsopern in Berlin und Wien. Aber auch die Opera Bastille in Paris. Im letzten Jahr hatte ich mein Debüt an der Mailänder Scala. Zwischen mir und dem Orchester war es Liebe auf den ersten Blick.

Ich bin jetzt 63. Wenn ich fit bleibe, kann ich vielleicht noch 20 Jahre dirigieren. Wenn man zwei Neuproduktionen im Jahr macht, dann sind das schon fünf Monate im Jahr. Das gibt mir die Chance, noch 40 Opernproduktionen neu zu machen. Da muss man sich entscheiden.

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Und Wiederaufnahmen?

Ich mag Wiederaufnahmen sehr, vor allem wenn die Stücke lange gelegen haben und man gute Probenbedingungen hat, um die Produktionen wieder auf die Bühne zu bringen. Dann hat man auch da die Chance, etwas zu kreieren! 

Ein Beispiel ist Lydia Steiers Inszenierung von „La Fanciulla del West“ an der Staatsoper Berlin. Wir hatten drei Wochen Orchesterproben, ein Teil der Sänger war neu. Das war eine richtige Chance und es gab absolut gut Bedingungen. 2021 war die Oper dort in der Pandemiezeit mit reduzierter Orchestrierung einstudiert worden. Und ich habe die originale Puccini-Orchestrierung wieder eingesetzt. Das hat mir richtig Spaß gemacht, ohne dass es wie die „Chowanscht­schina“, die Anfang Juni Premiere hatte, gleich zweieinhalb Monate meines Jahres beansprucht hat.

Hier in Bayreuth bringen wir den Ring in viereinhalb Wochen auf die Bühne – vier Opern nicht eine! Das ist recht sportlich! Man muss die Stücke schon kennen, sonst würde es nicht gehen.

Sie sind die erste Ringdirigentin in den heiligen Hallen – In diesem Jahr stehen drei Frauen und zwei Männer am Pult. Ist das eine Art Durchbruch?

Ausdrücklich stark gemacht für Dirigentinnen habe ich mich nie. Ich bin froh, dass jetzt mehr Frauen dabei sind. Das ja. Es ist aber eher eine natürliche Evolution. Seit den 60er Jahren sind immer mehr Frauen in die Orchester gekommen und dadurch auch zum Dirigieren.

Manchmal bin ich sogar kritisiert worden, weil ich nicht genug für die Kolleginnen getan hätte. Ich gehöre zu der Generation, die die Tür aufgemacht hat. Wir sind durchgegangen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich jetzt die Tür für die anderen aufhalten muss. 

Sie müssen selbst durchkommen.

Selbstverständlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn Joana Mallwitz sagt, dass ihre Karriere ohne mich nicht möglich gewesen wäre. Ob das wahr ist, kann ich nicht sagen. Für mich sind Geschlecht und Herkunft nicht von Interesse. Man muss Möglichkeiten schaffen. Das ja. Aber ich bin absolut gegen die Quoten-Idee. Wenn ich höre, dass man für eine Stelle nur an einer Frau interessiert ist, dann ist das genauso unsinnig, wie die Zeiten, wo eine Frau für eine Position nicht infrage gekommen ist!

Es gab zu den Festspielen tatsächlich Anfragen nach Interviews mit uns drei Dirigentinnen. Das habe ich abgelehnt. Wenn ein gemeinsames Interview stattfinden soll, dann mit allen fünf Dirigenten. Sonst könnte es heißen: Die machen nur Karriere, weil es eine Frauenquote gibt. Da wäre fatal.

Dann brauche ich Sie jetzt gar nicht zu fragen, ob es eine weibliche Art zu dirigieren gibt …

Ich habe keine Ahnung! Mein Dirigieren ist mit der Musik verbunden. Meine Gestik erzeugt einen gewissen Klang. Und das wars. 

Künstler müssen stark und sensibel sein. Es gibt immer noch eine falsche gedankliche Verbindung zwischen stark und männlich und zwischen sensibel und weiblich. Jeder Künstler muss beides in sich vereinen.

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