Ach, was haben wir uns gefreut, nun leider zu früh gefreut: Georges Prêtre sollte zu den diesjährigen Osterfestspielen Salzburg die Sächsische Staatskapelle im Großen Festspielhaus dirigieren. Gemeinsam mit Christian Thielemann und Lorenzo Viotti, so war es geplant, würde der französische Altmeister im April das traditionelle „Konzert für Salzburg“ leiten. Auch Scala-Intendant Alexander Pereira hätte Georges Prêtre gern wieder nach Mailand geholt.
Zu all diesen Vorhaben wird es nun nicht mehr kommen, denn am Nachmittag des 4. Januar ist der Maestro in seinem Château de Vaudricourt im südfranzösischen Navès verstorben. Vorigen Sommer wurde er 92 Jahre alt, erst Anfang 2016 ist er gar noch von ans Pult des Teatro alla Scala geholt worden und wirkte zuletzt im Herbst an einem Konzert der Wiener Symphoniker im Goldenen Saal des Musikvereins mit. Für Schlagzeilen hatte Maestro Prêtre dort schon gesorgt, als er im Jahr 2008 als seinerzeit ältester Dirigent beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker debütiert. Zwei Jahre später hat er diesen Erfolg am ihm besten vertrauten Traditionshaus noch einmal wiederholt.
Selbstredend ist es nicht nur das Alterswerk und der damit verbundene Respekt, womit man Georges Prêtre in Erinnerung behalten wird. Der 1924 in Nordfrankreich geborene Dirigent begann seine musikalische Laufbahn zunächst als Pianist und Trompeter, verdingte sich als Jazztrompeter und ist anfangs gemeinsam mit Künstlern wie Edith Piaf sowie Yves Montand aufgetreten. Dass er sogar zwei Operetten komponiert hat und ursprünglich Komponist werden wollte, ist heute kaum noch bekannt; sicherlich nicht nur, weil er dafür ein Pseudonym verwandte, „Dherian“. 1946 debütierte er mit nur 22 Jahren an der Oper Marseille - und begann eine Weltkarriere, die ihn in zahlreichen Ländern an alle bedeutenden Musiktempel führte. Maßgeblich wirkte Prêtre als Generalmusikdirektor der Opéra National de Paris sowie der Opéra-Comique, Engagements in Chicago, London, Mailand und anderswo folgten. Sein Name ist mit der Wiedereröffnung der Metropolitan Opera New York ebenso verbunden wie mit einem legendären Konzert der Berliner Philharmoniker in der Waldbühne sowie phänomenalen Gastdirigaten sämtlicher großer Orchester weltweit.
Insbesondere die Pflege und Verbreitung französischer Musik betrieb der Magier unter den Dirigenten äußerst verdienstvoll. Sein Repertoire war dennoch reichhaltig, wenngleich er in der Musik der Moderne kaum über Messiaen und Umfeld hinausging; das war ebenso sein Bekenntnis wie der Hinweis auf die durchaus strittige Berufsbezeichnung. Dirigieren klinge für ihn wie Taktschlagen. Das sei ein Thema für die Ausbildungszeit gewesen, am Pult jedoch wollte er nicht nur führen, sondern Orchester und Publikum geradezu verführen. Dazu hat er sich und den Musikern bis fast zuletzt größte Hingabe abverlangt. Als „schönste Musik“ bezeichnete er einmal „die innere Stille“. Zeitlebens vertrat Prêtre die Meinung, Dirigenten sollten nicht Ämter anhäufen, sondern den Orchestern gegenüber Treue beweisen und sich einem Klangkörper möglichst intensiv widmen.
Als Grandseigneur ist Georges Prêtre ein Mann großer Eleganz gewesen. Maria Callas bezeichnete ihn als ihren Lieblingsdirigenten. Gut möglich, dass die Sängerin damit etwas aussprach, was viele Musikerinnen und Musiker in ihrem Herzen empfanden.