Hauptbild
Sachsen unterliegt im Rechtsstreit mit Opernintendant Dorny. Foto: Semperoper, M. Creutziger
Serge Dorny. Foto: © Matthias Creutziger
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ein Intendant, der nicht geht – nmz-Korrespondent Joachim Lange im Gespräch mit Serge Dorny

Publikationsdatum
Body

Die Semperoper in Dresden ist ein Haus mit einer grandiosen Tradition. Weber und Wagner arbeiteten hier. Es ist das Theater mit den meisten Richard Strauss Opern auf seinem Uraufführungskonto. In den späten Jahren der DDR wurde das im Krieg zerstörte Haus wieder aufgebaut und schnell zum Touristenmagneten. Schaut man aus dem Wandelgang vor dem ersten Rang nach draußen, sieht man den schönsten Opernvorplatz der Welt! Elbe-Flutschäden hat man in einem imponierenden Kraftakt schnell wieder beseitigt. Die in dieses Haus gehörende Sächsische Staatskapelle ist ein Orchester, das man immer noch mit vollem Recht mit seinem alten Kosenamen „Wunderharfe“ benennen darf. Und wenn Christian Thielemann den „Rosenkavalier“ oder „Elektra“ dirigiert, dann hat das etwas von einem spätromantischen Hochamt. Dieses Orchester ist das Strauss-Orchester schlechthin.

Intendantin Ulrike Hessler hatte gerade den Weg zurück in die erste Reihe der europäischen Opernhäuser eingeschlagen. Die Verpflichtung von Christian Thielemann als Chefdirigent der Kapelle und deren Etablierung als Nachfolger der Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Osterfestspielen wurden zur Recht als Coup gefeiert. Der plötzliche Tod der Intendantin im Sommer 2012 hinterließ eine Lücke, für die die Findungskommission den Belgier Serge Dorny ausgewählte. Der unterschrieb im September 2013 seinen Vertrag mit vorgesehenem Amstantritt am 1. September 2014. Das weckte Hoffnungen! Der Flame hat in den letzten zwölf Jahren das Opernhaus in Lyon zu einer ernsthaften Konkurrenz für Paris aufgebaut. Als kulturelles Zentrum in einer problembeladenen Stadt, offen für die Jugend, mit einem herausfordernden Programm, das das Publikum akzeptiert und auch die internationale Kritik anlockt. Noch die Pressekonferenz, in der er sich in Dresden vorstellte, verbreitete allseits den Zauber des Neuanfangs. Und zwar für das Haus als Ganzes.

Wenige Monate später rauchen nur noch die Trümmer. Die sächsische Kunstministerin entließ den designierten Intendanten mit vergleichsweise harschen Worten („Um Schaden von der Oper im In- und Ausland abzuwenden, sehen wir zu einer sofortigen Kündigung keine Alternative mehr“) Ende Februar wieder aus seinem Amt, noch bevor der es wirklich angetreten hatte. Dorny widersprach, reichte Klage ein. In Dresden muss mit der Intendantensuche noch einmal von vorne begonnen werden. Noch wichtiger ist, dass man sich klar wird, was die Semperoper eigentlich sein will.

Über die Hintergründe dieses spektakulären Bruchs sprach Joachim Lange letzte Woche mit Serge Dorny.

Das Interview

Joachim Lange: Herr Dorny, wie geht es Ihnen mit Blick auf Dresden?

Serge Dorny: Ich bin schon enttäuscht, dass ich Ideen und Projekte, die ich für die Semperoper entwickelt habe und dort begonnen habe umzusetzen, nicht verwirklichen konnte. Es hat sich aber gezeigt, dass die Mittel dafür einfach nicht da sind.

Meinen Sie das finanziell oder eher strukturell? Man hatte als Beobachter den Eindruck, dass die Rolle der Sächsischen Staatskapelle ganz unterschiedlich beurteilt wurde?

Ich meine die Struktur. Mir ging es darum, an einem Mehrspartenhaus mit Oper, Ballett und Orchester zu arbeiten.

Die Semperoper war für mich eine der Referenz-Institutionen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Man muss aber auch ehrlich sagen, dass sie das schon lange nicht mehr ist. Schaut man nach den wichtigen und  großen Häusern in Deutschland, dann sieht man nach München, nach Frankfurt oder nach Stuttgart. Dresden kommt in dieser Liste leider nicht vor. Man hätte aber das Potenzial, um zu diesen Spitzenhäusern in Deutschland und in Europa zu gehören!

Wegen ihrer Tradition und Struktur?

Die drei Sparten sind das Kapital und ein riesiges Potenzial. Genau hier liegen die Mittel, die man mobilisieren muss, um wieder eine eigene Handschrift des Hauses zu entwickeln. Dabei sollte jede der Sparten die anderen stärken.

Also, dass beispielsweise Dirigenten, die die Staatskapelle dirigieren, auch in der Oper dirigieren würden. Wenn man diese Möglichkeiten nicht wirklich nutzten kann, dann vergibt man sich eine fantastische Chance.

Dem Projekt, das Sie der Findungskommission vorgestellt haben, wurde doch zugestimmt, oder?

Sie können dort gerne nachfragen: ich war vor der Findungskommission und gegenüber dem Verwaltungsrat sehr deutlich, was die Analyse der Institution betrifft. Sowohl was die aus meiner Sicht existierenden Schwachstellen, als auch was das Potenzial betrifft. Dabei schätze ich natürlich vor allem das Orchester sehr.

Man hat diesem Projekt zugestimmt! Als es um den Vertrag und die Kompetenzen des Intendanten ging, habe ich, obwohl alles klar im Vertrag steht, dennoch nachgefragt, ob es neben der geltenden Verwaltungsvorschrift und der Geschäftsordnung  Konflikte mit bestimmten Kompetenzen geben könnte, die an Dritte (also vor allem an Herrn Thielemann) bereits vergeben sind.   In meinem Vertrag gibt es lediglich nur einen Verweis auf seinen.

Kannten Sie den Vertrag von Thielemann?

Auf Nachfrage wurde mir im August mitgeteilt, dass der Vertrag des Chefdirigenten grundsätzlich der Geheimhaltung unterliege, für die notwendigen Abgrenzungen aber die Kenntnis eines entsprechenden Paragrafen in dessen Vertrag ausreiche. 

Da geht es um die rechtzeitige Abstimmung von Terminen zwischen Oper und Kapelle, um Überschneidungen von Spielplan und Konzertkalender zu vermeiden. Und um das Recht des Chefdirigenten im Einvernehmen eine Premiere und eine Wieder-Aufnahmen pro Spielzeit für sich auszuwählen und da auch bei der Auswahl der Sänger und der Regieteams mitzubestimmen. Das ist ganz normal und das akzeptiere ich natürlich auch.

Wo ist es nun zum Bruch gekommen?

Ich will zunächst ganz deutlich sagen, dass ich Herrn Thielemann als Musiker und als Dirigenten sehr schätze. Daran ändert sich auch jetzt nichts. 

Die Sache ist nur die, dass ich ein institutionelles Projekt umsetzen wollte. Entscheidend ist für mich dabei, was für die Institution gut ist. Und zwar jeden Tag und nicht nur ab und zu.

Es hat sich aber gezeigt, dass daran leider nicht alle interessiert waren. Es ist vielleicht menschlich sogar nachvollziehbar, aber mein Eindruck war, dass Herr Thielemann lediglich an seinem Orchester und an seinen Projekten interessiert ist. Und beim Orchester habe ich das Gefühl gehabt, dass sie Oper nur als Pflichtprogramm absolvieren. Ich bin nicht sicher, ob das Orchester wirklich zu dieser Institution gehören will. Und das ist das Problem.

Einige Konfliktfelder

Und für genau für dieses Konfliktfeld gab es keine klaren Regelungen?

Ich kannte den Vertrag von Thielemann am Anfang nicht. Davon habe ich erst erfahren, als ich schon angefangen hatte.  Es ist so, dass das Orchester wie eine autonome Institution organisiert ist. Es ist eigentlich ein Staat im Staate.

Ist das vergleichbar mit Wien?

Die Staatskapelle ist an sich gut und braucht keinen Vergleich. Aber in Wien hat das Orchester juristisch eine separate Struktur. Die Wiener Philharmoniker gehören nicht zur Wiener Staatsoper. In Dresden ist die Staatskapelle aber eine der Sparten. Wenn man das nicht will, muss man die Geschäftsordnung ändern.

Sie meinen also, es gibt eine Praxis, die von dem abweicht, was auf dem Papier steht?

Ja und ich verstehe das alles. Nur hätte man mir das sagen müssen. Von Anfang an.

Es war Hoffnung auf allen Seiten

Es sind ja inzwischen auch böse Worte gefallen von beiden Seiten… Wenn man behauptet, dass ich das Betriebsklima verschlechtert hätte, dann hat sich meine Reaktion darauf doch sehr an den Fakten orientiert. Oder?

Sie können da gerne im Hause nachfragen. Ich habe dort bei den Mitarbeitern jedenfalls eine große Hoffnung gespürt. In den ersten Monaten haben wir wirklich sehr gut zusammen gearbeitet. Plötzlich hat sich das Ballett wieder als wichtiger Teil des Ganzen empfunden. Man war in anderen Bereichen sehr gespannt, als ich über die Pläne gesprochen habe. Es war Hoffnung auf allen Seiten. Wenn jetzt von schlechtem Klima die Rede ist, dann sollte man keine falschen Argumente gebrauchen.

Wenn es heißt, ich hätte der Semperoper international geschadet, dann muss man doch mal nachfragen: Wo? und Womit?

Auf die Probleme, die ich sah, habe ich nur die Ministerin aufmerksam gemacht und ein Mitglied des Verwaltungsrates. Ab und zu habe ich noch mit Herrn Rothe darüber gesprochen. Sonst habe ich mit niemandem darüber gesprochen. Auch anderswo nicht. Wenn man also so etwas sagt, dann muss man auch konkret sein.

Kommen Sie eigentlich zu dem anstehenden Gerichtstermin nach Dresden?

Gegen die Kündigung habe ich eine Klage eingereicht. Wir wollen mal sehen, was jetzt passiert. Das ist jetzt Aufgabe der Anwälte.

Im Kern ist der Bruch also auf unterschiedliche Interpretationen der Kompetenzen des Intendanten zurückzuführen?

Bei meinem letzten Termin mit der Ministerin ging es um meinen Vertrag. Das ist natürlich immer ein Stück Papier, das man mit Leben erfüllen muss.

Er sieht im Kern vor, dass der Intendant die Staatsoper Dresden künstlerisch in eigener Verantwortung und entsprechend der geltenden Verwaltungsvorschriften der  zuständigen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst leitet. Die einzige Einschränkung ist der erwähnte Paragraph, der auf den Vertrag des Chefdirigenten verweist.

Jedenfalls gehören zum Geschäftsbereich des Intendanten der Staatsoper alle Sparten, also eben auch die Sächsische Staatskapelle, das Opernensemble und die Ballettkompanie.

Ja und nein

Und dann hat es im konkreten Planungsprozess nicht funktioniert?

Ja und nein.

Wenn beispielsweise der Chefdirigent das Regieteam mit auswählt, dann fände ich es normal, dass er auch die ganze Serie dirigiert und nicht nur den Anfang. Ansonsten sind das keine gleichberechtigten Bedingungen für die Regie. Und wie will man die Qualität im Repertoire sicherstellen, wenn ein anderer Dirigent ohne Proben die Folge-Vorstellungen übernehmen muss? Das wäre doch eine Oper mit zwei Geschwindigkeiten: eine die alle Mittel hat und eine die keine Mittel hat.

Darauf bekam ich die Antwort: Ich mache das aber so. Punkt.

Aber wenn Herr Thielemann in Wien dirigiert, dann dirigiert er alle Vorstellungen einer Serie. Ich frage Sie: Warum soll man als Chefdirigent in seinem eigenen Haus weniger Verantwortung für eine Produktion haben?

Außerdem wollte ich Dirigenten einladen, die auch daran interessiert sind, das Orchester im Konzert zu dirigieren. Als es konkret wurde, kam jetzt auf einmal die klare Antwort, dass die künstlerische Planung der Staatskapelle allein in den Händen des Chefdirigenten, des Orchestervorstands und des Orchesterdirektors liegt. Das betrifft den gesamten Konzertbereich. Das schließt die Tourneen, die Auswahl von Gastdirigenten und die Festlegung der Konzertprogramme ein. Zugesagt wurde nur die Unterstützung bei dem Versuch, einen Dirigenten der Kapelle dazu zu bewegen, Vorstellungen im Orchestergraben zu übernehmen.

Ein zweites Beispiel ist die Kommunikation. Es gibt in der Semperoper kein Jahres-Buch über die Aktivitäten aller Sparten. Ich finde es aber wichtig, dass man die Oper als Drei-Spartenhaus präsentiert also einschließlich der Staatskapelle ist. Das unterscheidet die Semperoper von anderen Häusern. Hinzu kommt, dass die Konzerte der Staatskapelle in der Semperoper stattfinden und nicht in einem anderen Haus. Ich habe versucht, diesen Mix nach außen deutlich zu machen. Auch das war unmöglich.

Wenn man also genau hinschaut, dann gibt es den Posten des Intendanten gar nicht. Es gibt nur den Posten eines Operndirektors für die Projekte, die Thielemann nicht macht. Und das war nicht das, was ich mir vorgestellt habe und was man mir erklärt hat.

Ein anonymer Brief

Es gab jetzt einen offenen Brief in Lyon, in dem Sie angegriffen werden …

Es ist ein anonymer Brief. Man weiß nicht mal, ob der wirklich aus dem Haus kommt.  Die meisten Leute im Haus haben ihn nicht gesehen. Es ist schon bemerkenswert, dass das eine Woche vor den Wahlen passiert ist. Und dann in meinem zwölften Jahr, in dem ich hier arbeite! Mein Projekt hat sich nicht geändert.

Ich wundere mich, dass die Presse solche Briefe jetzt publiziert. Man kann darauf auch nicht antworten, weil es ja ein anonymer Brief ist.

Würden Sie überhaupt zurück nach Lyon wollen?

Die Antwort liegt nicht bei mir. Das muss der Verwaltungsrat für die Zukunft entscheiden. Jetzt stehen erst mal Wahlen an und dann gibt es Entscheidungen und Gespräche.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!