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Sachsen unterliegt im Rechtsstreit mit Opernintendant Dorny. Foto: Semperoper, M. Creutziger
Serge Dorny, Foto: © Matthias Creutziger
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„Nostalgie der Zukunft“ – Michael Ernst portraitiert den neuen Intendanten der Dresdner Semperoper: Serge Dorny

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Die Zukunft der Dresdner Semperoper hat ein Gesicht. Mitte Oktober ist Serge Dorny als künftiger Intendant der Sächsischen Staatsoper vorgestellt worden, ab Spielzeitbeginn 2014/15 wird er sein Amt antreten und die Nachfolge von Ulrike Hessler antreten, die im Sommer 2012 in München verstarb. Unser Autor Michael Ernst sprach aktuell mit Serge Dorny über seine Pläne und Visionen und entlockte ihm dabei so manche erstaunliche Vorstellung.

Serge Dorny ist Belgier, kommt jetzt aber aus Lyon an die Elbe. Dort hatte der 1962 geborene Flame seit gut zehn Jahren die Opéra National geleitet. Zuvor war er als Generaldirektor und künstlerischer Leiter des London Philharmonic Orchestra so erfolgreich, dass bereits andere internationale Häuser und Institutionen Begehrlichkeiten anmeldeten. Doch der durch die Schule von Gérard Mortier gegangene Dorny – mit nur 21 Jahren gehörte er am Théâtre Royal de la Monnaie dessen Dramaturgieteam an, vier Jahre später leitete er bereits das Festival van Vlaanderen – ließ sich bislang nicht abwerben. Das gelang erst der sächsischen Kunstministerin Sabine von Schorlemer.

Sie wollte zwar weder verraten, wer der internationalen Findungskommission angehörte, die aus ursprünglich rund dreißig Kandidaten letztlich drei in die engere Wahl gezogen hatte, noch hat sie Namen der Mitbewerber genannt, die Serge Dorny letztlich ausgestochen hat. Von Schorlemer räumte im Gespräch allerdings ein, es sei nicht einfach gewesen, Dorny aus Lyon wegzulocken.

Der freut sich nun aber auf Dresden, wo er ein neues Kapitel seiner so fruchtbaren Arbeit aufschlagen will. Wichtig sei ihm ein Konzept, das exakt zum Ort passe, auf dieser Basis wolle er eine solide Handschrift entwickeln, um sowohl die traditionsreiche Geschichte als auch die Zukunftsmöglichkeiten der Institution Semperoper zum Tragen zu bringen. An Dresden, so sagte Dorny, reizt ihn die Möglichkeit, eine neue Kultur kennenzulernen, um eine Synthese mit seinen vorherigen Erfahrungen aus der Orchesterleitung in London und der Opernleitung in Lyon einzugehen. „Das ist jetzt genau der richtige Moment dafür“, so Serge Dorny in charmantem Deutsch.

Freude auf Dresden

In einem ausführlichen Gespräch verriet er, dass Dresden für ihn schon längst kein Neuland mehr ist: „Zum ersten Mal in Dresden war ich in der Zeit von Intendant Gerd Uecker, damals war ich noch beim London Philharmonic Orchestra und habe mir schon wegen der Verbundenheit mit Bernard Haitink ab und an auch Produktionen der Semperoper angesehen. Sänger wie René Pape, Evelyn Herlitzius und später auch Anja Harteros, die habe ich alle zum ersten Mal in Dresden erlebt. Natürlich war ich auch öfter mal wegen Colin Davis und Giuseppe Sinopoli hier.

Aber beinahe noch mehr und vor allem viel eher habe ich die Semperoper im Ausland wahrgenommen, dort hat sich ja auch ihre Qualität vermittelt. Die Staatskapelle war mehrfach beim Festival van Vlaanderen zu Gast, das ich ab 1987 leitete. Wer hätte damals gedacht, als ich die Kapelle im Palais des Beaux-Arts in Brüssel gehört habe, dass ich einmal hier Intendant werden würde!“

Ganz offensichtlich hat er sich schon gründlich mit seinem künftigen Haus beschäftigen können, denn in einer kurzen Analyse sparte er auch nicht mit vorsichtiger Kritik. Die drei Sparten Oper, Ballett und Staatskapelle sollten in Zukunft viel enger vernetzt werden, um in einer gemeinsamen Handschrift nach außen zu wirken: „Es gibt die Idee, dass Gastdirigenten mit mehr Kontinuität sowohl Konzerte auf der Bühne als auch Opern im Graben leiten sollten. Was die Bühne betrifft, werde ich mich in Zukunft aktiv mit einbringen, denn ich finde, man kann die Identität und Handschrift eines Hauses nicht durch Dritte vermitteln. Ich arbeite nicht mit Fernbedienung, wenn ich mich ums Repertoire, um Neuproduktionen, um das Ensemble oder um die Namen von Gästen kümmere.“

„ … Theater sehe ich als Ressource und als Traumfabrik“

Wesentliche Synergien würden bisher noch verschenkt, indem namhafte Konzertdirigenten eben kaum im Orchestergraben tätig seien – weil sie nicht danach gefragt werden! „Die Semperoper war mal eine anerkannte Theaterreferenz, das ist sie heute nicht“, wertete deren designierter Chef, der Dresdens Traditionslast nicht in einer „Nostalgie der Vergangenheit“ verklärt, sondern sie in einer „Nostalgie der Zukunft“ sehen wolle. Als sein Ziel formulierte Dorny, neue Traditionen zu schaffen. „Ich bin kein Revolutionär, ich will eine Osmose aus Vorhandenem und Neuem.“

„Kunst und Kultur sind kein Konsumgut …“

Befragt, wohin dieses Engagement denn zielen soll, meinte Dorny: „Kunst und Kultur sind kein Konsumgut, man kann sie zwar konsumieren, aber sie haben eine viel größere Bedeutung. Wenn man sie teilt, nimmt man niemandem was weg, im Gegenteil, es wird mehr und ist eine Bereicherung. Daraus erwächst Energie. Vorausgesetzt, es geschieht nicht isoliert und im Elfenbeinturm. Ich finde, Kunst und Kultur können das Leben vielleicht nicht ändern, ihm aber einen Sinn geben, indem sie berühren und Menschen befragen. Daraus sollte sich – gerade in Repertoiretheatern – ein Bedürfnis für den Alltag ergeben, um wirklich teilzunehmen und nicht nur billiges Entertainment zu suchen. Theater sehe ich als Ressource und als Traumfabrik.“

Mit Chefdirigent Christian Thielemann habe er sich bereits gründlich ausgetauscht: „Das waren zwar lange Gespräche, aber es war ein erstes Kennenlernen. Bislang kannte ich ihn nur als Künstler, den ich sehr schätze. Ich habe ihn an der Deutschen Oper Berlin erlebt, als Gastdirigent in London, New York; unvergessen bleibt mir sein „Palestrina“ von Hans Pfitzner in der Regie von Nikolaus Lehnhoff an der Royal Opera London. Aber wir haben noch nie zusammengearbeitet.“

Dies wird sich schon bald ändern, jedoch sind die aktuelle Spielzeit und auch Dornys Dresdner Antrittssaison ab Herbst 2014 bereits weitgehend geplant, nicht zuletzt durch die Vorarbeit von Verwaltungsdirektor Wolfgang Rothe, der übergangsweise die Geschicke des Hauses leitete und nun erleichtert ist, wieder seine eigentlichen Aufgaben zu übernehmen. Eine der Neuproduktionen in der Saison 2014/15 soll jedoch schon deutlich von Serge Dorny geprägt sein und kann als Hinweis dafür gelten, wohin er künftig das Haus steuern werde. Sicher seien schon jetzt weltweite Koproduktionen etwa mit der Sydney Opera, der English National Opera London sowie mit der Met in New York, denn: „Nicht nur die Staatskapelle soll international sein!“ Dieses Orchester sieht der neue Intendant aber als etwas ganz besonderes an: „Dessen Nachhaltigkeit in Qualitätsfragen ist einmalig“, sagt er, und ergänzt: „Sie waren immer schon Botschafter für die Stadt und haben gezeigt, welche Beachtung Kultur hier genießt. Die Staatskapelle wurde international stets als eines der ganz großen Orchester angesehen, sie zählt für mich zu den Göttern als Spitzenorchester. Doch bei vielen Orchestern gibt es da ein Auf und Ab, je nach Programm oder Dirigenten. Hier aber erlebe ich eine Nachhaltigkeit in der Qualität, eine Kontinuität, die etwas ganz Besonderes ist. Die Qualität der Sächsischen Staatskapelle ist dauerhaft, das ist ihr Markenzeichen. Und die Semperoper hat immer schon einen Ruf für große Stimmen gehabt.“

Die Semperoper als Produktionszentrum und das Repertoire

Koproduktionen, um Kosten zu senken, hat es in Dresden bereits in der Vergangenheit gegeben. Will er derartigen Austausch fortsetzen? „Gerne, wenn es sich anbietet. Aber zumindest innerhalb Europas sollte Dresden eine Exklusivität haben, finde ich. Die Semperoper sollte ein Produktionszentrum sein! Damit es sich auf dem Kontinent herumspricht und die Semperoper eine magnetische Kraft wegen ihres Angebots bekommt. Momentan scheint mir da vieles zu fehlen. Wenn man von Wagner und Strauss einmal absieht, ist das Repertoire ziemlich beschränkt, da ist die Operngeschichte spärlich vertreten. Kaum Mozart, kein Tschaikowski, kein Janácek, keine Opern von Prokofkjew, Rimski-Korsakow, Schostakowitsch …“

Serge Dorny hat sich auch schon Gedanken über Dresden als einstige Uraufführungsstätte gemacht: „Neue Musik war mal ein Grundsatz in der Geschichte dieses Hauses. Wenn wir an Strauss denken, an Hindemith, an Busoni – da hat die Semperoper Musikgeschichte geschrieben. Ich finde, wir müssen das Opernrepertoire weiter bereichern, denn es ist keine Bibliothek, die man ohne jede Verpflichtung einfach benutzen kann.

Auftragswerke und Uraufführungen

Sowohl in London als auch in Lyon habe ich jedes Jahr ein neues Stück in Auftrag gegeben, allerdings nicht aus Verpflichtung und wegen der guten Tat, sondern um die Stücke dann auch zu begleiten, ihnen eine Bedeutung zu geben und damit eine Begeisterung zu wecken. Das war auch nicht immer einfach, aber die Lebendigkeit wuchs durch dieses Vertrauen und war stimulierend für alle Publikumsgruppen.“

Publikumsfragen haben für Dresden künftigen Intendanten Priorität. Schon in Lyon gab er sich nicht damit zufrieden, 85 Prozent aller Plätze mit Abonnements zu sichern. Was steuerlich mit den Abgaben von allen gefördert sei, dürfe nicht dem Genuss von nur wenigen dienen, sondern müsse auch allen zugute kommen, so Dornys Ansatz. In Lyon gelang ihm eine Auslastung des Hauses auf 96 Prozent, wobei das jugendliche Publikum einen hohen Stellenwert einnahm. 25 Prozent der Besucher waren jünger als 26 Jahre, die Hälfte des Publikums zählte weniger als 45 Jahre. „Nur ein exklusives Auditorium ist nicht interessant. Nicht für die Zuschauer selbst, nicht für die Institution. Erst ein gemischtes Publikum macht die Sache spannend, denn plötzlich hört man den anderen zu und kann etwas erfahren. Den Blick von außen, wie ich ihn jetzt auch auf Dresden habe, sehe ich als Privileg.“

Er würde gern „ein Repertoire aufbauen, das diesem Haus gerecht wird“, seinen Ambitionen zufolge gerne sechs große Produktionen pro Saison. Das aber wollte er jetzt doch noch nicht versprechen, „viele Überlegungen brauchen einfach Zeit.“ Oper sehe er als „Spiegel der Stadt“, sie solle eine Piazza sein, „auf der man sich trifft“ – eine schöne Vision für Dresden.

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