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Sehr engagiert bei der Arbeit mit dem Chor: Tönu Kaljuste. Foto: Alexander Hoffmann
Sehr engagiert bei der Arbeit mit dem Chor: Tönu Kaljuste. Foto: Alexander Hoffmann
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Fachlich und emotional gut gefüttert

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Arvo Pärt und Peteris Vasks zu Gast beim 15. Treffen des Chorleiterforums in Limburg
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Theoretisch muss die Chorszene Deutschlands am 4. Januarwochenende nahezu lahm gelegen haben – waren doch fast 150 Chorleiter/-innen aus ganz Deutschland und angrenzenden Nachbarländern nach Limburg aufgebrochen, um am 15. Treffen des Chorleiterforums teilzunehmen! Das Chorleiterforum hat sich 1996 in Limburg zum ersten Mal getroffen, ein zunächst lockerer Zusammenschluss von austauschwilligen, an neuer Literatur interessierter Chorleiter/-innen aus ganz Deutschland. Das Forum hat sich zur Aufgabe gemacht, das Werk interessanter und „angesagter“ internationaler und deutscher Komponisten bekannt zu machen. Man trifft sich, die Komponisten stellen ihre Werke vor, viele Stücke werden angesungen oder per Tonbeispiel vorgestellt. Seit vielen Jahren übernimmt der Arbeitskreis Musik in der Jugend die Organisation dieser Veranstaltung.

Limburg an der Lahn liegt zum einen verkehrsgünstig in der Mitte Deutschlands, zum anderen aber ist das Deutsche Centrum für Chormusik in Limburg zuhause. Wenn man das wunderbare alte Haus am Römer 2-4-6 betritt, gehen jedem Chorleiter die Augen über! Ein Haus über mehrere Stockwerke voller Chornoten. Ein Schlaraffenland für Chordirigenten! Manfred Bender, der diese umfangreiche Sammlung 1987 begonnen hat und seitdem betreut, ist es gelungen, 250.000 Werke für Chor zu sammeln und zu archivieren, nach Themen (Jahrhundert, geistlich, weltlich, Besetzungen, mit Instrument/a cappella etc.) zu sortieren und den Bestand unermüdlich auszubauen. Eine Fundgrube für Forumsmitglieder, die er fachkundig berät und für die er immer einen heißen Tipp auf Lager hat. Arvo Pärt war in diesem Januar Gast des Forums. Das Werk des estnischen Komponisten wurde präsentiert und erarbeitet von seinem Landsmann Tönu Kaljuste, einem der gefragtesten Chordirigenten.

Arvo Pärt wirkte so introvertiert und verhalten wie seine Musik, sein Charisma jedoch erreichte alle. Mit Tönu Kaljuste hatte er einen Meister seines Fachs an seiner Seite, dem es gelang, dem großen Chor zarteste Klänge zu entlocken. Er hatte ein gutes Händchen zwischen Akribie im Kleinen und Großzügigkeit in Dingen, die ohne viel Probezeit eh nicht besser klingen würden. Was nicht toll werden konnte, wurde per CD eingespielt. Und alle waren so infiziert, als hätten sie es selber gesungen. Kaljustes Bilder waren wunderbar, hilfreich und erhellend, ebenso die Momente, in denen Pärt zum Dirigenten „huschte“ und Anregungen gab.
Der Schlussapplaus nach der letzten Reading-Session war lang und wohlwollend, Pärt schien sichtlich berührt und dankte dem Chorleiterforum als Multiplikatoren seines Werkes mit anrührenden Worten.

Peteris Vasks, Komponist aus Lettland, ist eine sehr beeindruckende Erscheinung, er wusste seine Werke und sein Schaffen mit Geschichten und der Preisgabe von ganz persönlichen Gedanken zu untermauern und in „seine“ Geschichte einzubinden. Da wurden aus blanken Noten Lebensgeschichten, politische Dimensionen spielten in die Musik. Seine Bemerkung, dass für ihn und sein Volk der 2. Weltkrieg erst Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Abzug der Russen beendet war, hat viele Herzen zutiefst berührt. Vor diesem Hintergrund bekommt seine an die lettische Volksmusik angelehnte Musik eine neue, intensivere Farbe.

Vasks ist Komponist durch und durch. Er kann mit menschlicher Stimme umgehen, weiß, mit Klängen Farben zu inszenieren, greift zu atonalen Mitteln und überlässt den Stimmen die Gestaltung individueller Rhythmen.  Dies alles konnten die Chorleiter aus der Perspektive des Chorsängers hautnah erleben. Unter der Anleitung von Jan Schumacher, dem jungen aufstrebenden Chorleiter der camerata musica Limburg, wurden viele Kompositionen angesungen. Peteris Vasks stellte sich freudig jeder Frage.

Am Samstag Abend gestaltete mit dem „Ensemble Vocal“ einer der besten Chöre Deutschlands ein Konzert für die Teilnehmer/-innen und die Öffentlichkeit. 2006 wurde der Chor unter Cornelius Trantow Sieger beim Deutschen Chorwettbewerb in Kiel. Es war für den Chor ein schwieriges, aufregendes und anstrengendes Konzert, denn es saßen doch gefühlte 150 Juroren im Publikum. Trantow präsentierte ein ausnehmend hochwertiges Programm und viele Kompositionen von Pärt und Vasks. Ein Genuss sondergleichen!

Eine nicht zu unterschätzende Ebene des Chorleiterforums sind neben den intensiven Arbeitsphasen in der Aula der Marienschule die privaten Gespräche in den Pausen, ob sie nun beim Italiener oder beim Spanier stattfinden: Stimmengewirr, großes Hallo, Wiedersehensfreude, Gedanken- und Stückeaustausch ohne Ende. In der Woche nach dem Forum hat die Post bestimmt viel zu tun, denn es rauschen Stücke, Ideen für Konzertprogramme, Texte, Empfehlungen, Probepartituren und Kontaktadressen von Ost nach West, von Nord nach Süd.

Das ist das Tolle am Forum: Austausch, Erweiterung des Horizontes, Kennenlernen neuer Literatur, kollegiale Beratung, Fachsimpelei, Begegnung mit großartigen Komponisten und Dirigenten, aber auch gleichgewichtig Begegnungen im Kleinen, mit Kolleginnen und Kollegen, die mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wie man selbst. Und da tut die konkurrenzlose Solidarität und der Austausch gut. Limburg ist „Nahrung“ für die Seele, fachlich und emotional so „gefüttert“ kann ich gut wieder in den Alltag des einsamen Chorleiters zurückkehren und mich auf das nächste Chorleiterforum freuen.

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