Weil schwere Konflikte und qualitative Mängel innerhalb eines Studienganges nicht frühzeitig gelöst, sondern mit Doppelstrukturen ausgeglichen wurden, entwickelte sich an der Hochschule für Musik und Theater (HMT) Leipzig aus einem Konzeptions- und Personalproblem ein Finanzproblem, das zuletzt zur Schließung eines Fachgebietes führt. Der DTKV Sachsen fragte bei Betroffenen, Beteiligten und Entscheidern nach.
Noch rühmt die Website der HMT Leipzig ihre Vielfalt so: „Die Hochschule bietet ein breites Ausbildungsspektrum in Klassik, Alte Musik, Jazz/Popularmusik/Musical, Schauspiel und Dramaturgie, Schulmusik, Musikpädagogik und Kirchenmusik“, gleichlautend in der Startseite, den Infos für Studieninteressierte, Modulordnungen, Beschreibungen der Studiengänge und der Struktur der Hochschule. Erst auf der 5. Navigationsebene versteckt, sticht beim Studiengang Musical der verschämte Hinweis ins Auge: „(...) wird leider nicht mehr angeboten.“ In der Tat: Seit dem 21. Dezember 2011 ist das Ende der Ausbildung im Fachbereich Musical 2014 beschlossen, schon 2011 immatrikulierte die Hochschule keine Studierenden mehr dafür. Gegen jahrelange Missstände und zuletzt die Schließung des Fachgebietes haben sich Studierende, Lehrbeauftragte und Brancheninstitutionen mit fundierten Vorschlägen für eine Fortsetzung des Studienganges in hoher Qualität zur Wehr gesetzt. Erfolglos, denn die Probleme dort sind eng mit beamtenrechtlichen Besitzständen und Ressourcenfragen verbunden, zu deren Lösung sich die HMT außerstande sieht. Statt eine hochwertige Musical-Ausbildung in Leipzig zu sichern und den in Deutschland nur noch von Musikhochschulen in Berlin, München, Essen und Osnabrück sowie einigen kostenpflichtigen privaten Ausbildungsstätten angebotenen Studiengang im kreativen Wachstumsbereich fortzusetzen, sieht die Hochschulleitung keinen anderen Weg, als das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Schwere Mängel
Was ist geschehen? Nach jahrelangen Beschwerden Einzelner zur Qualität und Zuverlässigkeit der Ausbildung und wegen der Zunahme von Beurlaubungen, Studienabbrüchen und Motivationskrisen entschlossen sich die Studierenden des Fachgebietes Musical im Februar 2011 zu einer gemeinsamen Beschwerde an die Hochschulleitung, die aus ihrer Sicht bestehende Probleme detailliert auflistet. Die Kritik benennt mangelndes Zusammenspiel der Ausbildungsschwerpunkte Gesang, Tanz und Schauspiel, Kommunikations- und Motivationsprobleme, insbesondere jedoch schwere Mängel und Zuverlässigkeitsprobleme im Hauptfach Gesang, das von Frau Prof. U. Ernst und Frau Prof. E. Fischer vertreten wird. Erstere leitet das Fachgebiet Musical und ist zugleich Studiendekanin der Fachrichtung Gesang Popularmusik-Jazz/Musical, das sie seit 1991 mit aufgebaut hat. Die Zweitgenannte ist außerhalb der Hochschule sehr aktiv. Evelyn Fischer moderiert seit 1997 das wöchentliche Kulturmagazin „artour” im MDR-Fernsehen, ist auf der Bühne und mit CD-Produktionen erfolgreich. Auf die Studierendenbeschwerde folgte im Mai 2011 eine Anhörung durch das Rektorat; es wurde dann schnell, wenn auch provisorisch Abhilfe geschaffen: Ergänzt durch zusätzliche Honorarkräfte mit Branchenkenntnis übernahmen Lehrbeauftragte nahezu komplett die Ausbildung, zugleich wurden ungewöhnlich weitgehend Hochschullehrern Lehraufgaben entzogen.
Interne „Senatskommission
Musical“
Das Problem wurde im Juni 2011 einer hochschulinternen „Senatskommission Musical“ übertragen, deren Aufgabe so schwer eingrenzbar war, dass ihre Leitung von zwei Angefragten abgelehnt wurde, bevor sie der Professor für Gesang, R. Schubert (Fachrichtung Musiktheater), übernahm. Externe Experten wurden nicht einbezogen, Erfahrungen zu einer solchen Problemstellung lagen bei vielen Mitgliedern nicht vor. Eine unabhängige Untersuchung zu den Ursachen der Beschwerden, die Anhörung der Kritisierten, die Hospitation in Lehrveranstaltungen, die Einbeziehung aller Studierenden und Beschäftigten im Bereich war offenbar nicht Auftrag der Kommission. Deren Arbeit, ursprünglich auf ein Jahr angelegt, begann im September 2011, endete jedoch abrupt mit Vorstellung der erzielten Ergebnisse am 06. Dezember 2011. Die abschließende Aussprache und Entscheidung in der Sache erfolgte bereits in der Senatssitzung am 20. Dezember 2011, in der auch Lehrbeauftragte und Studenten gehört wurden. Obwohl die Kommission nach drei Sitzungen differenzierte Vorstellungen zur Reform des Studienbereiches und für eine angemessene Personalausstattung entwickelt hatte, stand anschließend nur die Vorlage des Rektorats zur Aufhebung des Studienganges zur Abstimmung.
Schließung entgegen Senatsbeschluss
Die Abstimmung im Senat am 20. Dezember 2011 spiegelt große Unschlüssigkeit wieder: Mit zwei Mal Nein, vier Mal Ja und fünf Mal Enthaltung versagte dieser der Vorlage des Rektors zur Aufhebung des Studiengangs Musical nach kontroverser Debatte die Zustimmung (die einfache Mehrheit anwesender Mitglieder wäre erforderlich). Trotzdem beschloss das Rektorat am Folgetag endgültig die Aufhebung des Studienganges – entgegen auch den Positionen von Studierendenvertretung, Lehrbeauftragten des Bereiches, eingesetzter Senatskommission und externer Partner. Der in zweiter Wahlperiode tätige Rektor (Prof. R. Ehrlich, Fachrichtung Alte Musik/Blockflöte) betont im Gespräch sein ehrliches Bedauern über den auch aus seiner heutigen Sicht unvermeidlichen Schritt, stellt für ihn doch die „durchgängig hohe Qualität der Ausbildung in allen Studiengängen die zentrale Existenzgrundlage der Hochschule” dar. Die wäre „mit den verfügbaren Mitteln für den Studiengang dauerhaft nicht zu sichern, ohne durch Abzug von Ressourcen andere, gesunde Bereiche zu gefährden“. Die Auswertung der Beschwerden durch das Rektorat und die Analyse der Anforderungen an die Zukunftsfähigkeit des Studienbereichs hatte in der Sitzung zur protokollierten Schlussfolgerung geführt: „Die Senatskommission zeichnet Möglichkeiten, wie die Musicalausbildung an der HMT auf einem konkurrenzfähigen Stand gebracht werden könnte, fordert jedoch, dass die zwei bestehenden Gesangsprofessuren neu besetzt beziehungsweise weitere hauptamtliche Lehrkräfte berufen werden müssten.“ Der Rektoratsbeschluss zur Schließung des Studienganges vom Folgetag führt in der Begründung auf: „Die erforderliche, klare künstlerisch-pädagogische Leitung eines Studienganges setzt die Leitung durch kompetente, berufserfahrene Professor/-innen voraus. Dies ist nach Einschätzung der Senatskommission derzeit nur in einer der drei Säulen der Musicalausbildung gegeben (…) Eine Übertragung von Lehrkompetenz aus anderen Fachrichtungen löst diese grundsätzliche Schwäche nicht.“ Protokollen, Petitionen, Mails und Interviews mit vielen Akteuren ist zu entnehmen: Niemand hat diese Entscheidung gewollt, viele haben sich dagegen ausgesprochen: Es könnte die falsche sein.
Alternative
Lösungen verworfen
Zuvor hatten die Studierenden nach eigener Auskunft selbst bei der Publity AG (einem Finanzdienstleister) Angebote für ein hohes fünfstelliges Sponsoring und deren Bemühungen um Zu-Spenden von Geschäftspartnern erhalten. Dies zusammen mit Synergien aus einer engeren Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen (Schauspiel, Musiktheater, etc.) hätte nach Ansicht vieler Akteure die Zukunft des Studienganges gesichert. Die viel zu kurzfristig entwickelten Vorschläge zu alternativen Finanzierungs- und Organisationslösungen waren schnell vom Tisch gewischt (es lag noch keine schriftliche Finanzierungszusage des Sponsors vor, die Nachhaltigkeitsvoraussetzung für die Finanzierung aus der Exzellenzinitiative des Bundes war noch nicht gesichert). Ebenso wenig erfolgreich waren formale Widersprüche und Petitionen der Studierenden des Fachbereiches, der Studierendenvertretung insgesamt und der Lehrbeauftragten an die Hochschule und das zuständige Ministerium gegen den Aufhebungsbeschluss, die auf die Entscheidung folgten.
Keine offene Diskussion
möglich
Zwar wurde die Ablehnung der Studenten zum weiteren Unterricht bei Hauptfach-Professorinnen öffentlich und der Rektor benennt qualitative Mängel der Lehre als Ursache der Aufhebung des Studienganges gegenüber der Presse; die genannten Hochschullehrer, betroffenen Lehrbeauftragten und Studierenden selbst können sich jedoch aktiv nicht öffentlich äußern: Erstere aus dienstrechtlichen Gründen; die Lehrbeauftragten, abhängig von jährlichen Vertragsverlängerungen aus Selbstschutz; die Studierenden aus Sorge, ihren Studien-Abschluss zu gefährden. Zudem wurde das Ergebnis der Senatskommission nur einem begrenzten Kreis zugänglich und vertraulich behandelt, was in Hinblick auf Vorschläge für eine mögliche Zukunft des Studienganges viele von der Lösungssuche ausschloss. Befragte Studierende und Lehrbeauftragte ebenso wie Senat und Rektorat vertreten übereinstimmend die Position, dass eine erfolgreiche Sanierung des Studienganges mit den benannten Gesangs-Professorinnen nicht möglich sei. Dazu angefragt schließt Rektor Prof. Ehrlich Mobbing, überzogene Kritik und üble Nachrede kategorisch aus. Vielmehr wäre die Hochschulleitung „nach sorgfältiger Befassung mit der Situation ebenso wie die Senatskommission zu dem Schluss gekommen, die Kritik der Studierende sei sachlich und gerechtfertigt“. Andererseits wurden durch die Senatskommission weitere Ursachen für die Qualitätsmängel im Studiengang dargelegt, wie konzeptionelle Schwächen der bestehenden Ausbildung, Abstimmungsprobleme zwischen den Sparten, zu geringe Personalressourcen von Beginn an und geringer Praxisbezug der Ausbildung.
Unantastbar
Wie den Ursachen der massiven Beschwerden über einzelne Lehrstuhlinhaber nachgegangen wurde, ob umfangreiche Nebentätigkeiten bewilligt waren, daraus Beeinträchtigungen des Lehrbetriebes entstanden oder nicht genehmigte Nebentätigkeiten geduldet wurden, dazu verweigert die HMT Leipzig mit Berufung auf Verschwiegenheitspflichten in Personalfragen und die Rechte von Beamten die Auskunft. Aus dem Verweis des Rektors auf deren Anspruch auf angemessene Beschäftigung und ihre quasi bestehende Unantastbarkeit lässt sich folgern: Ohne, dass die Betroffenen den Weg zur Veränderung selbst freimachen, wird es nicht gehen, mit ihnen aus Sicht der Studierenden und der Hochschule offenbar auch nicht. Nun zog die Hochschulleitung die Notbremse. Ob das notwendig war, wird von vielen Seiten bezweifelt. Bitter für die Studenten, die mit ihrer Beschwerde eine dauerhafte Verbesserung, nicht jedoch die Schließung des Studienganges bewirken wollten. Noch bitterer für die 28 Lehrbeauftragten im Fachgebiet Musical: Für viele endet damit 2014 eine berufliche Perspektive an der HMT.
Alle sind beschädigt
Die Aufhebungs-Entscheidung hat mit der öffentlichen Begründung mangelnder Qualität alle Beteiligten beschädigt: Die Adressaten der Kritik; die Lehrbeauftragten des Bereiches, deren Leis-tung ohne Perspektive bleibt und die Studierenden, deren Ausbildungsniveau damit zu Unrecht infrage gestellt wurde – was erhebliche Nachteile im hart umkämpften Markt der Musical-Darsteller mit sich bringt. Und nicht zuletzt die Leitung der Hochschule, deren Führungsstärke bezweifelt wird. Dazu befragt ist Prof. Ehrlich überzeugt, auch unter einem anderen Rektor wäre die Schließung des Bereichs unvermeidlich gewesen.
Schwer verdaulich für viele scheint, dass die Hochschullehrer, deren Kompetenz so nachdrücklich angefochten wurde, weiter in der Lehre an der HMT Leipzig tätig sein sollen. Die Lehrbeauftragten dagegen, die den Studienbetrieb in den letzten Semestern sogar qualitativ erheblich verbesserten, werden gemeinsam mit den letzten Studierenden abgewickelt, während die Entscheider, die den Zustand lange duldeten ebenso wie die Verursacher in Amt und Besoldung bleiben.
Für die noch Immatrikulierten scheint noch das zweitbeste Ergebnis erreicht zu sein: Die Hochschule sichert eine qualifizierte Lehre bis zum Studienende zu. Für die 28 zum Teil spezialisierten Lehrbeauftragten sieht es erheblich schlechter aus. Für viele von ihnen bedeutet der Beschluss das Ende ihrer Lehrtätigkeit an der HMT Leipzig, ihre Übernahme in andere Fachbereiche war bisher kein Thema. Prof. Ehrlich („Wir sind für die Studierenden da. Den Lehrbeauftragten wurden nie Versprechungen für unbegrenzte Weiterbeschäftigung gemacht“) sieht nur geringe Chancen, aus der Situation heraus erfolgreich ein Outsourcing mit einem privaten Musical-Institut zu entwickeln: Die Ansprüche wären hier ebenso hoch zu hängen: „(...) gerade für private Ausbildungsstätten besteht eine hohe Verantwortung hinsichtlich der Qualität der Lehre (…) ein entsprechend aufwändiges Controlling wäre für die HMT bei einer Ausgründung nicht zu leisten.“ Auch wäre dieser Schritt seiner Überzeugung nach mit „extremer Selbstausbeutung“ der Akteure verbunden. Ausschließen möchte er eine solche Lösung aber nicht.
Wie stehen die Dinge heute?
Unter den Lehrbeauftragten des Studienganges hat sich Resignation breitgemacht „…der Letzte macht das Licht aus…“, die Studierenden sind so intensiv von ihrer Drei-Sparten-Ausbildung gefordert, dass die Kraft für weitere Auseinandersetzungen, Petitionen und dergleichen fehlt, betroffene Hochschullehrer sind mit der Sicherung ihrer Dienst- und beamtenrechtlichen Situation befasst, die Hochschulleitung muss einen außerordentlich unbequemen und schmerzhaften Beschluss umsetzen und weitere zwei Jahre eine Doppelstruktur erhalten, die Konflikte und Kosten verursacht, und nach außen haben alle Schaden genommen. Dem Musikstandort Leipzig wäre ein anderes Ergebnis zu wünschen gewesen! 20 Jahre hatte die HMT Leipzig Zeit, einen nachgefragten Studiengang zukunftsfähig zu gestalten, das Scheitern kann nicht nur Verantwortung der jetzt ins Zentrum der Kritik geratenen Professorinnen sein. Es bleibt der Eindruck: Hier stehlen sich Beteiligte aus der Verantwortung.