„Ist das alles greifbar?“ fragte Dozent Christian Obermaier immer wieder an entscheidenden Punkten seiner vom Tonkünstlerverband Bayern e.V. veranstalteten Fortbildung „Bewusst Musizieren“ am 20. April im Münchner Rubinsteinsaal. „Greifbar“ sollten seine Inhalte sein, sprich: rein aus dem Leben heraus und nicht verkopft erdacht oder aus Lehrbüchern zusammengestückelt. Denn es ging um uns selbst, um die Teilnehmenden, und zwar nicht rein als Musiker, sondern als menschliche Existenzen.
Ist das alles greifbar?
Die Grundfragen des Seminars durften die Teilnehmenden selbst stellen, und auch die Antworten wurden nicht im Frontalvortrag vorgegeben, sondern gemeinsam als Gruppe erarbeitet. Als zentraler Konfliktpunkt stellte sich schnell das Lampenfieber heraus: Nahezu alle Musikschaffende sind hiervon betroffen, und doch scheint es immer mehr zum Tabu-Thema auszuarten, das als Schwäche aufgefasst wird in einer Welt technischer Perfektion. Wie können wir nun uns, und am besten noch unseren Schülern, diese Angst vor der Bühne und die damit einhergehende Nervosität nehmen?
Zauberformeln sucht man vergeblich, ebenso universelle Rezepte. Und doch konnte Christian Obermaier, seit über dreißig Jahren Solopaukist des Münchner Rundfunkorchesters, mit sympathischer Ehrlichkeit, Schonungslosigkeit und einem gewaltigen Haufen Humor einen Weg erhellen, das Lampenfieber an der Wurzel auszudünnen.
„Denkt einfach!“, lautete dazu – meist verbunden mit einem herzhaften Lacher – immer wieder die Devise, denn schnell verstrickte man sich in hochkomplexe Theorien und erdachte Sonderfälle. Dabei blieb es ein komplexes Thema – und vor allem ein Persönliches, Intimes, denn man musste seine eigene Wahrnehmung von Grund auf hinterfragen und bereit sein, das Ego hintanzustellen. Dabei sei vorweggegriffen, dass dies kein guruhaftes Selbstfindungsseminar war, das mit scheinbarer Erleuchtung endete, sondern, dass Christian Obermaier einen Grundstein legte, mit dem sich jeder selbst im Hier und Jetzt üben und sich selbst „erforschen“ kann. Doch nun zum erwählten Thema des Lampenfiebers:
Dieses entsteht einerseits aus der Angst vorm Scheitern, vor möglichen Konsequenzen und Risiken, andererseits aus der Idealvorstellung, wie es denn sein sollte, die uns jedoch schnell als nahezu unerreichbar entgleitet und so leicht ins Wanken gerät. Eine erste Erkenntnis lag darin, dass diese Angst eigentlich unbegründet sei, denn es herrsche keine vorrangig lebensbedrohliche Gefahr dabei. Durch die Sorgen und Wünsche blockiert man lediglich selbst seinen freien Geist und damit den Weg zum gerade von Musikschaffenden sagenumwobenen „Flow“, den wir als Idealbild sehen für freies, genießendes Musizieren.
Musik ist immer „Jetzt“, denn Musik existiert nur im Moment des Klingens, nicht darüber hinaus. Lampenfieber hingegen ist die Angst vor dem, das folgen wird, also in der Zukunft liegt und allein schon dadurch dem Musikalischen opponierend.
Auslöser des Lampenfiebers sind Stress und Leistungsdruck, unter anderem durch in der Praxis viel gepredigte Sätze wie „Ich muss meine Leistung jetzt abrufen“, oder „Ich muss nun abliefern“. Das Problem daran, so Christian Obermaier, ist die Starrheit, der Zwang in diesen Sätzen und – weitergedacht – der Adressat. Denn diese Paradigmen sprechen das Ego an, das selbsterstellte und damit auch selbstverherrlichende oder auch selbstherabwürdigende Bild, welches nur in unserem Kopf existiert. Das Ego entspricht folglich nur einer Maske: Denn im Grundlegenden sind wir keine Musiker, sondern Menschen, die dann mit Gabe und noch mehr mit passionierter Arbeit die Fähigkeit des Musizierens für uns gewonnen haben. Wer uns auf der Straße sieht, sieht den Menschen, nicht den Musiker. Der Mensch muss keine Angst haben, seine Fähigkeit abliefern zu müssen. Die Fähigkeit ist unserem menschlichen Ich also zu jeder Zeit teil; es gilt nichts abzurufen, denn sie ist schon da. Einzig und allein die Maske, das Ego, verschleiert mit Angst oder überhöht mit Wunschvorstellungen das uns eigene Können, was wiederum für Lampenfieber verantwortlich ist.
Doch wie schalten wir es ab? Wie erwähnt, fixe Antworten gibt es keine. Nur den Weg, dem Ego, dem Ich-Denken statt Ich-Sein, nicht die Vorherrschaft zu überlassen, dafür sich selbst zu spüren und auf sich zu vertrauen. Nicht werten, sondern beobachten; sich in der Präsenz üben, wach und aufmerksam bleiben.
Wie ein Baby, das alles wahrnimmt und aufnimmt, ohne es durch Filter einordnen zu wollen. Christian Obermaier gab eine ganz simple Achtsamkeitsübung – nämlich atmen und die Bauchdecke spüren. Der Unterschied zu den dutzenden Malen, wo sicher jeder diese Übung über sich ergehen lassen musste, lag heute im Ziel: denn es gab keines!
Das Ziellose, Zwecklose, Ungebundene, das somit auch keinen Platz lässt für Fehler oder Ideale, das ist das angestrebte Sein. Wer mit diesem Sein als Selbst auf die Bühne tritt, der braucht auch nichts zu befürchten, und muss keinen Zwängen gerecht werden – und wird einfach musizieren.
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