Gleich vier Beiträge in der letzten Juniausgabe der neuen musikzeitung 2019 befassen sich mit (der Misere an) den kommunalen Musikschulen: 1. Der DTKV Baden-Württemberg sieht die kommunalen gegenüber privaten Musikschulen und frei(beruflich)en Musiklehrern unberechtigterweise im Vorteil und plädiert für eine Gleichbehandlung. 2. Gegen diese Position polemisiert der VdM (Bundesgeschäftsführung und LVdM BW) mit der These, die Rede von der Ungleichbehandlung sei unzutreffend und unhaltbar. 3. In einer Glosse auf der Titelseite plädiert Theo Geißler für das freie musikalische Unternehmertum aus dem Geis-te der Risikobereitschaft, das öffentliche Zuwendungen verabscheut. 4. Aus Sicht des verantwortungsbewussten Kommunalpolitikers erinnert Muchtar Al Ghusain an den umfassenden Bildungsauftrag der Musikschule – und daran, wie viel hier in der Praxis noch zu tun bleibt, um diesem Ziel näherzukommen.
Da die vier Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven unterschiedliche Interessen artikulieren, kann es kaum verwundern, dass sie unterschiedliche Argumente vortragen. Gleichwohl lohnt es sich, sie einer gemeinsamen Prüfung zu unterziehen, um zu erkennen, welche Argumente stichhaltig sind – und welche Thesen so abwegig, dass sie zurückzuweisen sind und sich für die weitere Diskussion (jedenfalls innerhalb des DTKV) verbieten.
Musik als Ware
Das abenteuerlichste Argument trägt Theo Geißler vor. Unter der Überschrift „Wahre Werte“ setzt er seine eigenen „Warenwerte“, also die marktorientierte Tätigkeit als Verleger musikalischer Publikationen (Bücher, Noten, Zeitschriften, nmz), mit dem Berufsalltag des freien Musikpädagogen gleich.
Als Aufhänger für seinen Einwurf wählt er eine ansonsten völlig bedeutungslose und schlecht kommunizierte Demonstration am Rande des VdM-Kongresses, bei der eine versprengte Gruppe von Aktivisten mit fragwürdigen Parolen (in der Sache aber dennoch zu Recht) auf die existenziellen Probleme von Honorarkräften aufmerksam machte. Geißler kanzelt deren Ansinnen als unlauter ab, da es sich bei Honorarbeschäftigung um eine selbst und frei gewählte Lebensform handle.
Immerhin hält aber diese Gruppe der (tatsächlich: zum großen Teil unfreiwilligen) Honorarkräfte den Musikschulbetrieb mit aufrecht, da sie, wie allseits bekannt, an vielen kommunalen Musikschulen einen beträchtlichen Anteil des Lehrbetriebs stemmen.
Wie ist es zu verstehen, dass sich Geißler, seines Zeichens Herausgeber der neuen musikzeitung und Inhaber des ConBrio Verlages, in seinem Leitartikel so weit aus dem Fenster lehnt? Immerhin finanziert sich die nmz auch über die Pflichtabonnements der Verbände (so bezahlte 2018 allein der DTKV NRW 17.000 Euro an die nmz). Welchen „Waren-Wert“ besäße die nmz wohl ohne diese Beiträge?
Und gehört es sich, dass sie sich so einseitig für einen gut versorgten Musikschulverband und gegen eine unterprivilegierte Gruppe schlecht bezahlter und weitgehend wehrloser Kolleg/-innen ins Zeug legt?
Ein Verband sieht nur sich selbst
Mag man Geißlers Invektive noch als kuriose Einzelmeinung ansehen, so gilt dies für die Stellungnahme des besagten Verbandes (sprich: des VdM) zur „Kampagne“ des DTKV Baden-Württemberg leider nicht. Dabei ist – das ist vorweg zu betonen – die Ausgangslage, die der DTKV BW verändern will, als solche so klar wie unstrittig: Kommunale Musikschulen (KMS) beziehen öffentliche Mittel, private Musikschulen (PMS) und freie Musikpädagogen („Soloselbständige“) (FMP) dagegen nicht. Für die Musikpädagogen bedeutet dies, dass die in PMS oder als FMP tätigen deutlich schlechter dran sind (Einkommen, soziale Absicherung) als die in KMS beschäftigten, und zwar auch dann, wenn sie die gleiche Qualifikation besitzen und die gleiche Arbeit leisten (und nur um solche hochqualifizierten Musikpädagogen geht es: Alle DTKV-Mitglieder haben einen Hochschulabschluss). Ungleiche Vergütung trotz Arbeit auf gleichem Niveau. Man mag die Frage stellen, ob „Ungleichbehandlung“ dafür der passende Begriff ist (wer „behandelt“ hier wen?). Doch wer wollte leugnen, dass auf dem Markt für musikpädagogische Dienstleistungen schreiende Ungerechtigkeit herrscht (ökonomisch gesprochen: es gibt auffallende „Marktungleichgewichte“), und zwar seit langer Zeit.
All das weiß auch der VdM. Und doch lässt er durch Matthias Pannes verkünden: „Ungleichbehandlung liegt nicht vor, Unsinn sollte aufhören“. Unter dieser Überschrift wird sodann ein „Faktencheck des VdM“ angekündigt, der jedoch weniger Fakten als fragwürdige Einschätzungen und unhaltbare Behauptungen bietet und überdies die entscheidenden Sachverhalte vernebelt. So heißt es gleich zu Beginn, eine „Ungleichbehandlung“ von kommunalen Musikschulen und privaten Anbietern könne es schon wegen „fehlender Vergleichbarkeit“ gar nicht geben. Erstere hielten ein „umfassendes Bildungsangebot mit breiten Zugangsmöglichkeiten“ vor, letztere dagegen böten nur ein „eingeschränktes Angebot“ mit „geringer Reichweite“. Sie werden also doch miteinander verglichen – allerdings in einer idealtypischen Zuspitzung, die im Goldenen Zeitalter der kommunalen Kulturpolitik (1970er- und 80er-Jahre) gerechtfertigt gewesen sein mag, aber inzwischen jeden Realitätsbezug verloren hat. War die musikalische Grundversorgung damals noch eine politische Zielvorgabe, so wurde sie anschließend zerrieben: im Privatisierungs- und Deregulierungstaumel der 1990er-Jahre und dann unter dem rigiden Spardiktat für kommunale Haushalte (Muchtar Al Ghusain erinnert in seinem Beitrag „Musik ist eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft“ eindringlich an diese Zusammenhänge).
Besonders erbost ist Matthias Pannes über die vom DTKV BW vorgeschlagene Einführung von „Bildungsgutscheinen“, wodurch nur unnötige „Doppelstrukturen“ entstehen würden. Wo lebt der Mann? Die Doppelstrukturen gibt es doch längst. Es gibt KMS mit Lehrkräften in sicheren Beschäftigungsverhältnissen, deren Zahl seit Jahren zurückgeht – und daneben gibt es das wachsende Heer der an PMS und/oder als FMP tätigen Kolleg/-innen, die sich zunehmend in prekären Beschäftigungsverhältnissen unterschiedlichsten Zuschnitts durchschlagen (dazu gleich mehr). Auch die Auslassungen über die „Gewinnerzielung“ privater Anbieter oder darüber, dass öffentliche Mittel über „Bildungsgutscheine“ nicht „regelkonform“ verwendbar seien, weil es dann an hinreichender Qualitätssicherung mangele, sind nichts als Bestandssicherungsmanöver. Sie sollen die privilegierte Position der (Führungszirkel der) KMS zementieren, indem sie zugleich die beklagenswerte Situation der meisten Musikpädagogen verleugnen – und zwar auch derjenigen an den KMS selbst.
Faktencheck des DTKV NRW
Um sich die tatsächliche Situation an den Musikschulen klarzumachen, ist die von Michael Dartsch für „Musikleben in Deutschland“ vorgelegte Analyse der außerschulischen musikalischen Bildung hilfreich (Hrsg.: Deutscher Musikrat, Deutsches Musikinformationszentrum, März 2019, S. 80–105). Danach wurden 2017 in der Bundesrepublik an 926 kommunalen Musikschulen (VdM) rund 1,4 Mio. Musikschüler unterrichtet, und zwar von 39.000 Lehrkräften (davon 49 Prozent Honorarlehrkräfte); zum Vergleich: 320 private Musikschulen (bdfm) mit 127.000 Musikschülern und 6.300 Lehrkräften (davon ca. 85 Prozent Honorarlehrkräfte). So viel zur leidigen Frage der „Doppelstrukturen“, wobei hier die dritte Säule der (außerschulischen) musikalischen Bildung, die wachsende Zahl der freien Musikpädagogen („Soloselbständige“) noch nicht einmal erfasst ist (deren Grenzen zu den Honorarlehrkräften, egal ob kommunal oder privat beschäftigt, sind natürlich fließend). Immerhin werden 20 Prozent der Bundespreisträger bei „Jugend musiziert“ von freien Musikpädagogen unterrichtet, der Rest kommt von kommunalen Musikschulen (die im bdfm organisierten privaten Musikschulen sind auf diesem Niveau nicht engagiert). Durch eine Umfrage unter den Mitgliedern des DTKV NRW besitzen wir noch genauere Angaben. Danach sind sie wie folgt beschäftigt: 10 Prozent Hochschule, 32 Prozent kommunale Musikschule (KMS), 20 Prozent private Musikschule (PMS) und 38 Prozent selbständig (FMP). Von den an kommunalen Musikschulen beschäftigten Kolleg/-innen haben 52 Prozent einen unbefristeten und 8 Prozent einen befristeten Vertrag, die restlichen 40 Prozent aber nur einen Honorarvertrag (oder mehrere an unterschiedlichen Schulen).
Nicht zu vergessen: die dritte Säule der musikalischen Bildung
Geht es nach Matthias Pannes, so gibt es nur eine wirklich tragende Säule der musikalischen Bildung: die kommunalen Musikschulen, organisiert im VdM. Das Ansinnen, die „privaten Anbieter“ als zweite Säule ins Spiel zu bringen, weist er entschieden zurück – denn dadurch würden andere Akteure wie Blasmusikvereine „diskreditiert“. Diese Auffassung ist doppelt schief. Blasmusikvereine, Chöre und andere Träger der musikalischen Freizeitgestaltung (deren Beitrag zur Musikkultur gar nicht hoch genug zu veranschlagen ist) stehen überhaupt nicht zur Debatte, denn in der Auseinandersetzung mit dem DTKV geht es ausschließlich darum, wie sich eine nachhaltige Beschäftigung hochqualifizierter Musikpädagogen sinnvoll organisieren lässt. Zugleich aber ist die Pauschalkategorie der „privaten Anbieter“ (bewusst?) irreführend, da sie in Wirklichkeit zwei ganz unterschiedliche Typen umfasst: private Musikschulen (viele davon im bdfm organisiert) und freie Musikpädagogen (Soloselbständige) unterschiedlichster Couleur. Manche sind wirkliche Freiberufler (passionierte Einzelkämpfer), andere unfreiwillige Selbständige (Selbstausbeutung im Einzelunterricht), die meisten wohl solche, die sich mit Mischbeschäftigungen durchschlagen (ein paar Honorarstunden hier, ein paar Einzelstunden dort).
Ich schlage vor, dass wir endlich anerkennen, dass es drei Säulen der musikalischen Bildung gibt: kommunale Musikschulen (KMS), private Musikschulen (PMS) und freie Musikpädagogen (FMP) (vielleicht wäre es ehrlicher, von „freischwebenden“ Musikpädagogen zu sprechen); und dass wir weniger über (kommunale oder private) Musikschulen reden als über die Musikpädagogen selbst, die zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt sind – und zwar unabhängig davon, wo und wie sie beschäftigt sind, ob an einer (kommunalen oder privaten) Musikschule oder als „Selbstständige“.
Entscheidend ist, ob die Beschäftigung als solche faire Strukturen aufweist und eine elementare Existenzsicherung ermöglicht, damit eine nachhaltige musikalische Bildung für alle endlich sichergestellt wird. Welche Möglichkeiten es gibt, um hier weiterzukommen – darüber sollten wir streiten.