Banner Full-Size

Was kostet Kunst?

Untertitel
Honorarstandards in Baden-Württemberg
Publikationsdatum
Body

Was schmeckt Ihnen besser? Das Brötchen aus dem Backautomaten eines Discounters mit undefinierbaren Ingredienzien für 15 Cent oder das aus qualitativ hochwertigen Zutaten und von Meisterhand geformte des Bäckers an der Ecke für 60 Cent? Stellen Sie diese Frage doch einmal Eltern, die Ihren Preisvorstellungen für den Musikunterricht entrüstet begegnen, in der Straße nebenan gäbe es eine Musikschule, die den gleichen Unterricht für die Hälfte anbietet, oder es gäbe sogar jemanden, der für bedeutend weniger Geld ins Haus käme. Bieten Sie eine Probestunde an und wuchern Sie mit Ihren Pfunden als staatlich examinierte, erfahrene Musiklehrkraft, die flexibel, innovativ und erfolgreich unterrichtet. Überzeugen Sie durch Qualität!

Der Tonkünstlerverband Baden-Württemberg und seine aus Mitgliedern unterschiedlicher musikalischer Richtungen bestehende Arbeitsgruppe Honorarstandards hat sich zum Ziel gesetzt, der pekuniären Abwärtsspirale im Musikbetrieb den Kampf anzusagen. Dabei ist es bereits fünf nach zwölf, denn viele Kolleginnen und Kollegen resignieren bereits und haben sich wohl oder übel mit den schlechten finanziellen Bedingungen abgefunden, weil sie es müssen, und wenig besser ist als gar nichts. Doch bedenken wir, dass Musikerinnen und Musiker jahrelang studiert, teure Meisterkurse absolviert und für horrende Summen Instrumente angeschafft haben. Klar macht das Musizieren Spaß, und niemand studiert Musik mit dem Ziel, später Reichtümer anzuhäufen. Aber leben können sollen wir von unserer Arbeit und später eine Rente erhalten, die ebenfalls ein menschenwürdiges Leben im Alter ermöglicht.  

Daher fangen wir jetzt an! Mit dem vom Tonkünstlerverband Baden-Württemberg vorgelegten Vollkostenrechnungsmodell für freie Musikschaffende und Musiklehrende kann ein individuelles Kostenprofil erstellt und der Bedarf ermittelt werden, was an Geld verdient werden muss, um diese Kosten zu decken. Vergessen Sie dabei den wichtigen Posten „Rücklagen“ und „Altersvorsorge“ nicht. Des Weiteren liegen schriftlich fixierte Argumentationshilfen für freiberufliche Musiklehrende vor, die helfen sollen, eigene Stärken und Alleinstellungsmerkmale zu formulieren, die das eigene Musikinstitut von der Konkurrenz abheben. Drittens gibt es ein Zahlenwerk, das durch umfangreiche Recherchen unter Zusammenarbeit mit ver.di, art but fair, der Deutschen Orchestervereinigung, Chor- und Kirchenmusikverbänden sowie Event-agenturen und Eigenerfahrungen der Arbeitsgruppen- und Vorstandsmitglieder zustandekam.

Der Wunsch des Vorstandes und der Arbeitsgruppe Honorarstandards im TKV Baden-Württemberg ist, dass Sie sich mit diesen Empfehlungen befassen und als Orientierungsmarke für eigene Honorarverhandlungen im Auge haben. Ich musste mir einige Male anhören: „Das geht doch total an der Realität vorbei!“ – Nun, vielleicht ist das in manchen Punkten noch der Fall. Aber wir wollen ja nicht noch weniger verdienen, indem wir uns der Realität anpassen, sondern wir wollen mehr verdienen und die Realität dahingehend verändern, dass langfristig höhere Honorare auf allen Gebieten bezahlt werden. Welche Gewerkschaft legt denn freiwillig Null- oder sogar Minusrunden ein? Minusrunden sind längst der Fall, wenn man die Verdienstentwicklung von Aushilfen in Rundfunkchören, Honorarlehrkräften an Musikschulen und Lehrbeauftragten an Musikhochschulen denkt. Wir kratzen gerade an der Spitze eines riesigen Eisberges.

Daher gilt der Appell des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg vor allem den gut abgesicherten Kolleginnen und Kollegen, die nicht auf jeden Nebenjob angewiesen sind und es sich leisten können, auch einmal Nein zu sagen. Sagen Sie Nein zu Gagen weit unter unseren Empfehlungen. Spielen Sie nicht umsonst oder für Almosen. Stellen gerade Sie den Wert qualifizierter musikalischer Arbeit nach außen dar.

Sie helfen so, die Existenz des ganzen Berufsstandes zu sichern. So wie der Bäckermeister an der Ecke darauf angewiesen ist, dass wir bei ihm die Brötchen kaufen und nicht beim Discounter

Aus Platzgründen kann hier nur das erste Kapitel der Honorarempfehlungen – die Unterrichtshonorare – abgedruckt werden.

1. Unterrichtshonorare
Diese Empfehlungen basieren auf der ver.di-Honorartabelle für freiberufliche Musiklehrkräfte an Musikschulen (Stand 1.2.2017). ver.di nennt als Mindeststandard für einen Musiklehrer mit Abschluss und sechsjähriger Berufserfahrung einen Mindeststandard von 43,70 e für 45 Minuten.
Der TKV Baden-Württemberg empfiehlt auf dieser Grundlage:
1.1. Einzel vereinbarte und bezahlte Unterrichtsstunden:
35.- e pro Einzelstunde à 30 Min
50.- e pro Einzelstunde  à 45 Min
70 .- e pro Einzelstunde à 60 Min
1.2. Jahresvertrag mit 36 Unterrichsstunden, umgerechnet auf 12 Monate
Zahlen basierend auf Umrechnung des ver.di Betrages:
30.- e (30 Min), 45.- e (45 Min), 60.- e (60 Min) x 36 : 12
90.- e monatlich bei 30 Min wöchentlichem Unterricht.
135.- e monatlich bei 45 Min wöchentlichem Unterricht.
180.- e monatlich bei 60 Min wöchentlichem Unterricht.
Die Kapitel 2 bis 4 beschäftigen sich mit den Empfehlungen für Chor- und Instrumentalensemblehonorare, für Konzerttätigkeiten sowie für Muggen, Gottesdienste und sonstige Veranstaltungen. Zum Schluss der Honorarempfehlungen veröffentlicht der Tonkünstlerverband in einem Nachwort einen Ehrenkodex, den sich alle Kolleginnen und Kollegen zu eigen machen sollten:

5. Nachwort – Ehrenkodex
Bei oben genanntem Zahlenwerk handelt es sich um Empfehlungen des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg als Berufsverband für Musikerinnen und Musiker.
Der TKV Baden-Württemberg appelliert an seine Mitglieder, diese Honorare bei Veranstaltern und Auftraggebern zu verlangen.
Der Verband appelliert insbesondere an Kolleginnen und Kollegen in wirtschaftlich gesicherter Position – wie etwa Festanstellung im Orchester oder an einer Hochschule – die Empfehlungen nicht zu unterbieten, auch wenn das Geld nicht unmittelbar benötigt wird. Diese bereits jetzt schon verbreitete Praxis stellt Preisdumping dar und bringt weniger abgesicherte Kolleginnen und Kollegen, die auf diese Verdienstquellen angewiesen sind, in existentielle Notlagen.
Als professionelle/-r Musiker/-in unentgeltlich zu singen oder zu spielen, bedeutet, einen Berufsstand existentiell zu gefährden. Welcher Handwerker repariert etwas kostenlos, einfach weil es Spaß macht? Möchte man aus Gründen der menschlichen oder kollegialen Verbundenheit zum Auftraggeber – oder auch bei Benefizveranstaltungen – kein Honorar annehmen, so lautet der dringende Appell des TKV Baden-Württemberg, das Honorar in entsprechender Höhe zu fordern und es gegebenenfalls teilweise oder ganz an den Auftraggeber (wenn dieser eine gemeinnützige Vereinigung darstellt) gegen Quittung zu spenden. Es geht auf jeden Fall darum, den Wert unserer Arbeit darzustellen!

Die kompletten Honorarempfehlungen können auf der Website des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg nachgelesen und heruntergeladen werden:
www.dtkv-bw.de oder http://dtkv.net/BW/17-leistungen/259-was-kostet-kunst.html

Print-Rubriken