Gerne, allzu gerne wird das Musikland, die Musiknation Deutschland beschworen – und stolz auf die große Tradition verwiesen, auf die „Weltgeltung“ deutscher Komponisten, die Vielzahl, auch Qualität der Opernhäuser, Orches- ter, Chöre, Ensembles und nicht zuletzt Ausbildungsinstitutionen.
Doch bei näherem Hinsehen entpuppen sich nicht wenige solcher Elogen als Sonntagsreden, denn um den Musikunterricht in den verschiedenen Schultypen ist es nicht sonderlich gut bestellt. Hinzu kommt nach der Ausbildung die wachsende Konkurrenz beim Kampf um Stellen oder eine Positionierung als Privatmusiklehrer. Ein gutes Examen an einer deutschen Musikhochschule garantiert noch keinen sicheren Job, und der Leis-tungsdruck nimmt zu. Doch geht es auch um Nachwuchs anderer Art. Das Publikum der Traditionskonzerte ist überaltert, und es wachsen wenig Jüngere nach. Die Schere geht auseinander. Allerdings ist die klassische Hochkultur, Domäne des Bildungsbürgertums, nicht mehr Maß aller Dinge. Es wird oft eine geschlossene E-Musik-Gesellschaft suggeriert, die reichlich fiktiv ist.Was wäre zu tun? Skepsis wäre Aufgabe einer ernstzunehmenden Kulturkritik. Sieht man indes die Platzverhältnisse bei den Tageszeitungen, wird man nicht gerade optimistischer. In diesem Sinne Einblick in pädagogische Arbeit zu geben, ist immerhin ein Weg Interesse an Musik zu wecken – abseits der etablierten Höchstleistungs-Kultur. Ein Beispiel hierfür sind die Kelkheimer Tage Alter Musik, ein kleines Spezial-Festival, Thema 2011 „Altes Dunkel – Heller Klang“. Die Leiterin Dietburg Spohr jedenfalls möchte die traditionsreiche Reihe nicht in der Sphäre einer mitunter hermetischen Alte-Musik-Sphäre belassen, sondern verändern und erweitern: Sufi-Tanz mit einem türkischen Schlagzeuger und deren Interaktion mit einem Renaissance-Ensemble. Zum Konzept gehört auch jedes Mal eine Komponente Bildender Kunst: dieses Jahr eine Licht-installation, die auf dem Altar fast Bühnenbild-Funktion gewann.Zusätzlich aber bringt die Idee, Lernende wie Lehrende des Frankfurt Tonkünstlerbundes für ein Doppel-Konzert zu gewinnen, immer mehr Hörer in die Alte Kirche St. Martin: ein Konzert am Nachmittag für lernende Kinder und Jugendliche, aber auch für künstlerisch sich weiterbildende Erwachsene – und ein abendliches, das lehrende Künstler gestalten. Der Eindruck wechselseitigen Gebens und Nehmens ist ein großer Gewinn. Und die oft erstaunliche Sicherheit der Heranwachsenden bei ihrer, mitunter ersten, Podiumssituation verblüffte. Natürliche wurde der Begriff „Alte Musik“ nicht dogmatisch verstanden, auch wenn das vorklassische Repertoire dominierte. Aber wenn eine junge Pianistin schon entschieden suggestiv ein Stück aus Tschaikowskis „Jugend-Album“ spielte, dann schien das wichtiger als rigide historisch-stilistische Grenzziehung. Fast noch wichtiger allerdings war, dass niemandem ein Moment von Dressur anzumerken war, alle beglückend frei und locker, ja vergnüglich spielten. Späteren Ehrgeiz in Richtung Professionalität muss dies nicht ausschließen. Und da sowohl Flügel wie Cembalo zur Verfügung standen, bot sich die Möglichkeit, Stücke von Bach oder Daquins „Le coucou“ jeweils zweimal auf beiden Instrumenten zu spielen wie zu hören, so im unmittelbaren Vergleich Vorzüge und Grenzen zu erfahren und in einer langen Gesprächspause zwischen den beiden Konzerten zu diskutieren. Diesen lebendig-kreativen Umgang mit Musik wie Instrumenten und die Möglichkeit, sich auszutauschen erlebt man nur allzu selten. Andernorts gäbe es auch diese Möglichkeiten, nur: Warum werden sie kaum genutzt? Dass die Aufführungen der Dozierenden natürlich professionell waren, versteht sich. Aber auch bei den lehrenden Künstlern spürte man deutlich, wie Musik, Musikmachen sie noch an- und umtreibt, nichts gelangweilt-steril „abgeliefert“ wird. Diese Konzerte lassen ahnen, was „Glamourkonzerten“ bisweilen an freudiger Spontaneität fehlt. Die Zwischenreiche von jung und alt, Laien und Profis sind manchmal animierender. Will man hochkompetenten Nachwuchs und ein hochmotiviertes, kenntnisreiches jüngeres Publikum gewinnen, dann sollte man der Frühphase der Entwicklung mehr Aufmerksamkeit schenken.