Vom 21. bis 23. Februar kamen an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen Wissenschaftler und Künstler, Theoretiker und Praktiker zusammen, um sich bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikpädagogik über das Thema Konzertpädagogik auszutauschen. Neben regen Diskussionen wurden Projekte vorgestellt, der heutige Zustand analysiert, aber auch im historischen Rückblick nach konzertpädagogischen Ansätzen gesucht.
Wie die Diskursanalyse von Lukas Bugiel zeigte, befinde sich das klassische Konzert in einer Krise. Neben Mangel an Bildung und Erfahrung seien auch die sensationsorientierten Medien und die Konzertveranstalter Gründe für das schwindende Interesse an klassischer Musik. Neue Konzertformen und die Konzertpädagogik seien Möglichkeiten, das Konzert zu erhalten.* Neu sei die Idee der Konzertpädagogik aber nicht, so Prof. Dr. Katharina Schilling-Sandvoß. Bereits 1805 habe es Kinderkonzerte mit einem pädagogischen Ansatz gegeben und im Jahre 1905 seien sogar die einzelnen Werke innerhalb eines Konzerts für Kinder jeweils durch kurze Vorträge eingeführt worden.
Weitere Beispiele aus der Geschichte der Konzertpädagogik präsentierten Prof. Dr. Hans-Joachim Erwe und Prof. Dr. Alexander Cvetko. Erwe referierte über Leonard Bernstein, der es mit seinen „Young People’s Concerts“ geschafft habe, Kinder und Jugendliche im Konzertsaal und sogar vor dem Fernseher mit klassischer Musik zu erreichen. Lehren im Sinne von Teilen und Mitteilen habe dieser selbst als die Essenz seines Schaffens angesehen.
Cvetko berichtete über einen Zeitraum zwischen 1800 und dem Zweiten Weltkrieg, in dem sowohl im Unterricht als auch bei Schulkonzerten Geschichten über Musik erzählt wurden. Bei höherer Erzählqualität sei die Musik selbst allerdings weniger im Mittelpunkt gestanden und umgekehrt. Weil heute die Musikanalyse einen sehr hohen Stellenwert im Musikunterricht habe, seien Geschichten mit hoher Erzählqualität aus dem Unterricht fast gänzlich verschwunden.
Mit der Rhythmik ging am Ende des 19. Jahrhunderts Émile Jaques-Dalcroze einen anderen Weg der Musikvermittlung. Dieser habe, so die Rektorin der gastgebenden Musikhochschule, Prof. Elisabeth Gutjahr, seine Schüler alles, was sich von der Musik in Bewegung abstrahieren lässt, räumlich darstellen lassen, um so die musikalische Organisation eines Werks zu durchdringen. Mit seinem späteren Partner Adolphe Appia habe Dalcroze eine Konzertform entwickelt, bei der das Publikum zusammen mit den Musikern das Konzert gestaltete.
Thomas Wenk gab einen Überblick über einige konzertpädagogische Veranstaltungen des Fachbereichs Rhythmik in Trossingen. Da hierbei viel mit improvisierter Musik gearbeitet werde, entstehe eine recht offene Form, die es ermögliche, das Publikum miteinzubeziehen.
Auf einem Poster von Peter Mall konnte man während der Tagung das Ergebnis eines Kooperationsprojekts zwischen Orchester und Schule betrachten, das durchgeführt wurde unter der Frage, wie außerschulische Musikprojekte und schulischer Musikunterricht zusammenwirken können, um die musikalische Entwicklung von Kindern positiv zu beeinflussen.
Die Aufgabe der Musiker in der Konzertpädagogik, wurde im Laufe der Tagung immer wieder angesprochen und es wurde festgestellt, dass es in der heutigen Zeit nicht reiche, nur Künstler auszubilden, sondern es auch notwendig sei, diese auf die Arbeit als Pädagogen vorzubereiten.
In vielen Projekten agieren bereits Musiker als Musikvermittler. So berichtete zum Beispiel Tobias Emanuel May-er von bekannten klassischen Musikern, die in verschiedenen Schulen nicht nur Konzerte gespielt, sondern im Dialog mit den Kindern auch deren Interesse an der Musik, ihrer Person und ihrem Instrument geweckt hätten.
Ein ähnliches Konzept verfolgte Dr. Christian Hoerburger. Dabei stellte er fest, dass für die Grundschüler nicht das Hören, sondern das Zusehen bei der Entstehung der Musik im Vordergrund stand.
Auch im inzwischen zehn Jahre andauernden Education-Projekt der Berliner Philharmoniker, vorgestellt von Prof. Andrea Tober, geht es um das neue Selbstverständnis der Orches-termusiker als Musikvermittler. Teilen, teilhaben lassen und Interaktivität mit dem Publikum seinen wichtige Schlagworte dafür. Wichtig seien vor allem auch langfristige Partnerschaften etwa mit Schulen und Kitas.
Chancen und Herausforderungen solcher Kooperationen behandelten Prof. Dr. Andrea Welte und Tamara Schmidt in ihrem Vortrag. Am Beispiel eines Kooperationsprojekts zwischen Hochschule, Konzert-/Opernhaus und Schule zeigten sie, dass zwar die Ziele und Herangehensweisen der unterschiedlichen Partner ganz verschieden sein können, dies aber allen Beteiligten neue Horizonte öffne.
Aufgrund seiner These, viele der konzertpädagogischen Projekte würden unter ungeklärten Voraussetzungen angegangen, plädierte Dr. Daniel Eberhard dafür, Jugendliche und ihre Hörgewohnheiten ernst zu nehmen. Dafür müsse die Zielgruppe zunächst analysiert und Konzertangebote dann an deren Bedürfnisse angepasst werden.
Eine solche Analyse führte Dr. Silke Schmid im Zuge eines Opernvermittlungsprojekts durch. In diesem Rahmen entwickelte sie vier Dimensionen des Musikerlebens von Kindern: Leiblichkeit, Narrativität, Materialität und Beziehungshaftigkeit.
Letztere wurde bei einem von insgesamt 150 konzertpädagogischen Projekten im letzten Jahr von „The Young ClassX“ in Hamburg genutzt, um 15 Jugendliche für Musik zu begeistern. Zusammen mit jeweils einem Konzert-abonnenten als Bezugsperson besuchten diese, so Dr. Tobias Wollermann und Katja Seidel, einige klassische Konzerte und waren somit nicht allein gelassen mit den für sie ungewohnten Klängen.
Wie wichtig es tatsächlich ist, einen Hörer, unabhängig von seinem Alter, im Konzert nicht allein zu lassen, betonte Prof. Dr. Hans-Christian Schmidt-Banse. Durch die richtige Erzählung könne die Wahrnehmung fokussiert und das Interesse für ein Werk geweckt werden.
Diese Kunst demonstrierte Schmidt-Banse schon am ersten Abend der Tagung bei dem „Concerto Recitativo“, einem musikalisch-literarischen Konzerterlebnis mit 16 von ihm und seiner Frau Annette Kristina Banse zusammengestellten Skizzen über Edvard Grieg. Zu hören waren außerdem Marina Chiche (Violine), Sandra Reineboth (Sopran), Prof. Volker Stenzl und Prof. Wolfgang Wagenhäuser (Klavier).
Auch in der Rockmusik könne die Aufmerksamkeit der Konzertbesucher durch das Storytelling in bestimmte Richtungen gelenkt werden, so Dr. Jan-Peter Koch. Die Möglichkeiten gehen von Erläuterungen zur Geschichte eines Songs über politische Statements bis hin zu Videoclips oder anderen visuellen Eindrücken.
Dass sich Musikvermittlung nicht nur auf Kinder und Jugendliche beschränken muss, stellte auch Prof. Dr. Christoph Richter fest. Musik lade zur Begegnung mit sich selbst ein, wozu auch Erwachsene oft einen Vermittler brauchten. Um Musik besser erleben zu können, forderte er neue Konzertformen und die Konfrontation von musikalischen Werken mit Bildern, Literatur, und Geschichte.
Einen Mangel an Vermittlungselementen sieht Claudia Heuger besonders in der Neuen Musik gegeben. Etwa bei der Veranstaltungsreihe „Studio für Neue Musik“ der Universität Siegen zeige sich von Seiten der Studenten eher geringes Interesse. Die Gründe dafür, laut einer ersten Umfrage überwiegend Ungewohntheit und fehlendes Verständnis für die Musik, erforderten mehr konzertpädagogische Maßnahmen.
Schließlich thematisierte Prof. Dr. Constanze Rora die Frage, ob sich Lernen, Erleben und ästhetische Wahrnehmung im pädagogisch aufbereiteten Konzert ausschließen und verneinte diese anhand eines „Taschenkonzerts“ des Leipziger Gewandhauses in einer pädagogischen Einrichtung. Durch entsprechende Vorbereitungen sei es durchaus möglich, die Ästhetik eines echten Konzerts zu erhalten und in einer dialogischen Form eine „Lehr-Lern-Situation“ aufzubauen.
In der abschließenden Diskussion wurde noch einmal hervorgehoben, dass Konzertpädagogik nicht bedeuten kann und soll, Kinder und Jugendliche auf den rechten Pfad zu ziehen, sondern ihnen etwas anzubieten, den Horizont zu erweitern. Gleichzeitig bedarf Musik der Kommunikation und der Bipolarität.
Besonders dankt die GMP der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, die einen gastfreundlichen Platz für viele interessierte Tagungsteilnehmer aus dem In- und Ausland und den lebendigen Austausch zwischen Theorie und Praxis der Konzertpädagogik bot.
* Nachtrag 25.7.2016: Der Referent Lukas Bugiel legt Wert auf die Feststellung, dass sein Vortrag mit dem indirekten Zitat nicht korrekt zusammengefasst wurde. Seine Zusammenfassung lautet: „Wie die Diskursanalyse von Lukas Bugiel zeigte, werden Konzertpädagogik und neue Konzertformen über ein Sprechen von der Krise des Konzerts legitimiert. In diesem Zusammenhang wird dem Publikum oft ein Mangel an Bildung und Erfahrung attestiert, der das schwindende Interesse an klassischer Musik begründen soll.“