Der Führungswechsel ist geglückt: Seit Juli 2024 ist Cornelia Bend, die vorher 20 Jahre lang das SWR-Vokalensemble geleitet hat, als neue künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Schwetzinger SWR-Festspiele im Amt. Im Interview mit der neuen musikzeitung spricht sie über ihre neue Aufgabe, das kommende Festspiel-Motto „Verführung“ – und über die große Herausforderung, ein Klassik-Festival in politisch wie gesellschaftlich turbulenten Zeiten für neues, jüngeres Publikum zu öffnen.
„Ich wünsche mir ganz, ganz viele glückliche Verführte“
neue musikzeitung: Wie sind Sie zu Ihrem neuen Job bei den Schwetzinger SWR Festspielen gekommen? Wurden Sie einfach angerufen und gefragt oder gab es da eine offizielle Bewerbung?
Cornelia Bend: Ich bin schon sehr lange ein großer Fan der Festspiele und als bekannt wurde, dass die Stelle bald neu zu besetzen sein würde, habe ich meinen Hut in den Ring geworfen. Daraufhin gab es viele interne Gespräche. Danach habe ich mich formal um diesen Posten beworben, habe den Gesellschaftern und Entscheidungsgremien mich und meine Visionen für die Zukunft der Festspiele vorgestellt und war sehr glücklich, als mir diese wunderbare Aufgabe mit großen Gestaltungsmöglichkeiten übertragen wurde.
nmz: Sie haben ja vorher das SWR-Vokalensemble geleitet – auch eine wichtige Stelle innerhalb des SWR. Warum wollten Sie trotzdem zu den Festspielen?
Bend: Weil ich mich mit den Festspielen verbunden fühle, seitdem ich vor fast 30 Jahren ins „Ländle“ gezogen bin. In meiner Funktion als Managerin des SWR-Vokalensembles, das ich 20 Jahre lang geleitet habe, war ich an vielen spannenden Musiktheaterproduktionen wie „Proserpina“ von Wolfgang Rihm und unzähligen Konzerten, etwa im Speyerer Dom mit Sir Roger Norrington, Frieder Bernius und Marcus Creed, beteiligt. Vorher war ich als Orchesterdirektorin in Mannheim in unmittelbarer Nähe zu Schwetzingen tätig. Am Nationaltheater habe ich gemeinsam mit dem damaligen GMD Adam Fischer die Orchesterakademie „Mannheimer Schule“ für Nachwuchsmusiker*innen gegründet, bei der die Komponisten und Solisten des berühmten Orchesters des Kurfürsten Carl Theodor im Zentrum standen. Vorher war ich am Badischen Staatstheater Karlsruhe tätig und war schon damals verführt vom besonderen Flair des Festivals mit seiner Historie, dem Schloss und dem Park.
Das Vokalensemble konnte ich mit Yuval Weinberg als Chefdirigent und Dorothea Bossert als meiner Nachfolgerin in gute Hände übergeben und werde das Ensemble natürlich auch bei den Festspielen immer wieder mit tollen Programmen präsentieren.
nmz: Welchen neuen Aufgaben müssen Sie sich jetzt stellen?
Bend: Seit dem 1. Juli 2024 bin ich in Personalunion künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin und verantworte die Planung aller Konzerte, der Sonderveranstaltungen und der aufwendigen Musiktheater-Produktionen sowie die Vergabe von Kompositionsaufträgen, die Etatplanung und Personalführung. Mir ist es wichtig, an diesem besonderen Ort einerseits die 72-jährige Tradition der Festspiele zu bewahren, andererseits aber auch das Profil weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen. Mit dem Ziel, einer immer diverser werdenden Gesellschaft gemeinschaftsstiftende Angebote zu machen.
nmz: Wie anstrengend ist Ihr neuer Job – und wie läuft die Planungsarbeit für die SWR-Festspiele ab?
Bend: Am Anfang steht immer ein Feuer. Da sind interessante Ideen, da sind tolle Künstler:innen und plötzlich ist ein roter Faden da. Den muss man dann zum Konzept machen, und bei dieser Planung und Vorbereitung ist natürlich auch mein tolles Team in Baden-Baden mit im Boot. Im Mai 2025 finden dann in Schwetzingen und Umgebung fast 75 Veranstaltungen statt, oft mehrere am Tag. Das bedeutet für alle Beteiligten eine besondere Intensität, die anstrengend, aber auch sehr inspirierend ist. Denn es ermöglicht dem Publikum und auch uns eine ganz andere Art der Vertiefung, wenn die Angebote in Beziehung zueinander stehen und sich ergänzen.
nmz: Mussten Sie sich erst an diese andere Arbeitsweise gewöhnen?
Bend: Es war eine Umstellung. Ich spüre eine besondere Verantwortung, sehe aber auch die enormen Chancen und Möglichkeiten: Beim Festival können wir Kunst auf sehr konzentrierte Weise präsentieren, und genau das wollen wir in Schwetzingen tun
nmz: Sie haben vorhin angesprochen, dass Sie schon oft in Schwetzingen waren und dass dieser Ort Sie „verführt” hat. Das Motto im kommenden Jahr heißt „Verführung”. Wie kam es zu diesem Leitmotiv, und welcher Kerngedanke steckt dahinter?
Bend: Ausgangspunkt war, dass ich mich im wunderbaren Schwetzinger Schloss immer selbst verführt fühle. Es ist einfach ein ganz besonderer Ort, an dem man Kunst viel intensiver wahrnehmen kann. Und dann steht in unserer Uraufführung zum Saisonauftakt am 2. Mai 2025 mit „Adam und Eva“ von Mike Svoboda die größte und grundlegendste Verführung aller Zeiten im Zentrum. Zugrunde liegt die Komödie von Peter Hacks, und wir können uns auf ein sehr vielschichtiges Werk freuen, das den Apfelbiss als Befreiungsakt feiert. Gleichzeitig stellen wir in der Tradition der „Schwetzinger Dramaturgie“ dem neuen Werk ein altes an die Seite, nämlich die Wiederentdeckung von Johann Christian Bachs Kantate „Amor Vincitore“ über Begehren, Isolation und die Suche nach Gemeinschaft. Einen aktuellen Bezug erhält diese Musiktheaterproduktion durch zeitgenössische Klangmomente von Patrick Schäfer, die immer wieder zwischen Bachs Musik aufscheinen.
nmz: Ist es Ihnen leichtgefallen, unter dem Motto „Verführung“ ein ganzes Festivalprogramm zusammenzustellen oder haben Sie manchmal an Ihrer Idee gezweifelt?
Bend: Nein, ganz im Gegenteil: Ich war ganz begeistert, dass alle eingeladenen Künstlerinnen und Künstler sofort viele spannende Assoziationen zu diesem Thema hatten und dass nun alle Programme mit Verführerischem spielen. Wir möchten außerdem unser Publikum mit Musik, Wort, Tanz und auch Kulinarik verführen und dazu einladen, sich auf Neues einzulassen. Und es geht auch um politische Verführung und um das rein musikalische „verführt-werden“.
nmz: Welche Künstlerinnen und Künstler werden in diesem Jahr dabei sein?
Bend: Unsere Residenzkünstler*innen sind 2025 Raphaela Gromes, Julian Prégardien und Mike Svoboda, außerdem die Ensembles La Petite Écurie und SPARK. Alle Residenzkünstler präsentieren drei oder mehr verschiedene Programme, verbringen viele Tage in Schwetzingen und bringen sich auch bei der Musikvermittlung ein. Hinzu kommen zwei literarisch- musikalische Projekte: das eine mit Martina Gedeck, das andere mit Katja Riemann. Katja hat gleich am Eröffnungswochenende am 3. Mai eine Premiere für uns konzipiert: Ihr Programm heißt „Ver-FÜHRUNG“ und nimmt verführerische Ideologien wie Rechtsextremismus, Rassismus und Islamismus in den Blick.
nmz: Haben Sie in Zukunft vor, noch mehr gesellschaftskritische, politische Themen bei den Schwetzinger SWR-Festspielen unterzubringen?
Bend: Ja, ein Festival ist auch dafür da, gesellschaftlich relevante Themen aufzunehmen und sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen, Raum für Gespräche zu bieten und verbindend zu wirken. Als Rundfunkfestival haben wir dafür eine gute Plattform und einen großen Radius. Für die Saison 2026 bin ich mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja im Gespräch, die auch komponiert, und mit der Komponistin Agatha Zubel, die auch singt. Mit ihnen plane ich einen stark politisch motivierten Musiktheater-Abend mit einem kritischen Blick auf die Gesellschaft. Ich freue mich jetzt schon darauf – und verrate Näheres gerne in unserem nächsten Gespräch….
nmz: Die Schwetzinger Festspiele sind auch ein Ort, an dem mit Klängen experimentiert wird – wie etwa im letzten Jahr bei der Uraufführung von Lucia Ronchettis „Der Doppelgänger” oder bei der Klang-Installation „Imagined Garden”. Planen Sie, das weite Feld „Neue Musik” bei den Schwetzinger Festspielen noch weiter auszubauen?
Bend: Das machen wir auf jeden Fall. Die Opern-Uraufführungen und die historischen Opern sind ja ein Teil des Alleinstellungsmerkmals dieses Festivals. Neue Musik ist für mich nach 20 Jahren beim SWR-Vokalensemble ohnehin mein täglich Brot, und sie ist die Klangsprache für das Hier und Jetzt. In der goldenen Zeit Schwetzingens, als sich sehr viele Musiker und Komponisten von Rang um eine Anstellung am Hof des Kurfürsten Carl Theodor mit seinem weltberühmten Mannheimer-Schule-Orchester bemühten, standen fast immer Ur- und Erstaufführungen auf dem Programm. Schwetzingen war also ein „Hotspot” der Neuen Musik, und so denke ich die Festspiele weiter. Neue Musik kommt natürlich auch in vielen weiteren Konzerten vor. Womöglich kommen viele Menschen wegen Werken ins Konzert, die sie kennen und lieben, erleben dann im Programm etwas Unbekanntes und gehen mit neuen Entdeckungen nach Hause, die ihr Herz geöffnet haben.
nmz: Heike Hoffmann hat die Festspiele lange geleitet. Wie planen Sie, die Festspiele in Zukunft weiterzuentwickeln?
Bend: Wir ergänzen vor allem den Schwerpunkt Musikvermittlung und haben dazu 17 Veranstaltungen im Programm, die es in dieser Form und Fülle noch nicht gab: Im Schloss gibt es Familienkonzerte, für Schulklassen unsere „Lauschrausch“-Veranstaltungen, in den Schulen das Format „Mittendrin“ sowie im Schwetzinger Club „Basement“ den neuen „Classic meets Club“ für junge Leute.
nmz: Die kommenden Festspiele sind die ersten unter Ihrer Leitung. Stehen Sie unter Leistungsdruck, müssen Sie abliefern?
Bend: Es lässt mich nicht kalt, dass sich für 2026 schon jetzt ein finanzieller Engpass abzeichnet. Und es ist zu erleben, dass es im Bereich Stiftungen und Sponsoring auch nicht gerade einfacher wird. Wir möchten dennoch tolle Angebote für viele Menschen machen und in einen intensiven Austausch treten, und ich bin sehr gespannt, wie sich das neue Profil bewährt. Am 6. Dezember beginnt der Kartenvorverkauf. Ich hoffe, dass die Menschen bei uns etwas finden, was sie beglückt und bereichert.
nmz: Was wünschen Sie sich also – in einem Satz – für die Festspiele 2025?
Bend: Ganz, ganz viele glückliche Verführte.
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