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Elementare Musikinstrumente – im sozial- und heilpädagogischen Bereich bisher noch zu selten eingesetzt.  Foto: Gabriele Puffer
Elementare Musikinstrumente – im sozial- und heilpädagogischen Bereich bisher noch zu selten eingesetzt. Foto: Gabriele Puffer
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Zwischen BEP und Boomwhacker

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Die musikpädagogische Ausbildung an Fachakademien für Sozialpädagogik
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Die Kinder aus der Regenbogengruppe im Kindergarten Wirbelwind haben sich schon seit Wochen auf das anstehende Herbstfest vorbereitet. Eine Erzieherin hat mit den Kindern einen Blättertanz einstudiert und mit Xylophonen, Handtrommeln und Boomwhackern musikalisch gestaltet. Die Kinder haben sichtlich Freude am musikalischen Agieren, die Erzieherin leitet die Gruppe souverän musikalisch an und die Eltern sind von der Aufführung begeistert.

Entspricht das dem Alltag in einer Kindertagesstätte oder werden musikalische Aktionen nur in Ausnahmefällen ausgeführt? Sind solche Szenarien nur besonders musikbegeisterten und musikalisch geschulten Erzieherinnen und Erziehern vorbehalten? Oder vermitteln die  Ausbildungsstätten in allen Fällen ausreichend musikpädagogische Kompetenzen, damit alle Kinder gleichermaßen in den Genuss musikalischer Förderung gelangen?

Im Rahmen einer Masterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde der Frage nachgegangen, ob angehende Erzieherinnen und Erzieher im Rahmen ihrer Ausbildung überhaupt auf musikpädagogisches Handeln vorbereitet werden, ob und wie sie erlernte Inhalte in der Praxis anwenden können. Dazu wurden Studierende im letzten Ausbildungsjahr an bayerischen Fachakademien für Sozialpädagogik befragt.

Zielgruppen von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter

Pädagogische Fachkräfte sind wichtige Akteure in der musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen. Kinder sollen in sozialpädagogischen Einrichtungen ungeachtet ihrer Herkunft die Möglichkeit bekommen, Erfahrungen und Anregungen durch eine frühe Auseinandersetzung mit elementarer Musikpraxis zu sammeln. Hier sind Erzieherinnen häufig die ersten Bezugspersonen nach den Eltern und es zählt zu den Hauptaufgaben eines verantwortungsvollen Arbeitens, für alle Kinder frühzeitig bestmögliche Bildungschancen und Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen. Diesbezüglich besteht auch ein expliziter staatlicher Erziehungs- und Bildungsauftrag an Kindertageseinrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe: Die Grundlage sämtlichen Arbeitens in Kindertagesstätten, zu denen Kinderkrippen, Kindergärten, Kinderhäuser und integrative Kindertageseinrichtungen zählen, bildet der „Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan“ (BayBEP). Zum musikalischen Bildungsauftrag heißt es darin: „Im Rahmen der musikalischen Bildung und Erziehung sollen die Kinder die Welt der Musik in ihrem Reichtum und ihrer Vielgestaltigkeit erfahren und Gelegenheit erhalten, sich in ihr selbsttätig und gemeinsam zu bewegen.“

Erzieherinnen und Erzieher sind nicht nur in Krippen und Kindergärten tätig. Für Kinder und Jugendliche ab dem Grundschulalter stehen sozialpädagogische Einrichtungen neben den allgemeinbildenden Schulen zur Verfügung. Das pädagogische Fachpersonal ergänzt hier die schulischen Angebote und hat die Aufgabe, im Rahmen eines sozialpädagogischen Unterstützungsbedarfs Entwicklungsthemen aufzugreifen, individuelle Lernprozesse zu begleiten, Zugang zu Bildung zu ermöglichen und Anlässe zu Bildung zu initiieren. Für die Arbeit im Hort wurden vom Staatsinstitut für Frühpädagogik „Bayerische Bildungsleitlinien für die Bildung und Erziehung bis zum Ende der Grundschulzeit“ entwickelt, die die Anschlussfähigkeit der Bildungsprozesse und das Recht eines jeden Kindes auf Bildung gewährleisten sollen. Aufgaben der Erziehenden in der offenen Kinder- und Jugendarbeit sind die Gestaltung von freizeitpädagogischen Angeboten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Sie sollen Anregungen für bedeutsames Leben und Lernen geben und dafür die nötigen Rahmenbedingungen wie Zeit, Raum, Finanzen und Gelegenheiten bereitstellen. Im Vordergrund stehen Begleitung und Unterstützung bei Bildungs-, Partizipations- und Entwicklungsprozessen, insbesondere bei Menschen, die von Benachteiligung betroffen oder bedroht sind.

Ausbildung mit optimierten Praxisphasen

Die Ausbildung zur Erzieherin beziehungsweise zum Erzieher findet in Bayern an Fachakademien für Sozialpädagogik statt und dauert, wird die geforderte berufliche Vorbildung miteingerechnet, fünf Jahre. Im Rahmen des 2016 begonnenen Modellversuchs „Erzieherausbildung mit optimierten Praxisphasen“ (kurz „OptiPrax“) beträgt sie drei Jahre. Beide Ausbildungsvarianten sollen auf die Arbeit in sämtlichen sozialpädagogischen Einrichtungen vorbereiten, in denen Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 27 Jahren betreut werden. Der Lehrplan ist mit einem Lernfeldkonzept fächerübergreifend und kompetenzorientiert gestaltet. Die in den Lernfeldern beschriebenen Inhalte umfassen zum einen fachspezifische Grundlagen in den zu vermittelnden Bildungsbereichen; zum anderen geht es um einen sozialpädagogischen Ansatz, mit dem die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einem gemeinschafts- und beziehungsfähigen, wertorientierten und eigenverantwortlichen Menschen unterstützt werden soll. Die Fächer Musikpädagogik und Rhythmik bilden zusammen mit Bewegungspädagogik ein Modul dieser Ausbildung.

Gut vorbereitet auf das Singen mit Drei- bis Sechsjährigen

Für die Befragung wurden 80 Studierende von drei Fachakademien für Sozialpädagogik ausgewählt, die sich entweder im abschließenden Berufspraktikum des bisherigen Ausbildungsmodells („Anerkennungsjahr“) oder im dritten und letzten Ausbildungsjahr des Modellversuchs OptiPrax befanden. Erhebungsinstrument war ein Fragebogen, der direkt vor Ort von den Studierenden ausgefüllt wurde. Die Befunde zeigen, dass die im Rahmen der Ausbildung erworbenen musikalischen Handlungskompetenzen in Musikpädagogik in erster Linie auf die Arbeit in Kindergarten und Kindertagesstätte mit Kindern von drei bis sechs Jahren vorbereiten. Das Singen, vor allem in Form von Liedern, die in Alltagsrituale (Begrüßung, Aufräumen, Zähneputzen) eingebettet sind, wird von fast allen Studierenden, die mit Kindern bis sechs Jahren arbeiten, mindestens einmal täglich eingesetzt, auch musikalisch gestaltete Reime werden häufig verwendet. Gesungen wird auch mehrfach am Tag in Form von Ritualen wie Begrüßungs- und Abschiedsliedern, Reimen und Fingerspielen. Getanzt wird aber wenig und der Einsatz von elementaren Musikinstrumenten findet kaum statt.

Obwohl in so gut wie allen Einrichtungen Instrumente vorhanden sind, setzen über die Hälfte der Studierenden deutlich weniger als einmal wöchentlich über das Singen hinausgehende musikalische Tätigkeiten ein. Die mögliche musikalische Vielfalt wird also kaum ausgeschöpft, obwohl die Studierenden angeben, ihr Bedarf an Inhalten und Methoden für die Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen sei im Rahmen ihrer Ausbildung weitestgehend abgedeckt. Mögliche Ursachen der defizitären Praxis könnten damit eher in organisatorischen Rahmenbedingungen der täglichen sozialpädagogischen Arbeit liegen. So sind in über der Hälfte der Einrichtungen Barrieren vorhanden, die musikalisches Handeln erschweren; häufig herrscht Zeit- und Personalmangel. Inwieweit solche und weitere Faktoren Einfluss auf das musikpädagogische Handeln haben, müsste in einer weiteren Studie untersucht werden.

Defizite bei der Arbeit mit anderen Zielgruppen

Anders stellt sich die Situation für die Tätigkeit in Einrichtungen mit Kindern unter drei und über sechs Jahren sowie im heilpädagogischen Bereich dar. Hierfür fühlen sich die meisten der Studierenden nicht ausreichend ausgebildet. Vor allem mit den Kleinsten wird in der Praxis viel gesungen, die Absolventinnen und Absolventen wünschen sich dafür deutlich mehr Input durch ihre jeweilige Fachakademie. Sowohl in den unterschiedlichen Bereichen der Jugendarbeit als auch im Hort werden kaum musikalische Aktivitäten durchgeführt. Dies mag an Bedingungen in der Praxis und der unterschiedlichen Zielsetzungen der Einrichtungen liegen. Dennoch wünschen sich mehr als die Hälfte der Studierenden auch für die Arbeit im Hort, mit Jugendlichen und mit Menschen mit Beeinträchtigungen eine solide inhaltliche und methodische Basis. Die musikpädagogische Arbeit mit diesen Zielgruppen wird nach Meinung der Befragten bisher sowohl in der Ausbildung als auch in der Berufspraxis zu sehr vernachlässigt.

Wünsche an Ausbildungsinstitutionen und Politik

Insgesamt wünschen sich die Studierenden einen praxisnahen Musikunterricht, der weniger Notenlehre, Musikgeschichte und Referate enthalten und stattdessen vielfältige unterschiedliche Methoden und Lieder vermitteln sollte. Einige wiesen in der Befragung darauf hin, dass die praktische Umsetzung des Gelernten aufgrund der Gegebenheiten an den Arbeitsplätzen, insbesondere Raum-, Zeit- und Personalmangel, teilweise recht schwierig sei. Absolventinnen und Absolventen von OptiPrax bewerten ihre musikpädagogischen Kurse tendenziell besser als ihre Kolleginnen in der konventionellen Ausbildung. Gründe hierfür wurden in dieser Studie nicht betrachtet.

Die Befragungsergebnisse legen den Schluss nahe, dass angesichts der veränderten Berufsfelder von Erzieherinnen und Erziehern die notwendigen Anpassungen des Unterrichtsstoffes an den Fachakademien nicht in ausreichendem Maße stattgefunden haben. Dies gilt insbesondere für die musikpädagogische Arbeit mit den erweiterten Altersgruppen „0-3 Jahre“ und „ab 6 Jahre“. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf. Zu beachten ist dabei, dass die gesetzlichen Vorgaben musikalische Aktivitäten in Kindertagesstätten für Kinder bis zur Einschulung verbindlich vorschreiben und ein Großteil der Erzieherinnen und Erzieher auch in diesem Berufsfeld arbeitet. Daher könnte der Schwerpunkt im Fach Musikpädagogik im ersten Studienjahr an der Fachakademie bei der musikalischen Förderung von Kindern im Vorschulalter liegen (einschließlich Kinder unter drei Jahren). Im zweiten Studienjahr könnte dann eine Profilbildung durch die Wahl eines Vertiefungsgebietes als Ergänzung zur musikpädagogischen Grundausbildung erfolgen. So könnten Studierende, die im Hort, mit Jugendlichen oder im heilpädagogischen Bereich arbeiten wollen, dies dann als Wahlpflichtfach belegen.

Der Lehrplan der Fachakademien überlässt durch seinen sehr offen gehaltenen, fächerübergreifenden, kompetenzorientierten Ansatz den Dozierenden viel Spielraum, den Unterricht so zu gestalten, dass angehende Erzieherinnen und Erzieher auf vielfältige Weise auf musikpädagogisches Handeln in ihrem Berufsalltag vorbereitet werden. Die Bildungsleitlinien enthalten zudem konkrete Handlungsanweisungen dafür, wie Musik in sozialpädagogischen Einrichtungen integriert werden kann beziehungsweise soll. In der Realität stehen Erzieherinnen dann häufig vor der Herausforderung, diese Anforderungen trotz unterschiedlicher Barrieren zu erfüllen. Zeit- und Personalmangel in den sozialpädagogischen Einrichtungen können von den Fachakademien nicht beeinflusst werden, hier besteht von Seiten der Bildungs- und Finanzpolitik die Notwendigkeit, Abhilfe zu schaffen. Erzieherinnen und Erzieher können aber in der Ausbildung darin bestärkt werden, sich dafür einzusetzen, dass die Arbeitsbedingungen so verändert werden, dass die Forderungen des BEPs erfüllt werden können. Sinnvoll erscheint es auch in diesem Zusammenhang, dass sich das pädagogische Fachpersonal untereinander vernetzt. Zudem sollte es selbstverständlich sein, auch genügend Vorbereitungszeit für pädagogische Angebote und deren Planung zur Verfügung gestellt zu bekommen – vergleichbar den entsprechenden Tätigkeiten von Lehrkräften.

Pädagogische Fachkräfte und Musiklehrkräfte: Potenziale zu fruchtbarer Zusammenarbeit

Bedacht werden muss weiterhin, dass Erzieherinnen und Erzieher in ihrem Berufsalltag nicht in erster Linie als Musikpädagoginnen und -pädagogen fungieren. Die Anforderungen ihres Berufsfelds sind ebenso hoch wie vielfältig und verfolgen eine andere Zielsetzung als die Arbeit professioneller Musiklehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen oder Musikschulen. Ein breites Spektrum von Entwicklungsverläufen und Entwicklungsaufgaben soll professionell begleitet werden, Bildungsprozesse verschiedenster Art sind methodisch und didaktisch zu initiieren und zu unterstützen. Dies stellt hohe Ansprüche an fächerübergreifende pädagogische Handlungs- und Sozialkompetenzen angehender Erzieherinnen und Erzieher. Diese pädagogischen Fachkräfte können und sollen keine Musiklehrkräfte ersetzen, und umgekehrt. Die Zielsetzungen im beruflichen Handeln der beiden Professionen sind unterschiedlich und können sich in einer fruchtbaren Zusammenarbeit sehr gut ergänzen.

Ausbildungsangebot und veränderte Arbeitswelt

Trotzdem sollten alle Erzieherinnen und Erzieher eine solide musikalische Grundausbildung erhalten, die sie dazu befähigt, in ihrem jeweiligen Berufsfeld musikalisch tätig zu werden und Musik im Arbeitsalltag einbinden und anwenden zu können. Sie sind vor allem im Vorschulbereich wichtige Bezugspersonen, die täglich über mehrere Stunden mit den Kindern zu tun haben und deswegen großen und prägenden Einfluss ausüben. Studierende brauchen daher praktische, alltagstaugliche Inhalte und Methoden und die Kompetenz, diese für unterschiedliche Altersgruppen und Tätigkeitsfelder einsetzen und abwandeln zu können. Um den Spagat zwischen Bildungs- und Erziehungsplan, Lehrplan und Realität im Rahmen von Ausbildung und Berufstätigkeit zu bewältigen, bedarf es einer noch stärkeren Anpassung der Lehrangebote an die veränderte Arbeitswelt und die aktuellen Bedürfnisse von Erzieherinnen und Erziehern.


Literaturverzeichnis

  • Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales & Staatsinstitut für Frühpädagogik (Hrsg.). (2018). Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (9. Auflage). Berlin: Cornelsen
  • Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst über den Modellversuch „Erzieherausbildung mit optimierten Praxisphasen (OptiPrax)“ vom 28. Juni 2016 (KWMBl. S. 144). Verfügbar unter https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVV_2230_1_3_K_949/true
  • ISB – Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. (2017). Lehrplan für die Fachakademie für Sozialpädagogik auf Grundlage des länderübergreifenden Lehrplans, landesspezifisch angepasst. 1. und 2. Studienjahr. Verfügbar unter http://www.isb.bayern.de/fachschule-fachakademie/lehrplan/fachakademie/…
  • Staatsinstitut für Frühpädagogik. (2014). Die Bayerischen Bildungsleitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit. Verfügbar unter https://www.ifp.bayern.de/projekte/curricula/bayerische_bildungsleitlin…
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