Mit ihren Ausgrabungen haben das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz und sein umtriebiger Intendant Moritz Gogg schon öfter Furore gemacht. Von Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ bis zum überraschend italienischen „Falstaff“ des Briten William Balfe. Die Uraufführung eines Werkes, das gerade fertig geworden ist, setzt aber nochmal eins drauf. Noch dazu, wenn es eine Operette ist, die, sogar mit Ohrwürmern, sofort beim Publikum zündet.
Auch wenn das eigentlich mit 100 Jahren Verspätung kommt. Denn, dass die Operette als Gattung nichts Neues mehr hervorbringt (also daran gemessen tot ist) gilt als so gut wie ausgemacht. Daniel Behle und das kleine aber quicklebendige erzgebirgische Theater gehen jetzt mit einem Gegenbeweis ins Rennen.
Behle ist ein Tenor der Spitzenklasse, der ganz zu recht unter anderem auch in Bayreuth bejubelt wird. Mit seiner ersten Operette „Hopfen und Malz“ beweist er aber auch seine Fähigkeit zum Komponieren. Zur (Über-)Fülle von Einfällen kommt das Handwerk. GMD Jens Georg Bachmann hat das früh erkannt und lässt sich ebenso wie die Musiker der Erzgebirgischen Philharmonie Aue mit hörbarem Vergnügen darauf ein. Behle kann Zitieren, Verfremden und Erfinden. Verleugnet nicht seine Liebe zur Opulenz eines Richard Strauss, liefert Walzertakt und Humtata im wilden Wechsel, veranstaltet damit sozusagen Behles wilde, verwegene Jagd nach dem nächsten Kalauer. Dabei schießt er lieber eine musikalische oder gesprochene Pointe mehr, als eine zu wenig ab. Was allein schon zu einer beachtlichen Trefferquote führt. Manchmal auch nicht. Die Mikroports für die Protagonisten deuten darauf hin, dass das Ganze eigentlich für eine größere Orchester- und Chorstärke gemacht ist.
Dabei ist das Libretto, das Behle zusammen mit dem Schweizer Literaten Alain Claude Sulzer mit einer beachtlichen Dosis von Selbstironie (eines Opernsängers) erstellt hat, gar nicht so einfach gestrickt. Beim Wer-warum-mit-wem oder mit-wem-nicht kann man schon mal den Faden verlieren. Ist aber keine Katastrophe. Auf dem Mittelding zwischen Düne und Deich hat Ausstatter Walter Schütze zwei Wegweiser platziert. Einer zeigt nach Meersum, der andere nach Ölsum. Die Bierbrauer dieser beiden Küsten-Nester liegen in Dauerfehde ums beste Bier. Ölsum ist seit Jahren auf Sieg beim jährlichen Bierwettbewerb abonniert. Was die Konkurrenz ändern will. Mit Freibier. Statt Freikugeln in der Wolfsschlucht zu gießen, wird hier bei Vollmond Freibier in der Wolfsbucht gebraut … Und sichert den Sieg bei der internationalen Jury mit ahnungslosen Ausländern.
Da eine Senta (als verführerische Bergeliebhaberin: Madelaine Vogt) mitspielt, brauchts auch einen (mit Wohnwagen – womit sonst) fahrenden Holländer. Und da der Bernd heißt (großartig: Jason-Nador Tomory), auf Senta scharf ist und seine Mutter vermisst, lamentiert er ariengroßformatig über die Wunde von Bernd (Das Wunder von Bern haben im Publikum offenbar alle gesehen). Auch wenn es dann mal heißt „Früher war mehr Lamento“…… Man merkt dem Ganzen immer die Liebe zum puren Gesang in allen Varianten an. Die Überschreibungen von „das Wandern ist des Müllers Lust“ oder von „Junge, komm bald wieder“ sind hinreißend. Der komponierende Sänger bietet jedem seinen Auftritt. Von nett und charmant operettig (Richard Glöckner als Klaus, ein Wanderer) bis zum parodistisch angehauchten großen Pathos-Ton, der über die Rampe geschmettert wird. Alles in schnellem Wechsel. Maria Rüssel hat als Letty „keine guten Nächte“ (wie Klytämnestra). Leander de Marel macht aus dem Mönch Theophil eine Komödiantennummer mit antiklerikalem Biss. Der Chor macht in Quartettstärke als Deichschafe und Geisterbayern solistisch Eindruck. Ein Sähnehäubchen bzw. ein Schaumkrönchen auf dem Bier ist dann noch der Auftritt der „Erscheinung“ von Mama Cervisiva, die am Ende zum „Maß halten“ auffordert – was man so und so verstehen kann, je nachdem, ob es das oder die Maß ist …. Es ist Renate Behle, die berühmte Mutter des Komponisten. …
Bei Regisseurin Jasmin Solfaghari sind die Figuren alle irgendwie komisch, aber keine wird lächerlich. Man kann den doppelten Boden sehen und hören, sich aber auch amüsieren, wenn das mal nicht ankommt. Sie bietet Witz und Ironie aber nur selten Klamauk. Das muss man erstmal hinbekommen. Ein Daueramüsement von mehr als zweieinhalb Stunden ist zwar auch anstrengend. Aber es lohnt sich.
Der geflügelte, fromme Wunsch „Hopfen und Malz – Gott erhalt’s!“ gilt jedenfalls nicht nur für’s Bier, sondern auch für seine Operette!
- Nächsten Vorstellungen: 25.01.2023, (19.30 Uhr), 05.02.2023, (15.00 Uhr), 12.02.2023, (19.30 Uhr) 24.03.2023, 08.04.2023, (19.30 Uhr) 14.04.2023, (19.30 Uhr)