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Don Giovanni - Henry Neill (Masetto), Jolana Slavíková (Zerlina) und Uwe Schenker-Primus (Don Giovanni). Foto: © Candy Welz
Don Giovanni - Henry Neill (Masetto), Jolana Slavíková (Zerlina) und Uwe Schenker-Primus (Don Giovanni). Foto: © Candy Welz
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Kleiner Mann, was nun? Mozarts „Don Giovanni“ am DNT Weimar

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Mozarts „Don Giovanni“ hat die Nachwelt mit dem Etikett „Oper der Opern“ geadelt. Und jedes Mal, wenn der notorische Verführer zur Hölle gefahren oder wie auch immer aus dem Spiel genommen wird, kommt man zu dem Schluss: stimmt. Der Ernst der Lage ist schon beim ersten Ton der machtvoll einsetzenden Ouvertüre klar. GMD Kirill Karabits bleibt bei dieser Ernsthaftigkeit. Dabei leuchte er mit der Staatskapelle die Ambivalenz der Figuren bis in die dunkelste Ecke aus. Fördert neben Komischem vor allem Abgründiges zu Tage. Selbst dann, wenn eine Hochzeitsgesellschaft ausgelassen drauflos tanzen könnte.

Bei dem bis vor kurzem vor allem in Stuttgart erfolgreichen Choreographen und Opernregie-Einsteiger Demis Volpi und seiner Ausstatterin Tatyana van Walsum sieht die allerdings eher nach ausgelassenem Junggesellen (und -innen) Abschied aus. Männlein wie Weiblein sind hier in langen weißen Kleidern und mit roten Perücken unterwegs. Und wenn die Musik aufdreht, dann drehen sie ab. Ins Surreale mit ihren ruckartig marionettenhaften Bewegungen. Es ist ein Leichtes für den Choreographen dabei die Puppen tanzen zu lassen.

Wer Don Giovanni eigentlich ist, das weiß der anscheinend selbst nicht so genau. Er hat vor allem eine Behauptung von sich zu bieten. „Es klappt, wenn Du es willst“ liest man in den Übertiteln, wenn er Leporello dazu drängt, seine Stelle einzunehmen. Genau das ist sein Verführer-Credo. Und er lacht darüber – eher höllisch, als befreiend. Bis er sich schließlich selbst begegnet, und sich totlacht.

Den rücksichtslosen Verführer gibt es bei Volpi mehrfach. Als stattliches Mannsbild mit schicker Weste. Als kleine Gliederpuppe, gleichsam als Bild von sich, mit dem Leporello oder Elvira spielen, also sich etwas vormachen. Und als Junior. Noch während der Ouvertüre hinter wehenden Gardinen, die neben den Betonblöcken die Bühne beherrschen, sehen wir die hochschwangere Anna, die bald darauf ein Baby im Arm hält. In einem unvermittelten Zeitsprung taucht es als kleiner Junge auf. Familienvater Ottavio stellt bald zu seinem stillen inneren Entsetzen, die Ähnlichkeit der roten Haare des Jungen mit denen Don Giovannis fest. Er zieht erkennbar seine Schlüsse, lässt es aber das Kind nicht spüren. Doch als Anna ihm weiß machen will, dass sie den „Eindringling“ in jener Nacht, in der der Vater zu Tode kam, mit ihm, also ihrem Ehemann verwechselt habe, dann erleben wir das hier in der Körpersprache als einen Ehekrach vom Feinsten. Und mit Gründen auf zwei Beinen und in kurzen Hosen! Dabei stehen sie am Geländer auf einem der Betonblöcke. Irgendwie wirkt das wie eine Verneinung der berühmte Titanic-Pose. Einer der Blöcke hat die Form einer Bank und ist mit lauter Frauen-Vornamen bekritzelt. Wenn schon nicht der Komtur zum Denkmal aus Stein wird, dann doch wenigstens Leporellos Register. Als Metapher ergibt das Sinn. Ebenso wie die entmythologisierende aber schlüssige Schlusspointe, wenn aus dem kleinen Jungen die Donnerworte des Komturs erklingen und Don Giovanni gleichsam in der Konfrontation mit sich selbst im Stadium der Unschuld sein Leben verliert. 

Stark sind die Passagen, in denen Don Giovanni im zweiten Teil selbst schon wie ein Fremder durch sein eigenes Leben geistert, und es nur in der Reaktion der anderen auf sich wahrnimmt. Den ersten Akt beschließt er mit einer exemplarischen Provokation: Er bietet den Rächern, die sich mit Brautschleiern maskiert, auf seinem Fest eingeschlichen haben, und Ottavios gezückter Pistole mit ausgebreiteten Armen lachend die offene Brust. Wohl, weil er genau weiß, dass sich von ihnen keiner zu schießen traut. 

Denn alle leiden am Don-Giovanni-Syndrom. Sie wollen selbst wie der Mann sein, der mit seinem „Viva la libertà" die Freiheit hochleben lässt und vor allem seine eigene meint. Und sie hassen gleichzeitig das Zerstörerische, das damit auch einhergeht. Eine Widersprüchlichkeit, die bei Anna zum Trauma wird, sie regelrecht austicken lässt, wenn sie Ottavio „anmacht“ und sich dabei (darauf kann man wetten) Giovanni als Objekt der Begierde vorstellt. Heike Porstein macht das nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch höchst überzeugend. Uwe Schenker-Primus ist als Don Giovanni (der Kalauer muss sein) wirklich der vokale und darstellerische Primus dieses erstklassigen Protagonistenensembles. Er ist das Zentrum, schöpft das Charisma des Verführers nicht aus Äußerlichkeiten, sondern aus sich selbst. Dass er für Elvira (couragiert zupackend: Camila Ribero-Souza) den Ehemann geben soll, hat sie so verinnerlicht, dass sie gleich im Brautkleid auftaucht und dabei bleibt. Artjom Korotkov verpasst seinem Ottavio genau das Maß an Vernunft, das ihn (auch für Anna und ihren Sohn) lebenstauglich, aber halt auch ein bissel langweilig macht.  

Am nachvollziehbarsten verhalten sich (auch diesmal) Leporello, Masetto und Zerlina. Henry Neill als Bilderbuch-Masetto ist optisch der genaue Gegenentwurf zu Giovanni, hat aber auch vokal einen jungenhaften Charme, mit dem Zerlina (Jolana Slavíková) auf Dauer wohl ganz gut bedient ist. Mit lebenskluger Souveränität laviert sich der Leporello Alik Abdukayumov durch die Gefahren, die ein Leben an der Seite eines Don Giovanni so mit sich bringt. Er wird ihnen allen im Gedächtnis bleiben. Schon weil der Giovanni jun. wie beim Familienfoto zwischen Ottavio und Anna steht. Für dieses Schlussbild hat sich die Decke über ihnen allen aufs Wohnzimmerformat abgesenkt. Was bleibt, ist der Himmel der Erinnerung. 

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