Die Zuschauer, die am Premieren-Abend die Semperoper in einer der beiden Pausen verließen, haben auf jeden Fall eines verpasst: die grandiose Christa Meyer mit dem Schlussgesang der Königin Didon, wenn der Trojaner Énée, samt seiner Leute, Karthago wieder verlässt, um im Auftrag seiner Götter, Italien zu gründen. Mit dieser Rolle hat sich Christa Meyer (nach ihrer atemberaubenden Brangäne in Bayreuth) endgültige in der Liga der Sängerinnen etabliert, für die es allein schon lohnt, eine Vorstellung zu besuchen.
Ganz gleich, was auf dem Programm steht oder die Kritik über die Inszenierung vermeldet. Wie sie sich von der souveränen Herrscherin zur Liebenden wandelt und erblüht, um dann zur rachsüchtigen Furie zu werden, die einem Gründergeschlecht Europas von der nordafrikanischen Küste aus all das an den Hals wünscht, was diesem Kontinent über die Jahrhunderte bis heute widerfährt oder heimzusuchen droht, das ist einfach phänomenal. Sicher intoniert, mit dramatischer Verve und mit einem wunderbar vollen, sinnlichen Timbre.
Bevor diese, sich verschmäht wähnende Königin, sich aber so fundamental von ihren trojanischen „Gästen“ abwendet, hat sie systematisch deren Benehmen übersehen. In Dresden ist es nämlich offensichtlich so, dass die Regisseurin Lydia Steier die Trojaner nicht mag. Und zwar die ohne Anführungszeichen, also die in der Grand opéra von Hector Berlioz. Aber auch die mit, nämlich gleich die ganze Oper. So übergriffig, kulturlos, arrogant und dämlich sieht man dieses Volk auf der Flucht selten auf der Bühne. Selbst die beiden Soldaten, die bleiben und nicht mit nach Italien ziehen wollen, vergewaltigen hier an der Rampe mal eben eine Einheimische! Es ist nicht die einzige Szene an diesem Abend, bei der man sich fragt, was das soll. Wenn es denn in dieser Inszenierung eine inhaltliche Botschaft gibt, dann die, dass Integration von Fremden eine unerfüllbare Aufgabe ist. Die Karthager jedenfalls schaffen das nicht.
Und auch, wenn in der Ästhetik der Bühne von Stefan Heyne und in den Kostümen von Gianluca Falaschi die Entstehungszeit der Oper imaginiert wird, so verweist das erste Bild mit dem vergrößerten Bauplan der Königlich Sächsischen Oper in Dresden als Prospekthalbrund im Hintergrund und auch das zum Trojanischen Pferd umgenutzte Reiterstandbild vom Opernplatz auf einen Ort, der in den letzten Jahren seine eigene Geschichte zum Thema der Oper schreibt bzw. brüllt. Diese Beziehung stellt sich im Auge des Betrachters nunmal her. Selbst wenn sie auf der Bühne ignoriert wird.
Auch die ästhetische Grundhaltung der Inszenierung ist ein Problem. Vor dem Opernprospekt, der beim Untergang Trojas natürlich im Widerschein der Flammen leuchtet, albert eine Operettengesellschaft auf ihren Untergang zu. Mit einem etwas tumbem König und swingenden Untertanen. Mit einer Cassandre im Gouvernantenlook. Nachdem ihre Warnungen ungehört verhallt sind, wird sie zur fanatischen Einpeitscherin des Massenselbstmordes und legt auch schon mal selbst Hand an ihre noch zögernden Schicksalsgenossinnen. Einschließlich der selbstgeknoteten Schlingen für den Laternenpfahl. Und Messern für’s (ziemlich drastische) Bauchaufschlitzen. Wenn dann die anderen Operettensoldaten in Rot und mit der Flinte im Anschlag kommen, benehmen die sich wie erwartet.
Karthago ist dann optisch eine (Eifel?)Turm-Baustelle, die hinter dem Opernprospekt verborgen war. Die erinnert an eine Mischung aus Weihnachtsmarktpyramide und Zwingertor. Dort benehmen sich die Trojaner systematisch genauso daneben, wie die listigen Eroberer im ersten Teil.
Ein inszenatorischer Tiefpunkt ist der Einfall der Numider, die hier wie infantile Vorfahren der Taliban mit ihren Bärten und mit Krummsäbeln aufkreuzen und dann nieder- bzw. „ordentlich“ standrechtlich erschossen werden. So einen szenischen Triumph von Klischees, wie ihn sich Lydia Steier mit dem (trotz allem vorzüglich singenden) Dresdner Opernchor leistet, sieht man heutzutage (zum Glück) selten. Dass sich Steier beim Ballett mit Jahrmarktsakrobatik aus der Affäre zieht, ist da noch am tolerabelsten. Die Frisuren und die Kostümierung in ihrem Karthago und die Versuche, wirklich mit Hammer und Sichel die Menschen in eine neue Gesellschaft zu prügeln, sind allerdings mehr von der Nordküste des Schwarzen Meeres, als von der Südküste des Mittelmeeres inspiriert. Warum auch immer.
Falls das Ganze ernst gemeint ist, bleiben mehr Behauptungen und Fragen als Antworten. Falls es als Parodie auf das nationalistische Pathos des Inhaltes oder das ganze Genre sein sollte, ist es einfach nur missglückt.
Im Graben meint man John Fiore die Freude anzumerken, Berlioz mal mit so einem Luxusorchester funkeln zu lassen. Er tut sich da keinen Zwang an. Allein schon die sicheren Bläser und samtigen Streicher sind Wohltaten, die nicht mehr selbstverständlich sind. Wobei er selbst im Auftrumpfen (ganz im Gegensatz zum Bühnengeschehen) nicht in den Krawall torkelt. Wunderbar besetzt ist auch die zweite weibliche Hauptrolle Cassandre mit der stilsicher betörenden Jennifer Holloway. Da auch Agnieszka Rehlis als Didons Schwester Anna deutlich fundierter singt, als sie spielen muss, gehen die Damen vor den Herren durchs Ziel. Wobei Bryan Register verhalten beginnt und im großen Liebesduett mit Didon seine besten Momente hat. Vom übrigen Ensemble bleibt vor allem Christoph Pohl, als der in jeder Hinsicht überzeugende Chorèbe in Erinnerung.
So sind es diesmal die musikalischen Qualitäten, die den Besuch empfehlenswert machen.