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v.l.n.r. Peter Marsh (Landolfo), Samuel Levine (Bertoldo), Björn Bürger (Arialdo), Frederic Jost (Ordulfo), Juanita Lascarro (Marchesa Matilda Spina), Holger Falk (Enrico; kniend) und Dietrich Volle (Dottore). Foto: Barbara Aumüller
v.l.n.r. Peter Marsh (Landolfo), Samuel Levine (Bertoldo), Björn Bürger (Arialdo), Frederic Jost (Ordulfo), Juanita Lascarro (Marchesa Matilda Spina), Holger Falk (Enrico; kniend) und Dietrich Volle (Dottore). Foto: Barbara Aumüller
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Was ist schon normal – oder die Methode Wahnsinn: Manfred Trojahns „Enrico“ in Frankfurt

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Wer würde sich heutzutage nicht wünschen, dass der eine oder andere aktuelle Herrscher den Wahnsinn nur spielt, den die anderen bei ihm wahrnehmen. Ihn aber nicht zu benennen wagen. Es fällt schwer, beim Rundsaal der Bibliothek, in der jener Enrico sich selbst und seiner Umgebung vormacht, Heinrich IV zu sein, nicht an ein Oval Office von heute zu denken. Wobei natürlich auch hier die Anderen den König machen. Der weiß zwar, dass er es eigentlich nicht ist, hat aber Spaß daran, so zu tun. Macht vermittelt sich halt immer schon zu einem Gutteil über die Konvention der Kommunikation…..

Darum geht es in Manfred Trojahns erster Oper. So, wie sie jetzt im Bockenheimer Depot, der kleinen Spielstätte der Frankfurter Oper, über die Bühne ging, wirkte sie musikalisch ungemein frisch, entfaltete in den 90 Minuten dramatischen Witz, Spannung und Hintersinn, hielt die Zuschauer durchweg in Atem. Die selbstgewählte Bezeichnung „dramatische Komödie“ für das 1991 im Schlosstheater Schwetzingen uraufgeführte Werk, mit dessen Libretto Claus H. Henneberg dem Drama „Enrico IV“ von Luigi Pirandello aus dem Jahre 1922 folgt, trifft das, was man erlebt, recht gut.

Hier hat der Wahnsinn Methode

Für ein Spiel mit dem Wahnsinn eignet sich die Oper als Kunstform ja ohnehin bestens. Welcher normale Mensch singt schon, wenn er was zu sagen hat. Und wo wird Gefühltes schon hörbar. Hier hat der Wahnsinn Methode. 

Auf dem Maskenfest seines Freundes Belcredi hatte Enrico einen Auftritt als deutscher Kaiser Heinrich IV., war dabei vom Pferd gestürzt, und hielt sich nach dem Erwachen aus der Ohnmacht tatsächlich für besagten Herrscher. Dass alle anderen mitspielten, wurde zur Absurdität, weil sie nicht mehr aus dieser Vereinbarung herausfanden. Die Handlung setzt ein, nachdem man sich zwanzig Jahre lang etwas vorgemacht hat. Die einst von Enrico angebetete Mathilda und jener Gastgeber Belcredi versuchen unter Anleitung des Dottore den Teufelskreis zu durchbrechen, also den vermeintlich Verrückten zu heilen. Durch eine Art Schocktherapie. Sie tauschen die lebensgroßen Gemälde, die Enrico und Matilda in den historischen Gewändern von Heinrich IV. und Markgräfin Mathilde von Toskana zeigen und die Bibliothek zieren, in der der vermeintliche Kaiser „residiert“, durch lebendige Ebenbilder aus. Matildes, ihrem Jugendbildnis zum Verwechseln ähnliche Tochter Frida übernimmt die eine und deren Verlobter, Enricos Neffe, die andere Rolle. 

Der geplante Ausstieg aus dem Spiel misslingt – Frida verliert die Fassung, Enrico, der vorher schon seinen Angestellten gegenüber zugegeben hatte, dass er alles durchschaut, erhebt Anspruch auf Frida (als „seine“ Matilde). Als Belcredi dazwischen geht, ersticht ihn Enrico mit der Waffe seines verkleideten Ebenbildes. Die Schocktherapie endet in der Katastrophe, der Ausweg aus der Maskerade ist verschüttet, der gespielte Wahnsinn der einzige Ausweg, um nicht als Mörder zur Rechenschaft gezogen zu werden. 

Trojahns Musik hält in Atem

Trojahns Musik hält so in Atem, wie die abstruse Geschichte selbst. Sie stürzt sich in ein atemloses Parlando, wechselt die Tonlage, langt zu, bäumt sich auf. Und ist dann für Momente ganz leise. Hält immer die Erinnerung wach, dass hier mit dem Wahnsinn gespielt wird. Lässt offen, wer eigentlich wirklich davon befallen ist. Der, der so tut, als glaubte er, der Herrscher zu sein, der mit dem Papst in Canossa einen Strauss auszufechten hat, oder die, die ihn in dem Glauben lassen. 

Trojahn ist in seinem manchmal an große Vorbilder erinnernden Parlando gleichwohl originell und in seiner Erinnerung der Musikgeschichte bei sich selbst und den Forderungen der Komödie, die er damit vorantreibt. 

Es ist faszinierend mit welcher Selbstverständlichkeit, Präzision und Musizierlust sich Roland Böer und die Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchester vor der Bühne auch optisch auf dieses Spiel mit der Geschichte im doppelten Wortsinn einlassen.

Die nicht überladene, aber gleichwohl opulente Bühne von Britta Tönne wird vom Bücherregal-Halbrund umfasst und beherrscht. Foliantenpracht, die Treppen und eines Galerierundgangs bedarf, um erreichbar zu sein. Mit den Kostümen folgt Verena Polkowski dem Wechselspiel von historischer Maskerade und gutbürgerlicher Eleganz. Enrico bevorzugt als Marotte das Büßergewand. 

Das Sängerensemble brilliert mit Virtuosität, der selbst im Rausch der Geschwindigkeit oder dem bewusst chaotischen Durcheinander die Wortverständlichkeit nicht abhanden kommt. Und das dann wieder in ruhigen Passagen gleichsam Luft holt für die nächste Attacke.  

Bariton Holger Falk ist ein fabelhafter Enrico, hält die Balance zwischen – vom Publikum eher, als von seiner Umgebung vermutet – gespieltem und irgendwie ja auch echtem Wahnsinn. Zwanzig Jahre Als Ob sind selbst schon Grund für eine Diagnose. Dabei ist er wandlungsfähig vom Dramatischen übers Belcanto bis zum exaltierten Falsett. Regisseur Tobias Heyder hat für seine unaufgeregt erzählende, der Doppelbödigkeit der (Selbst-)Wahrnehmung folgenden Inszenierung aber auch für alle anderen Rollen fabelhaft spielfreudige und vokal sichere Protagonisten zur Verfügung. Juanita Lascarro als Matilda und Angela Vallone als Frida schaffen mit Verve die weiblichen Gegenstimmen in dem von Männern dominierten Ensemble. 

Dietrich Volle ist der Dottore, der den missglückten Therapieschock initiiert. Sebastian Geyer der am Ende auf der Strecke bleibende Belcredi. Theo Lebow (Carlo), Peter Marsh (Landolfo), Samuel Levine (Bertoldo), Björn Bürger (Arialdo), Frederic Jost (Ordulfo) und Doğuş Güney (Giovanni) komplettieren mit vokaler und darstellerischer Hingabe diese Pirandellotruppe. 

Damit beweist die Oper Frankfurt obendrein dramaturgisches Planungsgeschick. Indem sie Trojahns Diskurs über Wahnsinn und Zeit in der kleinen Spielstätte in zeitliche und damit inhaltliche Korrespondenz zum Wort-oder-Musik Diskurs von Richard Strauss’ „Capriccio“ im Großen Haus setzt. Bravo.

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