Am Mailänder Teatro alla Scala ticken die Uhren bekanntlich ein wenig anders: Spielzeitbeginn ist hier traditionell am 7. Dezember, dem Tag des Heiligen Ambrosius, des städtischen Schutzpatrons Sant’Ambrogio. Am diesjährigen 7. Dezember also startete Musikchef Riccardo Chailly die zweite Saison an seinem Haus. Auf dem Programm stand – natürlich! – italienische Oper vom Feinsten, Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“.
Wie in jedem Jahr gehört zur Saisoneröffnung in Mailand das Theater vor der Oper wie ein Ritual mit dazu, Straßenproteste also gegen eine als höchst elitär gebrandmarkte Kunst. Das ist auch diesmal nicht anders gewesen, hat sich jedoch seit Jahren zu einem erwartbaren Kult gemausert. Auf der einen Seite das Premierenpublikum in seinen feinen Roben, abgeschirmt von einem Massenaufgebot an Polizei, hinter den Absperrungen lautstarke Pfeifkonzerte, aber auch kreative Proteste in Form von Banda-Musik.
In der Oper selbst ist das aber rasch vergessen, denn da geht es um Sehen und Gesehen-Werden. Wer diesmal mit wem sowie Komplimente für die Abendgarderobe sind die vorherrschenden Themen inmitten des unerlässlichen Blitzlichtgewitters. Was bei Kartenpreisen von bis zu 2000 Euro (!) für die Premiere wahrscheinlich dazugehört. Aber auch das ist rasch vergessen, wenn dann der Vorhang aufgeht. In diesem Jahr stand wieder einmal Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ am Ort ihrer 1904 erfolgten Uraufführung auf dem Programm, die ja fast regelmäßig den Spielplan geschmückt hat, lediglich von der „Bohème“ überboten, die noch häufiger hier gezeigt worden ist. Genau zwanzig Jahre nach seiner letzten Mailänder „Butterfly“ hat Riccardo Chailly diesen „Renner“ nun in der zweiaktigen Originalfassung erklingen lassen.
Unter seiner Leitung gab es das zu erwartende Musik-Fest mit einem grandiosen Orchesterklang, der samtig-weich bis mitreißend hart gestaltet eine wirkliche Interpretation dieser ja hochdramatischen Partitur bot.
Auf diesem Klangteppich durfte sich die 1a-Sängerbesetzung sichtlich wohlfühlen: Maria José Siri in der Titelpartie als eine betörend liebende und leidende Butterfly, Annalisa Stroppa als deren ergebene Dienerin Suzuki – stimmlich sind sie in jedem Fall Idealbesetzungen gewesen, was ebenso von den Herren zu sagen ist. Bryn Hymel als amerikanischer Offizier Pinkerton, der sich so eben mal einen japanischen „Schmetterlings-Spaß“ leisten will, Carlos Alvarez als Konsul Sharpless mit wesentlich mehr Verständnis für die emotionalen Gegebenheiten, und Carlo Bosi als schmierig geldgeiler Kuppler Goro – sie waren ein Segen für diese anspruchsvollen Partien. Und selbst die vermeintlichen Nebenrollen sind in Mailand durchweg ohne Fehl und Tadel besetzt worden.
Inszeniert hat diese nun schon 30. Mailänder „Butterfly“ der aus Lettland stammende Theater- und Opernregisseur Alvis Hermanis, der an der Scala bereits Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ herausgebracht hat. Er hatte gemeinsam mit seinem Ausstattungsteam gar nicht erst versucht, die ortsübliche Kulinarik aufzurauen, sondern bediente die gewiss sehr gewünschte Ästhetik mit einer eher architektonischen Inszenierung. Drei Etagen wies das Bühnenbild auf, gehandelt wurde zwar nur im Erdgeschoss, aber so war der Spielraum schon mal künstlich verknappt. Die Obergeschosse wurden mit sich ständig bewegenden Tapetenwänden in Bewegung gehalten, auf denen Fotos und Videos mit klassisch asiatischen Motiven gezeigt wurden. Choreografische Zutat gab’s auch, wodurch das Ganze visuell sehr abwechslungsreich und dennoch mit etwas Platz für psychologische Deutung geraten ist – ohne freilich der eigentlichen Handlung Neues beizufügen. Cio-Cio-San Butterfly „amerikanisiert“ sich, bricht mit japanischen Konventionen und wird von den Ihren verstoßen, Pinkerton aber hat sie längst vergessen und in den Staaten „amerikanisch“ geheiratet, kommt nach drei Jahren mit der Gattin nach Nagasaki zurück und ist dann doch etwas verblüfft ob der anhaltend tiefen Liebe dieser nur als Gespielin gedachten Schmetterlings-Frau. Als ihr der gemeinsame Sohn entrissen werden soll und sie sich entleibt, wird es dann doch emotional. Der Schmerz dieser Frau ist ergreifend – und geht im Premierenbeifall beinahe unter. In Mailand feiert man eben vor allem das Musikfest. Hunderte weiße Rosen regnete es von den Rängen.
Das „Event“ hat auch auf der Straße gesiegt, von Protest war dort nach der Vorstellung nichts mehr zu sehen, die Via Manzoni indes war mit Dutzenden Limousinen in Schwarz vollgestellt. Unter Polizeischutz, versteht sich.
Wer sich selbst ein Bild machen will, die Folgevorstellungen am 13., 16., 18. und 23. Dezember sowie am 3. und 8. Januar sind mit 15 bis 250 Euro wesentlich preisgünstiger. www.teatroallascala.org