Mönchengladbach, im Februar. – „Sollen wir?“ Zustimmendes Nicken. „Wir wollen!“ Im nächsten Moment gibt der freundliche Ordnungshüter die Straße frei. Es kommt Bewegung in das Knäuel vor dem Mönchengladbacher Stadttheater. Ziel: Rathaus Rheydt. Dort befinden die Volksvertreter an diesem Nachmittag über die Zukunft eines 4-Sparten-Hauses. Das Insolvenz-Gespenst geht um. Ein vom Theaterkuratorium bereits beschlossener Nachtragshaushalt hat 1.200 Theaterfreunde in Rage und dann auf die Straße gebracht. Was die einen noch befürchten, ist für andere bereits bittere Erfahrung: Kulturpolitik muss mittlerweile gegen die gewählten Volksvertretern gemacht werden, nicht mit ihnen: Notizen aus der Provinz, die alles daran setzt, nicht ins Provinzielle abzurutschen.
„Schön schmal bleiben, damit wir lang werden.“ Im Grunde ein unnötiger Hinweis, den die Ordner da ausgeben. Tatsächlich ist es beeindruckend, wie sich der Bandwurm durch die Rheydter Kosummeile Richtung Rathaus windet. Ein Zeichen. „Theater ist Leben“, steht auf den Transparenten. Theater, so die unmissverständliche Körpersprache dieser Kultur-Demo, ist mehr als ein Kostenfaktor, mehr als eine „freiwillige Leistung“, was neulich sogar Kulturstaatsminister Neumann zur großen Überraschung der einladenden CDU einmal vor Ort klargestellt hat. Überhaupt, so der Künstlerische Betriebsdirektor Christian Tombeil, seien die Theaterausgaben angesichts eines Schuldenstands der Stadt Mönchgengladbach von 1,1 Milliarden nun wirklich „Peanuts“. Zugleich werde völlig außer Acht gelassen, ergänzt Leo Niederehe vom Vorstand der Niederrheinischen Sinfoniker, dass das Orchester in der Vergangenheit außerordentliche Sparanstrengungen unternommen habe, dass man aus freien Stücken von 87 auf 80 Stellen runtergegangen sei. „Seit Jahren wird jeder Cent umgedreht!“ Auch ein jüngst eingeholtes Gutachten einer auf Kultur spezialisierten Münchner Berater-Firma attestiert der Theaterleitung, hervorragend gewirtschaftet zu haben. Man müsse lange suchen, heißt es da sinngemäß, um republikweit ein so preiswertes Theater zu finden.
Und doch – niemand möchte sich auf eine Prognose fürs kommende Jahr festlegen. Was ist 2010? Lädt Krefeld/Mönchengladbach dann zur 60-Jahr-Feier der Theatergemeinschaft oder zum Jahrgedächtnis der beerdigten VSB, der Vereinigten Städtischen Bühnen? Ersichtlich steht einiges auf dem Spiel, weshalb vorneweg, in der ersten Reihe wie zu alten APO-Zeiten, ein Spruchband getragen wird. Nur, dass darauf in diesem Fall die heimischen Verhältnisse am Pranger stehen. 4. Februar 2009: Mönchengladbach erlebt die erste Theaterdemo ihrer Stadtgeschichte. Am Tag darauf zieht Krefeld nach. Kundgebung vor dem Seidenweberhaus. Der Niederrhein im Theateraufruhr.
„Theater: Ja“
Selbst überregional hat die Vorgeschichte dieser Bürgeraktion einiges Aufsehen erregt. Alarmierende Meldungen liegen auf den Redaktionstischen: Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach in Gefahr! Älteste Theatergemeinschaft der Republik vor dem Aus! Dabei ist der Auslöser solcher Alarmmeldungen vergleichsweise nichtig. Eine regierende CDU/FDP-Koalition im Mönchengladbacher Stadtrat verweigert Finanzmittel, die vom Theaterkuratorium bereits beschlossen sind, was im Fall der Nichtgenehmigung indes die Zahlungsunfähigkeit des Theaters zur Jahresmitte herbeiführen wird. Was man dazu weiß, was man wissen sollte: Nicht die Extrawürste gnadenlos mit dem Mammon wuchernder Intendanten sollen mit dem nachgetragenen Haushalt finanziert werden. Worum es dabei geht, ist die Umsetzung ausgehandelter Erhöhungen im Öffentlichen Dienst, beschlossen von den Tarifpartnern. Kannitverstan! echot es aus den Reihen der Verantwortungsträger zurück. Sicher, fürs „Problem“ habe man „Verständnis“ und, tatsächlich, auch einen genialen Ratschlag parat:
„Sollen sie doch ein Darlehen aufnehmen!“
Auch wenn Ratsherr Dr. Anno Jansen-Winkeln, FDP-Kandidat für die anstehende OB-Wahl, diese erlesene Frechheit mittlerweile zurückgenommen hat und auch wenn der Nachtragshaushalt für die laufende Spielzeit sowie der (um 600.000 Euro gestutzte) Etatentwurf 2009/10 angesichts der ungeahnten Heftigkeit der Bürgerproteste huldvoll „gewährt“ wurde. Dabei sei es, so Generalintendant Jens Pesel, „nachgerade absurd“, bei 485.000 Euro die Reißleine zu ziehen, gleichzeitig mehrere Millionen bereitzustellen, damit aus einer ehemaligen Bundeswehr-Depothalle ein Ausweichquartier für das sanierungsbedürftige Mönchengladbacher Theatergebäude werden kann. Ganz abgesehen davon, ergänzt Hans Jakubowski, Initiator der Bürgeraktion, dass Hunderttausende für städtische Gutachten, für fragwürdige Borussia-Kredite zum Stadionneubau verpulvert würden, so dass an dieser Stelle die Frage erlaubt sein muss: Was eigentlich treibt die Politik, was die Politiker? Was, zum Beispiel, bewegt Torsten Terhorst?
„Alles Luxus!“
Torsten Terhorst ist in der Jungen Union. Das ist gut so – auf jeden Fall für ihn, den (so eine Anhängerin) „Hoffnungsstrahl“ der Partei. Neulich, im November bei der Ratswahl-Kandidatenabstimmung im Mönchengladbacher Wahlbezirk Eicken-Nord, hat er sich sogar gegen den mächtigen Parteifreund, gegen den Fraktionsvorsitzenden Rolf Besten durchgesetzt. In der Aufregung um den nachfolgenden Hickhack, in dem sich Terhorst vom örtlichen Platzhirsch hat über den Tisch ziehen lassen, ist leider ganz übersehen worden, dass die Beiden in Sachen kulturpolitischer Grundausrichtung durchaus eines Sinnes sind. Als Verantwortungsträger in spe hat Jungunionist Terhorst von den Großen gelernt, die Zwitschermaschine am Laufen zu halten. Angesichts eines Millionenfehlbetrags für Kindertagesstätten leiste sich die Stadt, so Terhorst, „für eine gesellschaftliche Elite den Luxus eines Theaters”, um die fällige Maßnahme gleich nachzuschieben: „Im Zweifelsfall“, lässt sich Terhorst von der „BürgerZeitung für Mönchengladbach und Umland“ zitieren, „sollten wir auf den Luxus verzichten.”
Kindergartenplätze gegen Theatersubventionen. Was nicht Fußball, was nicht Fernsehen ist, ist „Elite“, ist „Luxus“. „Brauchen wir nicht!“, meint einer wie Torsten Terhorst, der freiwillig sowieso keinen Fuß über irgendeine Theaterschwelle setzen würde. Dabei weiß er noch nicht einmal, dass gerade das Mönchengladbacher Theater in besonderer Weise Kinder und Jugendliche erreicht. Er könnte die Theaterleitung, er könnte Christian Tombeil dazu befragen. Dabei würde ihm von drei Jugend-Theaterklubs berichtet werden, deren Vorstellungen mittlerweile bares Geld einspielen. Er würde erfahren, dass ein Drittel der Besucher unter 20 Jahre jung ist, dass es 30.000 im Jahr sind, dass sämtliche Kinderstücke ebenso ausverkauft sind wie die fünfzehn saisonalen Kinderkonzerte, ferner, dass Schauspieler, Musiker, Sänger regelmäßig unterwegs sind zu Schulbesuchen. Ob es reichen würde?
„Theater muss uns bleiben“
Jugend braucht mehr als Disco und Kneipen.“ Wie treffend die Forderung der Mönchengladbacher Pro-Theater-Demo ist, spürt man, wenn der wacklige Untergrund einer theatergleichgültigen, wenn nicht latent theaterfeindlichen Stimmung aufgedeckt ist. Diese macht den provinziellen Mief, nicht die Lage. Die Provinz – sie lebt, solange zumindest, hat man den Eindruck, wie es hier Theater gibt.
Nachtrag: Am Rand des Demonstrationszugs durch Rheydts Innenstadt ist es das Blechblasensemble der Niederrheinischen Sinfoniker, das immer wieder Aufstellung nimmt und wunderschöne Klangtrauben, trotz Kälte, trotz Nieselregen, wie Luftballons aufsteigen lässt. Kunst mitten in der Konsummeilen-Tristesse. Nur eben, dass solche Mitteilungen für die, die hier ihr zweites Zuhause gefunden haben, mittlerweile unverständliche Musik-Hieroglyphen geworden sind, Töne aus einer anderen Welt. Wer in die entgeisterten Gesichter derjenigen schaut, die ihrerseits auf eine Theaterdemo starren, die draußen vor der Tür vorbeizieht, weiß, was die Stunde geschlagen hat.