Köln - Ob Ukulele-Spielen im Wohnzimmer, Klavier-Unterricht mit FFP2-Maske oder Musiktherapie per Videokonferenz. Musizieren hat das zweite Corona-Jahr für viele Menschen leichter gemacht. In Pandemie-Zeiten wurden alte Instrumente hervorgekramt - und neue entdeckt.
Keine Kontakte, langer Lockdown: Musik hat vielen Menschen durch das zweite Pandemiejahr geholfen. Die Einschränkungen durch das Coronavirus haben den Musikmarkt dabei nachhaltig geprägt. So fanden auch unbekanntere Instrumente ihren Weg in die heimischen Wohnzimmer: Statt zum Schlagzeug griffen Anfänger laut dem Kölner Musikhändler Michael Sauer beispielsweise zur Kachon - einer kleinen Holzkiste zum Trommeln. E-Pianos seien so beliebt gewesen, dass sie zeitweise komplett ausverkauft waren, sagt Sauer. Der Grund: Die Instrumente machen deutlich weniger Lärm als Schlagzeug und Co.
«Zu Beginn des Jahres galt: Hauptsache kein Blech», erklärt Sauer. Der Musikhändler verkaufte im Lockdown weniger Trompeten, Posaunen oder Tubas. Vielen Kunden seien Blechblasinstrumente schlichtweg zu laut gewesen. «Die Menschen mussten sich zwar irgendwie die Zeit Zuhause vertreiben», sagt er. «Aber Streit mit den Nachbarn wollte dann auch keiner.» Um auch die Kinder während Home-Schooling und Lockdown bei Laune zu halten, griffen laut Sauer viele Eltern zur Ukulele. Die handliche Mini-Gitarre hat nur vier Saiten: «Sie ist leicht zu lernen und zu spielen.»
Doch auch die Erwachsenen suchten eine Beschäftigung, die ohne Kontakte möglich ist. Dadurch sei die Nachfrage nach dem Equipment für sogenanntes Home-Recording gestiegen, sagt Musikhändler Dominic Wagner aus Köln. Kann der Mensch nicht zum Tonstudio, muss das Tonstudio eben zum Menschen - und während Corona hieß das: ins Wohnzimmer.
Musizieren gegen die Krise - das hat laut Forschern vielen Menschen geholfen. Klavier, Trommel oder Ukulele tönten gegen die Einsamkeit an, wie ein internationales Forschungsprojekt unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts herausfand. Menschen mit einer positiven Grundstimmung hätten Musik vor allem als Ersatz für soziale Interaktionen genutzt. Das Musizieren gab ihnen demnach ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Menschen mit stärkeren negativen Emotionen hätten Musik in erster Linie gegen Depressionen, Angst und Stress eingesetzt.
Einsamkeit und psychische Belastungen - nach Angaben von Musiktherapeut Lutz Neugebauer stieg dadurch auch die Nachfrage nach therapeutischen Angeboten. Den Menschen hätten Konzerte und andere niederschwellige Musik-Angebote gefehlt. Neugebauer musiziert mit Kindern sowie älteren Menschen in Pflegeheimen. «Die kontinuierliche Arbeit war in diesem Jahr wahnsinnig schwierig», berichtet er. Mal sei das Singen verboten gewesen, mal waren die Kinder in Quarantäne oder das Altenheim geschlossen.
Zeitweise versuchte Neugebauer, die Therapiestunden auch online anzubieten, um mit den Gruppen Kontakt zu halten. Absolut überzeugt habe ihn das nicht: «Über den Lautsprecher am Computer wird ein Ton zwar lauter, aber man spürt den Klang nicht in der Magengrube», erklärt er. Das Besondere bei der Musiktherapie sei für ihn, «mit jemandem zur gleichen Zeit im gleichen Raum die gleiche Realität zu teilen.»
Auch die Musikschulen mussten mit Online-Unterricht improvisieren. Umso größer war bei ihnen die Erleichterung, als im Sommer wieder mehr erlaubt wurde. «Wir haben uns so gefreut, als wieder Unterricht vor Ort möglich war», sagt Claudia Wanner vom Verband deutscher Musikschulen. Klavier sei dann mit Maske und Trompete bei offenem Fenster geübt worden. «Wir hoffen so sehr, dass nicht die nächsten Schließungen der Musikschulen kommen, weil wieder reihenweise Kinder angesteckt werden», sagt Wanner mit Blick auf die Wintermonate. «Wir hoffen alle, dass es weiter geht.»
Doch die Fallzahlen steigen - und erste Veranstaltungen wurden bereits wieder abgesagt. Das merkt auch Musiktherapeut Neugebauer: Ein Konzert seiner Therapie-Gruppe auf einem Weihnachtsmarkt fiel aus. «Da waren sie sehr traurig. Was für uns schon schwierig ist, ist für Menschen in besonderen Lebenssituationen extrem schwierig», sagt er. «Ich selbst geh eben irgendwann auf ein anderes Konzert. Für jemanden im Altenheim war so ein Konzert jetzt wichtig, in diesem Jahr.»