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Das NDR Elbphilharmonie Orchester. Foto: NDR/Thomas Kierok

Das NDR Elbphilharmonie Orchester. Foto: NDR/Thomas Kierok

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Gewaltiger Elefant im diskursiven Raum

Untertitel
Deutschlands Rundfunksinfonieorchester – ein Gang durch Programme und Konzepte öffentlich-rechtlicher Klangkörper
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„Musik ist Heimat – zugehörig, vielfältig, verbindend.“ So hebt das brandneue Saisonheft 2024/25 des WDR Sinfonieorchesters mit dem Geleitwort des Intendanten Tom Buhrow an und führt weiter aus: „Musik und Heimat verankern sich bejahend im Laufe des Lebens und haben Bedeutung für das, was uns als Menschen ausmacht. [...] Das WDR Sinfonieorchester ist in Köln und NRW zuhause und geht als Botschafter in die Welt: Musik nimmt viele Perspektiven ein und betont das, was uns eint.“ Man könnte das als ein mittlerweile allgegenwärtiges pompöses Kulturmarketing-Gewäsch abtun, dessen sich manch eine Institution gerne bedient, entstünde allerdings aus diesen Worten der Leitungsperson nicht auch ein veritables Leitbild von menschelnd harmonisierender Kunstausübung und, ja, stünde da nicht seit dem 9. November 2022 dieser gewaltige Elefant im weiten diskursiven Raum gegenwärtiger Reformagenden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hierzulande.

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Der Elefant, den Buhrow damals, wohlgemerkt „als Privatmann“ und schon gar nicht als WDR-Intendant und seinerzeitiger ARD-Vorsitzender, frei räsonierend in den Hamburger Überseeclub platzierte war, neben allerlei Synergiegedanken, der einer spekulativen Fusionierung der öffentlich-rechtlichen Orchester zu einem einzigen von Weltklasse. Zwar nur mal eben so als Idee hingestellt, à la: haben die Kolleg*innen Bücher, brauch‘ ich selber keine, hat der Gedanke natürlich zu erwarteten Reaktionen geführt bis hin zum Positionspapier „#WirSindKulturauftrag“ der Musikergewerkschaft unisono. Seitdem ist es aber merkwürdig still um diesen Gedanken, vor allem bei den möglicherweise Betroffenen selber. Business as usual ist angesagt, als wäre nichts gewesen, schließlich sind die Rundfunkklangkörper etwa in den Verlautbarungen der zuständigen Länder-Medien-Ministerialen Raab und Robra mit keiner Silbe ihrer apparatschikhaften Sprache gewürdigt worden. Wo ist ein Elefant? Selbst der aktuelle ARD-Vorsitzende Kai Gniffke wiegelt im Interview mit nmz-Chefredakteur Andreas Kolb (Ausgabe 10/2023) gekonnt ab, dann allerdings in einer Weise, dass es einem doch angst und bange wird: ‚Niemand hat die Absicht…‘! Freilich. Allerdings, legt er nach, ist da sehr wohl „die offene Frage: wie viel wir uns zukünftig noch leisten [können] von dieser Aufgabe, die nicht in unserem Pflichtenheft steht, die wir aber gerne weiter erfüllen würden.“ Wohlgemerkt, da steht nicht ‚erfüllen wollen‘, und so ist es letztlich egal, dass die Einsparungen bei den Klangkörpern minimal wären. Man will diese gar nicht. Da ist der Elefant!

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Blame Game

So zeichnet sich hier schon sprachlich das Blame Game ab, das erst recht dann 2025 gespielt werden wird, wenn über etwaige Beitragserhöhungen und Reformagenden entschieden ist und manch einer der öffentlich-rechtlichen Klangkörper sich womöglich aus dem Heftchen freiwilliger Leistungen mittelfristig gestrichen sieht. ‚Wir Sender würden ja gerne, aber ihr, die Politik, habt uns nicht machen lassen.‘ Worauf die Politik drohend den Finger erbebt, sie hätte doch eben den Kulturauftrag gestärkt. Ja aber, so der Rundfunk, als Kultur gälte nun eben so vieles, der Hessische Kratzputz gehört schließlich gleichermaßen zum Immateriellen Kulturerbe wie das hr-Sinfonieorchester (Musik ist Heimat!), da könnte nicht auch noch die alte Hochkultur besorgt werden bei gleichbleibenden Beitragssätzen. Und so weiter…

Und abermals zeigt sich, wie ein totalisierter Kulturbegriff mit der Zeit dafür gesorgt hat, dass die gute alte, sei’s drum: bürgerliche Kunst aus den Kanons von Leitkulturen jedweder Couleur schlicht aussortiert wurde, weil zu komplex, zu widersprüchlich und unberechenbar und also insgesamt zu wenig verwertbar. Kunstmusik als Gegenstand freier individueller Erfahrung mutierte daher zum gemeinen Bildungsgut, vielfältig einzusetzen für diese oder jene Zwecke, anschlussfähig, berechenbar, zielführend. Letzterem übrigens folgen im oben erwähnten medienpolitischen Jargon stets die Wörter ‚zeitnah‘ sowie ‚umzusetzen‘, und wenn‘s mal Gunstbezeigungen geben soll, dann gerne ‚Exzellenz‘. Und so weiter…

Konzerte in Fülle

Unterdessen, wie gesagt, machen die öffentlich-rechtlichen Klangkörper redlich weiter, haben sie alle ihre neuen Saisonpläne 2024/25 veröffentlicht, und sie sind sehr fleißig. Konzerte, selbstverständlich, gibt es an den Standorten und in den jeweiligen Sendegebieten in Fülle: schließlich ist Regionalisierung auch gerade angesagt, in Wiesloch, Wismar und Wuppertal, ebenso wie in Suhl, Fulda und auf Usedom. Den steilsten Claim, „Absolut Spitzenklassik“, hält zwar immer noch das WDR Sinfonieorchester, wobei in der Sache selber, wie nicht anders zu erwarten, dem das Symphonieorchester des BR eher entspricht mit Simon Rattles bereits in Berlin bewährtem Programm-Mix sowie klug gesetzten Abstechern in die musica viva und zu renommierten Gastspielorten. Das ist Bestandschutz par ­excellence, aber auch die Kölner, ab 2026 mit ­Marie Jacquot als erster Chefdirigentin eines deutschen Rundfunkorchesters, dürfen sich gerade deswegen sicher wähnen, ihre Kollegen vom WDR Funkhausorchester jedoch nicht. Ehedem der Spieloper, der leichten Muse und groß besetzten Unterhaltungsmusik mit Niveau verpflichtet, wird zugesehen, wie das Orchester seit Jahren Stellen wie Profil verliert, und seine neuen Programme kündigt es nur mit reißerischen Überschriften an, bloß keine Details wie Werke, um so einer Senderpolitik zu genügen, die mit dem Orchester nichts anzufangen weiß. Übrigens ein ähnlich verwahrlosendes Leitungsgebaren, mit dem seit Jahren der NDR Chor, Pardon: das NDR Vokal­ensemble gepflegt wird. Nach 2025 dann und dem Abbau des Stellenüberhangs im Windschatten der wenig exponierten Stimmlage (= Alt) dann als NDR Doppelquartett?

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Das NDR Elbphilharmonie Orchester. Foto: NDR/Thomas Kierok

Das NDR Elbphilharmonie Orchester. Foto: NDR/Thomas Kierok

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Am Überhang des männlich dominierten Konzertrepertoires arbeitet sich das Berliner Deutsche Symphonie-Orchester in der zweiten Saison in Folge überzeugend ab, kein Programm ohne Komponistinnen, und verabschiedet nach sieben Jahren Robin Ticciati als beliebten Chef, während in Frankfurt beim hr Alain Altinoglu als neuer begrüßt wird und beim SWR Symphonieorchester François-Xavier Roth als designierter – mit Boulez und Bruckner. Intelligente Zusammenstellungen, wie Rihm und Sibelius in dieser Saison, wird man dann sicher mehr erwarten können, und ebensolche hat das andere Berliner Rundfunkorchester, das RSB dank Vladimir Jurowski wie immer auf dem Programm. Wie immer macht das MDR Sinfonieorchester gern Glass, und viel Neue Musik gibt es in Donau­eschingen, Witten, beim Neuen Werk, der musica viva und Musik der Zeit.

Vermittlung im Überschwang

Im Überschwang findet Vermittlung statt, manche könnten von Übermaß sprechen. Durchweg aber sind die Ensembles im hohen Maß niederschwellig und barrierearm unterwegs, setzen sie eine Fülle von Veranstaltungen mit zielgruppengenauen Angeboten um und erfüllen somit ihren medienpolitischen Auftrag (siehe oben) exzellent. Als ARD-weite Vernetzung dieser Aktivitäten nimmt man dort gern die Musik-Experimente in den Mund, zuletzt etwa zu Ligeti, die letztlich aber stets zu beiläufig, zu bindungsarm und wohl auch zu dünn ausfallen. Dabei bot die ARD im Hinblick auf kulturelle Bildung selber Exzellentes, auch in der Vernetzung von Anstalten und Bildungsträgern, woran man sieht, wieviel Luft nach oben auch in digitalen Zeiten da noch wäre: nämlich die Funkkollegs aus der stolzen „Kultur-für-Alle“-Ära. Bundesweit 42.000 Teilnehmer hatte so das 1984/85 vom Saarländischen Rundfunk verantwortete Kolleg „Kunst“; nicht Clicks oder Besucher, sondern Menschen, die die umfangreichen Unterlagen bestellt und bearbeitet haben, die angeschlossene VHS- und Uni-Kurse besucht haben und nicht zuletzt monatelang regelmäßig am Radio hingen. Seit diesen Zeiten von Thermopapierfax hat sich die Mediennutzung sehr wahrscheinlich geändert, der Umfang von und das Bedürfnis nach Wissenswertem wohl aber kaum.

Leitbilder

Und da wäre noch die Sache mit den Leitbildern oder Vorstellungen, denn wenn man nämlich keine eigenen hat, bekommt man welche verpasst, und das kann manchmal richtig böse aussehen. Siehe oben. Schaut man nämlich nach dem, was die Rundfunkklangkörper etwa von den landläufigen Stadt- und Staatsorchestern unterscheidet, also danach, was im Kern deren Beitragsfinanzierung begründete, fällt einem nichts Besonderes auf. Zieht man einmal die Bespielung der sogenannten Ausspielwege ab, auf welche das Monopol sie nicht mehr haben, die bessere Ausstattung sowie die habituellen Neue-Musik-Programme, die andere mittlerweile auch entdecken, stellt man fest, dass sie alle in der Regel das gleiche machen – ganz extrem: den Ring in zumindest medialer Rufweite zu gleich zwei veritablen Wagner-(H)Orten, einmal (RSB mit Janowski) an der Bismarckstraße und Unter den Linden, beziehungsweise (BRSO mit Rattle) am Max-Joseph-Platz und in Oberfranken. Bei aller gewollten oder tatsächlichen „Exzellenz“: Warum bloß sollte so etwas Aufgabe des Rundfunks sein? Warum bloß, mit sehr gelegentlichen Ausnahmen, stets Einspieler-Konzertstück-Rausschmeißer-Programme und Bruckner-Mahler-Schostakowitsch im Überfluss?

Erklärung aus der Geschichte

Solch Einerlei erklärt sich jedoch aus der Rundfunkgeschichte selber, als Ende 80er, Anfang 90er programmatische Selbstreferentialität oder -beschränktheit vermehrt einzogen in Folge eben aus diesem Grund beileibe nicht nur struktureller Veränderungen. Statt Redaktionen machte nun das Management das Programm, sagte der Betrieb an, was läuft, und nicht, sagen wir: die Musik. Für letztere standen Rundfunkmänner (nun ja, auch sonst waren es andere Zeiten) wie Karl O. Koch, Alfred Krings, Leo Karl Gerhartz oder Christof Bitter, also für Inhalte im strikten und emphatischen Sinne, dafür, dass Performativität live und on the air andere, höhere Ziele verfolgte als die ganz offensichtlichen oder angesagten. Dieser systemimmanente produktive Widerstand gegenüber Ensembleroutinen gewährleistete, dass in aller Regel Außergewöhnliches geschah. 

Nun, seitdem sind die Klangkörper des Rundfunks zumeist genauso gewöhnlich wie all die anderen – und man irrte in der Annahme, sie hätten sich dies nicht auch so gewünscht. Gleichzeitig liegen seitdem ganze Regionen der Musik brach, so zwischen Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ und Ferneyhoughs „Shadowtime“, Meister*innenwerke in Hülle und Fülle, Symphonisches von Kraus bis Killmayer, Umwerfendes, das bloß deshalb nicht aufgeführt wird, weil man sich nicht traut, wie Schumanns chorsinfonische Balladen etwa oder Pousseurs Dichterliebesreigentraum. Von solcherlei Beständen aus die gewöhnliche Praxis, das Repertoire auf keinen Fall abschaffen, aber es exzellieren, es auf die eigene Art einmalig gestalten, das wäre nicht nur etwas, was nur die Rundfunkklangkörper mit ihrer Qualität, ihren Ausspielwegen und der besseren Ausstattung leisten können. 

Das wäre auch etwas fürs eigene Leitbild und die Beitragsfinanzierung obendrein, auch damit man sich nicht mehr vor dem pompösen Kulturmarketing-Gewäsch aus Leitungsetagen ducken muss. Und vor Fusionsgedanken auch nicht. Denn geht es um tatsächlich Außergewöhnliches, kann es nicht genug der Vielfalt geben.

 

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