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Vor 50 Jahren: Süddeutscher Rundfunk löst Radioorchester auf

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Dieter Kölmel, Neue Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 4, August/September 1974
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Was man seit einiger Zeit schon im Süden der deutschen Funk- und Fernsehlandschaft diskutiert und befürchtet hat, ist Wirklichkeit geworden: Der Süddeutsche Rundfunk wird mit dem Ende der Saison 1974/75, das heißt also Ende August 1975, sein Radioorchester auflösen. Steigende Löhne und Gehälter sowie sprunghaft angestiegene Aufwendungen für Fremdleistungen (etwa der Post) auf der einen, eine „völlig unzureichende Berücksichtigung“ des Finanzbedarfs der Funkhäuser bei den seit 1. Januar geltenden und von den Ministerpräsidenten der Länder für vier Jahre (bis 1978) festgeschriebenen Funk- und Fernsehgebühren auf der anderen Seite.

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Die Intendanten der deutschen Hörfunk und Fernsehprogramme, insbesondere SDR-Intendant Professor Hans Bausch, der derzeitige Vorsitzende der ARD, sind leidenschaftlich, leider jedoch vergeblich gegen die Entscheidung der Länderkommission Sturm gelaufen, dem Hörfunk bei der seit 1. Januar geltenden Gebührenerhöhung von insgesamt 2,50 Mark nur 50 Pfennige zukommen zu lassen. Doch weder Argumente noch Denkschriften konnten den Beschluß korrigieren. Die finanzielle Kurzsichtigkeit der Politiker aller Couleur und ihre Angst, durch unpopuläre Maßnahmen wie Gebührenerhöhungen für Funk und Fernsehen Wählerstimmen zu verlieren, drängten die Funkhäuser „auf den Pfad des Bankrotts“ (Bausch). Eine der Folgen davon wird sein, daß der Süddeutsche Rundfunk sein seit Jahrzehnten bewährtes und beliebtes Radioorchester von Willy Mattes Sparmaßnahmen opfern muß.

Schon seit einiger Zeit versucht der Süddeutsche Rundfunk, das finanzielle Dilemma, in das ihn stagnierende Hörerzahlen auf der einen und unnaufhaltsam nach oben kletternde Ausgaben auf der anderen Seite, gebracht haben, durch Kooperation mit anderen Sendern und einen Einstellungsstop für freigewordene Stellen zu umgehen. Ursprünglich war auch vorgesehen, das Radioorchester in einer Kooperation mit dem Südwestfunk Baden-Baden (mit Emmerich Smola in Kaiserslautern) weiterzuführen. Die Verhandlungen scheiterten allerdings, weil sich beide Parteien nicht auf einen gemeinsamen Standort einigen konnten.

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Dieter Kölmel, Neue Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 4, August/September 1974

Dieter Kölmel, Neue Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 4, August/September 1974

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Diese Maßnahme soll innerhalb von zehn Jahren zu Einsparungen in Höhe von 22,5 Millionen Mark führen. Diese Zahlen müssen allerdings jetzt schon bezweifelt werden, da ein großer Teil der Musiker in das Südfunk-Sinfonieorchester übernommen wird und dort seine Gehälter weiterbezieht – allerdings unter einem anderen Titel. Der dann auf 117 Musiker vergrößerte Orchesterapparat soll in ständig wechselnden Besetzungen teilweise die Funktion des bisherigen Radioorchesters übernehmen. Den Bereich der ganz leichten Muse will man durch die Übernahme von Bändern in- und ausländischer Sender bestreiten. Es wird auf das Fingerspitzengefühl und planerische Geschick der Abteilung U-Musik beim SDR ankommen, daß dieser Bereich ebenso wie in den Jahren davor abgedeckt sein wird; schließlich kann das musikalische Angebot einer Rundfunkanstalt sich weder nur mit schwerer Klassik noch mit Pop oder Beat zufrieden geben.

Mittlerweile ist in Gesprächen zwischen den Orchestervorständen und dem Süddeutschen Rundfunk ein Sozialplan ausgearbeitet worden, der bei der Auflösung des Stuttgarter Radioorchesters soziale Härten vermeiden wird; nicht nur die unmittelbar Betroffenen bezeichnen ihn als „vorbildlich“ und „absolut positiv“. Für alle 45 Musiker ist gesorgt. Der Sozialplan des SDR basiert auf den Erfahrungen, die in der Vergangenheit bei Orchesterauflösungen in Freiburg (Willy Stech, 1968) und in Hamburg (Auflösung und Verlegung des NDR-Radio-Orchesters nach Hannover, 1965) gemacht worden waren. Der Plan sieht die Übernahme von 21 Musikern des Radioorchesters in das große Südfunk-Sinfonieorchester vor – eine zahlenmäßige Verstärkung und Erweiterung, die sich Orchesterchef Sergiu Celibidache schon lange gewünscht und ausbedungen hatte; sie wird ihn künftig unabhängig von Aushilfen machen.

Die schon über 60 Jahre alten und kurz vor der Pensionierung stehenden Mitglieder des Radioorchesters – das sind sieben – werden vorzeitig in den Ruhestand versetzt und erhalten ihre volle Pension nach der Versorgungsordnung des SDR. Sechs weitere Orchestermitglieder (zwischen 45 und 60) können zwischen zwei Möglichkeiten wählen: vorzeitige Pensionierung mit entsprechenden Versorgungsbezügen, dazu die Zustimmung des SDR für unbegrenzten Nebenverdienst; zum anderen kann der bisherige Vertrag in einer anderen Weise erneuert werden. Die Bedingung dafür wäre, „jede andere zumutbare musikalische Arbeit“ (Aushilfe im Sinfonieorchester, Hörspielmusik, Hintergrundmusik) bei gleichem Gehalt zu akzeptieren. Vier Musiker sind noch keine zehn Jahre beim Süddeutschen Rundfunk und könnten noch gekündigt werden. Sie erhalten vom SDR bis 31. August 1975 – gewissermaßen als einmalige Abfindung – ihr volles Gehalt, gleichgültig, ob sie in der Zwischenzeit ein Engagement annehmen oder nicht. Ähnlich verfuhr man auch mit fünf anderen Musikern, die das Probejahr noch nicht vollendet haben.

  • Dieter Kölmel, Neue Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 4, August/September 1974
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