Nachdem das Auswärtige Amt das für den 13. November geplante Konzert der Dresdner Sinfoniker im deutschen Generalkonsulat Istanbul abgesagt hatte, reagieren die Musiker um Intendant Markus Rindt mit einer Einladung – an den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er möge die Schirmherrschaft der geplanten deutsch-türkisch-armenischen Freundschaftsgesellschaft übernehmen.
Die sollte ursprünglich im Zusammenhang mit dem ausdrücklich als Versöhnungsgeste in der Türkei geplanten Auftritt ins Leben gerufen werden und das Trennende in der Debatte um den Völkermord des Osmanischen Reichs an den Armeniern zu überwinden helfen. Nun kündigte Sinfoniker-Intendant Markus Rindt eine baldige Gründungsveranstaltung in Berlin an und nannte Persönlichkeiten wie Cem Özdemir, Osman Okkan, Rolf Hosfeld, Lianna Haroutounian und Ilias Uyar als erste Mitglieder.
Dem Künstler zufolge habe Steinmeier, der das 2015 in Berlin uraufgeführte Projekt „Aghet“ zunächst als „Leuchtturm auf dem Pfad der Versöhnung“ bezeichnet hatte, die Konzertabsage ausdrücklich als eine Verschiebung verstehen wollen: „Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass wir unsere Zusammenarbeit im Interesse der Annäherung zwischen der Türkei und Armenien fortsetzen sollen“, wird der Politiker zitiert. Er habe vorgeschlagen, „dass wir dazu im Gespräch bleiben und eine Durchführung Ihres Projekts unter günstigeren Rahmenbedingungen und mit einer besseren Vorbereitung als der derzeitigen neu planen.“ Allerdings fühle sich der Musiker durch die Absage des Istanbuler Auftritts „an historische Zeiten“ erinnert. Auch 1915 habe Berlin aus falsch verstandener Rücksichtnahme zum Massenmord an Türken armenischer Herkunft geschwiegen. Bis zu eineinhalb Millionen Menschen sollen dem Genozid zum Opfer gefallen sein. Die derzeitige Regierung der Türkei weist das von sich, Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht das selbstredend anders: „So etwas wie ein Genozid liegt unserer Gesellschaft fern. Wir werden einen solchen Vorwurf niemals akzeptieren. “Entsprechend frostig wurde auf die Bundestagsresolution zum Völkermord reagiert - die umgehend als „nicht bindend“ relativiert wurde. Tatsächlich eine Fortsetzung historischen Fehlverhaltens?
Berliner Mitschuld damals und heute Markus Rindt und Marc Sinan, die Initiatoren von „Aghet“ dürften Steinmeiers Worte als Versprechen auffassen und am Thema konsequent dranbleiben. In einem Schreiben an den Außenminister haben sie am 26. November darauf hingewiesen, dass Berlin schon 1915 auf das Schicksal der Armenier hätte Einfluss nehmen sollen: „Heute sehen wir dies einhellig als schweres Versäumnis an, als Mitschuld! Jedoch setzt sich die leidvolle Geschichte der Minderheiten und Andersdenkenden in der Türkei fort. In den letzten Wochen sind zehntausende Menschen entlassen, verhaftet, gefoltert oder getötet worden. Ist dies nicht auch deshalb möglich, weil Verbündete und Partner aus strategischem Kalkül seit langem schweigen?“ Der Fehler liege am Anfang des Schweigens. „Ihn nicht zu korrigieren, sondern immer weiter fortzusetzen, wird in der Rückschau das größte Leid verursacht haben.“
Unterdessen sorgt der Skandal um die Absage des Istanbul-Konzerts mit den Dresdner Sinfonikern, deren Projekt gemeinsam von armenischen, deutschen, türkischen sowie aus Ländern Ex-Jugoslawiens stammenden Musikern realisiert wird, weiter für Schlagzeilen. Nahezu alle deutschen Feuilleton sowie zahlreiche internationale Medien – darunter auch türkische Zeitungen mit Armenien-freundlicher Gesinnung – haben das peinliche Verhalten des Auswärtigen Amts aufgegriffen. Nachdem es dort zunächst recht lapidar hieß, die Räume im deutschen Generalkonsulat Istanbul stünden nicht zur Verfügung, wurde später noch damit nachgelegt, dass Musiker nicht befugt seien, Gäste ins Konsulat einzuladen. Ein weiterer Vorwand?
In der Tat hatten Rindt und Sinan, gewiss um Aufmerksamkeit heischend, sowohl den türkischen Präsidenten als auch den Ministerpräsidenten nebst Kultur- und Außenminister zum Konzert im sogenannten Kaisersaal (welche Erinnerungen weckt dieser Name?!) des deutschen Generalkonsulats eingeladen. Obendrein hatten sie eine extra für Erdogan gemäßigte Fassung des Stücks angekündigt. Auf den von Helmut Oehring komponierten Passus „Massaker, hört ihr Massaker! (an: Recep Tayyip Erdogan)“ sollte in Istanbul verzichtet und lediglich eine kammermusikalische Version aufgeführt werden. Klingt ganz danach, als hätten sie mit dieser Einladung eine Art Eigentor fabriziert, denn es steht zu vermuten, dass „Aghet“ bis zur amtlichen Absage still und heimlich aufgeführt werden sollte, um die türkischen Möchtegern-Partner nicht zu verstören. Es stehen schließlich das EU-Flüchtlingsabkommen sowie der Zutritt zum deutschen Militärstützpunkt Incirlik auf dem Spiel, nachdem das künftige Mitwirken Ankaras am EU-Kulturprogramm wegen „Aghet“ bereits aufgekündigt worden ist. Diese Reaktion freilich dürfte sich vor allem gegen türkische Künstlerinnen und Künstler richten.
Die Konzerte im serbischen Belgrad und in der armenischen Hauptstadt Jerewan (5. und 10. November) sollen jedoch wie geplant stattfinden, so Markus Rindt. Denn auch in diesen beiden Städten spielt das Thema Versöhnung eine wichtige Rolle.