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„Parsifal“ in der Inszenierung von Michael Schulz bei den Osterfestspielen Salzburg. Foto: Osterfestspiele Salzburg/Forster
„Parsifal“ in der Inszenierung von Michael Schulz bei den Osterfestspielen Salzburg. Foto: Osterfestspiele Salzburg/Forster
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Der Himmel hängt voller Metaphern: Zur Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele mit Wagners „Parsifal“ unter Christian Thielemann

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Salzburg ist konservativ. Da bricht man nicht so schnell mit Traditionen. Wenn zu den dortigen Osterfestspielen nun allerdings von „Neubeginn“ die Rede ist, kommt das einer Kulturrevolution gleich. Fast ein halbes Jahrhundert lag das durch Herbert von Karajan gegründete Elite-Festival fest in den Händen der Berliner Philharmoniker. Die spielen nun Ostern in Baden-Baden und Salzburg wird sächsisch. Konnten Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden dem hohen Erwartungsdruck gerecht werden? „Parsifal“ – was sonst im Wagner-Jahr? – setzte am Samstag den Auftakt.

Sie gelten als Festival von allerhöchstem Renommee: Seit ihrer Gründung durch Herbert von Karajan im Jahr 1967 stehen die Salzburger Osterfestspiele für Exklusivität und künstlerischen Anspruch. Alljährlich pilgern Klassikliebhaber aus aller Welt an die Salzach, um für teuer Geld in den Genuss seltener Opernaufführungen und Konzerte zu kommen. Bislang bürgten die Berliner Philharmoniker und ihre Chefdirigenten für auserlesene Qualität, zu der stets auch namhafte Gastsolisten beitrugen. In diesem Jahr liegt die Künstlerische Leitung erstmals in Händen von Christian Thielemann, dem einstigen Assistenten Karajans, neben dem er 1981 just zu Wagners „Parsifal“ erste Erfahrungen bei diesem luxuriösen Musikfest sammeln konnte.

Nun hat ihn dessen neuer Intendant, Peter Alward, für die Künstlerische Leitung gewinnen können – ein in der Musikwelt viel beachteter Coup – und er tritt dieses Amt mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden als von nun an festem Residenzorchester an. Erst zu Beginn der laufenden Spielzeit ist Thielemann Chefdirigent dieses traditionsreichen Klangkörpers geworden, das Wagner einst als „Wunderharfe“ bezeichnet haben soll. Die eng damit verbundene Semperoper ist zum fixen Kooperationspartner im Musiktheaterbereich geworden. Eine logische Konsequenz.

Im Wagner-Jahr liegt es ebenso konsequent nahe, die Osterfestspiele mit einem Werk des Dichter-Komponisten zu eröffnen, zum 200. nun mit dessen letzter Oper „Parsifal“. Ein Plan, der schon vor dem Salzburger Finanzskandal vorlag, in dessen Folge die Berliner und Simon Rattle von der Salzach an die Oos gezogen sind. Auch Regisseur Michael Schulz und ein Großteil der Besetzung standen wohl vorher schon fest. Mit der Berufung Thielemanns und der Dresdner gibt es dennoch eine Reihe von Novitäten, auch wenn nicht alles über Bord geworfen worden ist, was das bisherige Konzept ausgemacht hat. Nach wie vor werden eine Oper und drei Konzerte in jeweils zwei Durchgängen aufgeführt. Programmatisch neu sind ein „Konzert für Salzburg“ zu relativ günstigen Preisen, eine „Nacht der Kammermusik“ sowie je ein Kammerkonzert und ein Kinderkonzert „Kapelle für Kids“. Letzteres war der eigentliche Auftakt zum Festival 2013, eine gut besuchte Matinee mit einem kurzen Querschnitt aus dem „Ring des Nibelungen“. Kurzweilig und kindgerecht, dennoch von hoher Qualität. Die Früchte solcher Ambitionen werden erst in einigen Jahren geerntet, wenn nämlich die Kids von heute in der Beschäftigung mit Wagner etwas ganz Selbstverständliches sehen.

Mit großer Selbstverständlichkeit gab selbigen Tags zum langen Abend ein durchweg älteres Publikum Unmengen von Geld aus, um dem veritablen „Neubeginn“ der Salzburger Osterfestspiele beizuwohnen. Eben mit „Parsifal“. Um vom Ruf des Elite-Festivals etwas abzurücken, kosteten die teuersten Karten diesmal nicht 510 Euro wie 2012, sondern „nur mehr“ 490 Euro. Das aufwändige Programmbuch zu lediglich 17 Euro las sich da schon fast wie ein Schnäppchen.

Kostbarkeiten aus dem Graben

Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ in der Neuinszenierung von Michael Schulz glänzte zunächst einmal mit großen Namen. Wolfgang Koch sang auf eigenen Wunsch sowohl den Amfortas als auch den Klingsor. Beide begegnen sich ja nicht auf der Bühne, also „ging sich das aus“. Um es gleich zu sagen: Koch bewältigte diese doppelte Herausforderung mit Bravour; ganz kurzen Ermüdungserscheinungen im Verlaufe des Abends begegnete er mit einer überzeugenden Kraftanstrengung, der Publikumszuspruch war ihm gewiss.

Damit hätte man auch bei Johan Botha in der Titelpartie rechnen können. Doch der Südafrikaner hatte nicht nur leichte Anlaufschwierigkeiten auszuwetzen, sondern auch mit vokaler Diskontinuität zu ringen. Von spielerischen Unzulänglichkeiten später. Da gab es nämlich nicht mal Anlauf. Auch Milcho Borovinov als Titurel, ein junger Bass aus Bulgarien, derzeit an der Oper Leipzig unter Vertrag, überzeugte mit Präzision und stimmlicher Sauberkeit. Stephen Milling als Gurnemanz mag manchem noch als Neuling gegolten haben, dabei brillierte er in diesem Part nicht erst in Salzburg, er hat ihn unter anderem schon an der Wiener Staatsoper gesungen und bewältigte ihn im Großen Festspielhaus einmal mehr mit unaufgeregt klarer Stimmführung und fülliger Tiefe. Jede Kundry ist da zu mehr Hysterie gezwungen, ohne die Balance verlieren zu dürfen – Michaela Schuster gelang dies mit Überzeugungsarbeit in Spiel und Gesang.

Doch die Masse des Publikums dürfte auf das Salzburger Zusammentreffen von Thielemann und Kapelle gespannt gewesen sein. Ein hoher Erwartungsdruck, der sich nicht zuletzt darin äußerte, dass die Opernpremiere erstmals im Fernsehen übertragen wurde. Vom ersten Ton an sprudelten Kostbarkeiten aus dem Graben – ein samtiger Streicherklang, Präzision und Ausgewogenheit bei den Bläsern, wohlklingendes Holz, bestens abgemischtes Blech (mit winzigen Dellen), das Schlagwerk geradezu dezent eingebunden bis hin zum dann alles überbordenden Glockenklang. Überhaupt die Dynamik, die Übergänge – als wäre es für Thielemann gerade in dieser Entsagungsoper die größte Lust gewesen, mit Charme ohne Ende zu punkten. Wie nebenher legte er mit feinem Gespür noch den Boden für beinahe ausnahmslos gute Textverständlichkeit. Die Gesangssolisten sowie der von Pablo Assante vorzüglich präparierte Dresdner Opernchor, der von Mitgliedern des Bayerischen Staatsopernchors noch ergänzt wurde, werden es ihm gedankt haben.
Dank und Zuspruch gab es freilich auch vom Publikum, dem hier ordentlich was geboten wurde fürs Geld. Applaus schon nach dem ersten Aufzug, dabei hatte sich das Wagners Witwe Cosima doch einstens verbeten. Also wurde eifrig gezischt, auf dass wieder Ruhe einkehrte. Ruhe zur Weihe. Nach der zweiten Pause war es damit vorbei, das Dresdner Orchester und sein Berliner Chef wurden mit stürmischem Beifall vor dem letzten Aufzug begrüßt. Alles Eis war gebrochen.

„Parsifal“ mit Venusberg?

Wenn ausgemachte Grantler etwas zum Meckern suchen, dann finden sie das auch. Unübersehbar war das Volumen von Bothas Parsifal, noch dazu ungünstig verpackt. Der musste sich kaum bewegen, er war immer schon fast überall da. Zum Schluss hieß es sogar, er sei der Venusberg im „Parsifal“ gewesen, Salzburgs Grüner Hügel zur Bühnenweihe. Andere mokierten sich, dass just aus der Doppelrolle von Wolfgang Koch nichts Sinnstiftendes inszeniert worden ist. Doch das sind schon die ersten Probleme der Regie.

Michael Schulz hat mit seinem Ausstatter Alexander Polzin auf bildmächtige Wirkung gesetzt. Riesige Plexiglassäulen im ersten Aufzug, ein von der Bühnendecke real gespiegeltes Lapidarium im zweiten und zuletzt eine Verknappung des gewaltig breiten Portals auf eine schräge Scholle aus eiskaltem Plexiglas. Um den riesigen Raum nicht gänzlich ungenutzt zu lassen, wurden noch ein paar Raubtiere drumherum drapiert. Aha, Bedrohung!

Dabei hätte die Grundidee dieser Produktion wohl das Zeug gehabt zu so manchem Aha-Erlebnis. Hätte, wenn für die Infragestellung des giftig Religiösen in dieser Entsagungsoper eine Sprache gefunden worden wäre, die von mehr als nur diffuser Symbolik lebte. Die Gralsritter sind teilweise gekleidet wie Constantin Meuniers Hütten- und Hafenarbeiter. In ihrem Wahn wirken sie mitunter wie im Rausch, entseelt geradezu, aber von Wächtern stets in Schach gehalten. Leise Kritik am christlichen Fundamentalismus oder ein Anprangern von Sektenkult allgemein?

Gestalten à la Homunkulus steigen durch die Glasröhren, überall lauert ein Gottesnarr, der als stumme Rolle auch noch ein Double hat – Kundrys unerlöstes Leid nach ihrem Lachen am Kreuz. Ein starkes Bild gelingt ebenfalls durch eine Dopplung, indem Klingsor ein kleinwüchsiger Mann beigestellt ist, der sein bezwingender Führer wird und den Kundry schließlich erstickt. Aber hatte man nicht auch so gewusst, dass dieser vor Lust verzweifelte und aus Besessenheit entmannte Klingsor ein verkrüppeltes Wesen ist, zum Untergehen verurteilt? Die Plastiken aus griechisch-römischer Antike inmitten von Asiatika, sie stehen am Boden und hängen quasi vom Himmel – ja, alles Metaphern, aber wofür? Die eisige Insel eines allerletzten Rückzugs vom Leben, wo sich getrost alle Sünder herumlaufenden Heilanden an den Hals werfen können – fehlt nur noch der Wachturm?

Da ballt sich Stunde um Stunde mehr der Drang nach Erlösung, er entlädt sich in einem gellenden Buh-Gewitter an die Adresse der Regie. Den Sängerdarstellern wurde anständig und durchaus differenziert zugejubelt, Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle jedoch wurden enthusiastisch gefeiert. Der Wagnerianer aus Berlin, der mit einem Großteil seiner Musiker auch in Bayreuth wie zu Hause ist, er wurde vom durchaus verwöhnten Osterpublikum in Salzburg willkommen geheißen.

Osterfestspiele 2013 noch bis zum 1. April. „Parsifal“ in Salzburg noch einmal am 1. April, im Oktober in Peking, später auch in Dresden und Madrid

www.osterfestspiele-salzburg.at

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