Von Nürnberg kam er nach Dresden, doch eigentlich stammt Peter Theiler aus der Schweiz. Er wurde 1956 in Basel geboren, hat erfolgreich an Theatern in seinem Heimatland, in Frankreich sowie in Deutschland gearbeitet, zuletzt war er zehn Jahre lang Staatsintendant am Dreispartentheater in Nürnberg. Dort tritt nun Regisseur Jens-Daniel Herzog die Nachfolge an, während Theiler dem Ruf aus Dresden folgt. Im Interview erläutert er seine Sicht auf die Stadt und seine Vorhaben an der Semperoper.
Die ersten Arbeitstage als Intendant der Sächsischen Staatsoper hat er schon hinter sich – und damit den dreijährigen Spagat zwischen Nürnberg und Dresden beendet. Die erste Opernvorstellung der neuen Spielzeit von Intendant Peter Theiler an seiner neuen Wirkungsstätte war just „La forza del destino“ von Giuseppe Verdi, „Die Macht des Schicksals“. Ein geradezu bildhafter Titel für den Amtsantritt.
Frage: Antritt mit „Die Macht des Schicksals“ – glauben Sie an die Macht des Schicksals, Peter Theiler?
Peter Theiler: Das wäre ein bisschen fatalistisch formuliert, denn an so etwas wie Schicksal glaube ich eher nicht. Im Grunde haben wir alle selbst zu verantworten, was wir tun, haben unser Schicksal also ein Stück weit in eigenen Händen. Andererseits gibt es Konflikte und Mächte, auf die wir weniger Einfluss haben. Als überzeugter Demokrat gehe ich allerdings davon aus, dass ich das, wofür ich mich entscheide, am Ende auch verwirklicht sehe. Denn in einer liberalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft haben wir glücklicherweise einen großen Einfluss darauf, was mit unserem Leben und unseren Lebensumständen geschieht.
Mag sein, dass das hier in Sachsen im Moment gerade etwas zu optimistisch klingen mag, doch aus meiner Denktradition als Schweizer heraus habe ich auch immer die eigene Verantwortung zur Gestaltung gesellschaftlicher Realitäten im Blick, die wahrzunehmen man verpflichtet ist. Insofern glaube ich nicht an Schicksal, sondern an das, was wir gemeinsam eigenverantwortlich aus unserer Welt machen. Und wir sollten stets das Beste daraus machen wollen.
Ihre Biografie verzeichnet viele spannende Orte: Regieassistenzen in Genf und Frankfurt, frühe Begegnungen mit Ruth Berghaus, Regiearbeiten, Lehrtätigkeit, Festspielleitung und dann Intendanzen in Solothurn, Gelsenkirchen und Nürnberg. Welches „Schicksal“ hat Sie nach Dresden geführt?
Das war ein Anruf im Auftrag der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst. Ich wurde gefragt, ob ich Interesse an der Besetzung dieses Postens hätte und da habe ich natürlich sofort Ja gesagt. Nun freue ich mich sehr, dass es dazu gekommen ist und ich an einem so gut aufgestellten, exzellent geführten Haus wie der Semperoper Dresden tätig sein darf. Wolfgang Rothe hat meinen größten Respekt dafür, dass er diese Aufgabe in den vergangenen Jahren so exzellent bewältigt hat.
Der neue Start war mit einem Abschied verbunden, gab es für Sie neben dem lachenden auch ein weinendes Auge?
Ich habe in Nürnberg sehr schöne Jahre verbracht und habe dort sehr gerne gearbeitet. Insofern gab es schon ein weinendes Auge. Sehen Sie, wir haben in diesem Dezennium im Grunde alles erreicht, was man erreichen konnte und als loyaler Mensch, der ich bin, war es mir auch wichtig, dass ich meinen Vertrag bis zum Ende erfülle und nicht vorzeitig weggehe.
Auf der anderen Seite bin ich jetzt wirklich auf Dresden eingestellt, wo meine Frau und ich ja schon seit eineinhalb Jahren eine Wohnung haben, und wir fühlen uns hier zu Hause.
In welcher Liga hat Nürnberg bisher gespielt, in welcher soll Dresden künftig agieren?
Dresden ist erste Liga, das ist doch ganz klar. Nürnberg rangiert zwar nicht in der gleichen Position, muss sich aber auch nicht verstecken. Es ist eines der größten deutschen Mehrspartentheater, das gleichzeitig vier Bühnen bespielt und auf der klassischen Repertoire- und Ensemblekultur basiert. Wir haben den Fokus auf Vielfältigkeit gesetzt und damit oft bis zu 3.000 Gäste an einem Abend erreicht.
In Dresden liegt der Fokus unter anderem auf der fantastischen Staatskapelle, die geradezu konkurrenzlos ist und zu den besten der Welt zählt. Hinzu kommt dieses wunderbare Opernhaus mit seinem einmaligen Renommee. Das muss man pflegen und gleichzeitig ausbauen. Wir sind uns dieser Verantwortung wohl bewusst, einem internationalen Anspruch gerecht zu werden, der sich sowohl im Spielplan als auch in der Besetzungspolitik niederschlagen muss.
Welche Intentionen verbinden Sie mit dem Spielplan Ihrer ersten Saison?
Dresden braucht ein innovatives, verantwortungsvolles und zeitbezogenes Theater, das Stellung zu den Problemen unserer Gegenwart nimmt, das heißt, auch zu zwischenmenschlichen Fragen und gesellschaftlichem Umgang miteinander. All das sind Zielsetzungen, die mein Team und mich antreiben, danach richtet sich auch unsere Spielplangestaltung: In der neuen Spielzeit sind sechs Neuproduktionen der Semperoper zu sehen und ebenso sind wir mit unserem Programm in Semper Zwei äußerst ambitioniert unterwegs. Es gilt, einen Spagat auszutarieren, der einerseits die Wünsche unseres nationalen und internationalen Publikums befriedigt, andererseits die Erwartungen der Einheimischen berücksichtigt, die in erster Linie unsere Abonnenten sind.
Wie politisch soll oder darf Musiktheater sein?
Ich bin ein politisch denkender Theatermacher, der der Ansicht ist, dass das Theater sowie jede Art von künstlerischer Äußerung immer Position zu Zeitfragen bezieht. Das zeichnet ja gerade die Qualität des deutschsprachigen Theaters aus, dass es spätestens seit der Aufklärung zu Lessings Zeiten aktuell auf gesellschafts- und kulturpolitische Situationen reagiert. Das muss man gar nicht explizit als politisches Theater apostrophieren. Damit verbunden ist natürlich eine enorme Verantwortung, Stückinhalte unter musikalischen, literarischen, gesellschaftsrelevanten und auch historischen Gesichtspunkten relevant auszuloten und zu präsentieren.
Dresden also nicht nur als kulinarischer Präsentierteller, sondern als Ort gesellschaftlicher Diskurse, als Reibungspunkt?
Das soll es sogar sein! Ein Ort, der auch mal unbequem sein darf. Genügend Reibungspunkte sind ja vorhanden. Es geht also nicht nur um Opulenz, es geht einfach um Wirklichkeit. Und die finden wir in den Stücken. Schauen Sie sich die Opern von Verdi, Wagner oder Puccini an, auch viele Autoren des 20. Jahrhunderts haben danach gesucht.
Da Sie „Die Macht des Schicksals“ angesprochen hatten: Es geht doch nicht nur um Schicksal, Verdi hat die Zerrissenheit des damaligen Italien zu seinem Stoff gemacht. Natürlich werden wir das 18. oder 19. Jahrhundert nicht einfach abbilden, sondern wir müssen es in unsere heutige Erfahrungswelt sinnlich transponieren, es mit unseren modernen Augen betrachten, in unsere Gedankenwelt übertragen, um es begreifbar zu machen und zu unserer Zeit in Relation zu setzen
Sie überraschen mit neuen Namen wie Calixto Bieito und dem Sänger Rolando Villazón, die beide erstmals in Dresden Regie führen werden. Daneben gibt’s auch ein Wiedersehen mit Peter Konwitschny. Versuch einer Versöhnung oder vorsichtige Provokation?
Weder das Eine noch das Andere. Es ist meine Bewunderung für die Art, wie Peter Konwitschny Theater macht. Ich schätze sehr, wie er arbeitet: Klar, konzis, knapp zu Gunsten einer bedeutenden Aussage. Damit ist er einer der ganz großen Regisseure. Dass er damals im Eklat gegangen ist, spielt dabei gar keine Rolle. Er hat hier sein Publikum, weil er mit einer großen Weisheit Dinge interpretiert und sie immer neu, für unsere heutige Zeit relevant umsetzt. Das ist Theater aus dem Geist der Musik und letztlich auch aus dem Geist eines gesellschaftlichen Zusammenhalts – mit der Kritik an jenen Dingen, die diesen Zusammenhalt gefährden.
In der Vergangenheit wurde mitunter der Graben zwischen den Sparten Oper, Ballett und der Staatskapelle moniert. Wie soll der überwunden werden?
Erst einmal ist die Sächsische Staatskapelle eines der besten Orchester, das man sich denken kann. Was unsere Zusammenarbeit anbelangt, so arbeiten wir grundsätzlich miteinander, schließlich ist es das Orchester der Semperoper Dresden und spielt dementsprechend einen Großteil seiner Aufgaben hier im Haus. Es braucht natürlich wie alle Orchester seine eigene, vitale und künstlerisch prägende Konzerttätigkeit, denn daraus speist sich seine internationale Reputation. Das ist ein ebenso großes Kapital. Beide Bereiche eng zu verbinden ist das Beste, was wir tun können.
Nach drei Jahren Vorbereitung und dem im Sommer realisierten Wohnungsumzug – wie vertraut fühlen Sie sich schon mit Dresden und etwaigen Besonderheiten hier im Elbtal?
Meine Frau und ich wir sind sehr gerne hier und davon überzeugt, den richtigen Schritt getan zu haben. Früh ankommen und früh schon dazuzugehören, das war uns von Anfang an wichtig. Dresden ist jetzt unser Zuhause. Ich brauche diese Bindung, auch aus Gründen der Identifikation. Überall gibt es regionale Eigenheiten und Menschen brauchen diese heimatliche Verbundenheit. Aber so wichtig das Gefühl von Heimat ist, darf der Begriff nicht populistisch ausgeschlachtet werden. Solange wir vernünftig bleiben, sind wir überall in der Lage verantwortlich mit den Problemen und Anforderungen unserer Zeit umzugehen.
- Erste Neuproduktion: „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg, Premiere am 29. September 2018