Endlich überwindet Dresdens Semperoper den Denkmalschutz und mischt sich ins Tagesgeschehen ein. Sinkende Besucherzahlen von auswärts dürften nicht der einzige Grund dafür sein. Michael Ernst ist vor Ort und berichtet.
Montagskonzerte sind momentan schwierig in Dresden. Montagsopern oder -theater ebenso. Jedenfalls auf der Altstädter Seite. Dort tummeln sich nun schon ein Jahr lang die Protestbürger. Die dafür und die dagegen, mittendrin die Polizei.
Neuerdings wird Sachsens Landeshauptstadt an Montagen auch noch abgedunkelt. Öffentliche Einrichtungen wie Semperoper, Schauspielhaus sowie Zwinger löschen das Licht, um diesem Spuk keine Kulisse zu liefern. Im bläulichen Widerschein von Rundumleuchten auf Polizei- und Rettungsfahrzeugen tönen die radikalen Reden und dumpfen Schreichöre noch gespenstischer als ohnehin.
Wer montags in die Semperoper will, bewegt sich gegen den Strom. Stellenweise ist in der Altstadt kaum noch ein Durchkommen. Der Marsch der Zukurzgekommenen in entgegengesetzte Richtung. Just vorm sogenannten Haus der Presse tönt wutverzerrt das Wort „Lügenpresse“ aus nicht nur sächsischen Kehlen. Doch so leid es einem tut, die Mehrzahl der grölenden Gestalten macht nicht den Eindruck, des Lesens oder gar Schreibens mächtig zu sein. Die meisten der Mitläufer werden sich ohnehin den Blättern mit den fettesten Überschriften und kürzesten Texten zuwenden. Die Bild-Sprache solcher Gazetten dürfte derartiges Straßenvolk vermutlich gerade so noch verstehen.
Wer montags in die Semperoper will, wirkt womöglich leicht spießig. In Anzügen und Kleidern aus mehr oder minder feinem Zwirn läuft man gegen Bomberjacken und Jogginghosen an, gegen Basecaps und mit vielsagenden Sprüchen bedruckten T-Shirts. Mitunter ragen aus der wie besinnungslos grölenden Masse auch Transparente und Spruchbänder hervor, stets ohne Witz, oft töricht platt, mitunter auch vorsätzlich kriminell.
Was sich da so als Montags-Mob zusammenrottet, wirkt sehr, sehr traurig. Es ist nicht zuletzt Ausdruck politischer Fehlleistungen. Doch bei allen Versäumnissen des heutigen Bildungssystems, es bietet immer noch jedem die Chance, ein klein wenig mehr an Verstand aufzuschnappen als das, was hier zu Markte getragen wird. Da wird Meinungsfreiheit offenbar mit der Freiheit von Meinung, der Freiheit von Bildung und Haltung verwechselt.
Dafür sind wir '89 nicht auf die Straße gegangen, murmeln jene, die sich dennoch ins Konzert oder Theater gewagt haben. Andere entgegnen mit Kopfschütteln, für sowas müssen wir Solidaritätszuschlag zahlen!
Dresdens Kulturtempel haben bislang eher sparsam mit Plattitüden wie „Dresden weltoffen“ dagegengehalten. Eine tapfere Behauptung, die freilich im krassen Widerspruch zum Montagsgeschehen steht. Seit kurzem nun darf allen denkmalpflegerischen Aspekten zum Trotz ein großer Monitor in die Exedra des weltberühmten Theaters gestellt werden, um deutlich auf die humanistischen Inhalte der auf der Bühne gezeigten Werke hinzuweisen. Täglich von 6 bis 23 Uhr sind auf diesem Bildschirm Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Sparten des Hauses zu sehen, die sich mit deutlichen Aussagen positionieren. Ziel dieser Kunstaktion sei es, den demokratischen und verfassungsrechtlich verbrieften Werten und damit dem künstlerischen und gesellschaftspolitischen Auftrag der Semperoper auf besonders wirkungsvolle Weise Ausdruck zu verleihen. „Mitarbeiter zeigen Gesicht“ – diese sehr persönlichen Auftritte werden das fremdenfeindliche Gegröle gewiss nicht zum Verstummen bringe, beweisen aber, dass es auch deutlich andere Meinungen in Dresden gibt. Töne, die auch außerhalb Sachsens gehört werden sollten.