Hauptbild
Die Oper in Wrocław
Die Oper in Wrocław
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Richard Strauss in Wroclaw: „Die Frau ohne Schatten“ als Erstaufführung in Polen

Publikationsdatum
Body

In Breslau ist „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss im Frühjahr 1920 erstmals aufgeführt worden, ganze fünf Monate nach ihrer Uraufführung an der Staatsoper Wien. Mitte Mai 2009 gab es am selben Ort nun die polnische Erstaufführung dieser Oper in Wroclaw. Mehr als genug Gründe gab es dafür: 90 Jahre nach der Uraufführung, 145 Jahre nach Strauss' Geburt und sechs Jahrzehnte nach seinem Tod; der Textdichter Hugo von Hofmannsthal wurde vor 135 Jahren geboren und starb vor acht Jahrzehnten – doch der wichtigste Grund ist wohl die Musik.

In ihr klingt ein Zeitenwandel durch, sie verbindet das Früh- mit dem Spätwerk des Komponisten, tupft all die Farbvarianten aus „Salome“, „Elektra“ und „Rosenkavalier“ noch einmal an, entfernt sich freilich auch schon davon und nimmt dann doch nicht alles vorweg, was spätestens ab „Arabella“ den späten Stil des Meisters einschließlich seiner selbstverliebten Rückbezogenheit ausgemacht hat.
Im schlesischen Breslau ist Richard Strauss erstmals im Jahr 1900 zu Gast gewesen und legte den Grundstein für mehrfache Wiederkehr. Mehrfach dirigierte er eigene Werke, nicht zuletzt 1924 die „Reichsdeutsche Uraufführung“ von „Schlagobers“, einer „Heiteres Tanzspiel“ genannten Ballettmusik.

Hier dirigiert die Intendantin
Die Oper Wroclaw von heute ist ein hübsch restauriertes Gebäude im Stilmix kleidsamer Zuckerbäckermanier, es liegt nah am vital wiederauferstandenen altstädtischen Zentrum einer vielfach geschundenen Stadt mit reicher Historie. Längst kommen nicht nur die 1945 ausgesiedelten Schlesier von einst, sondern auch Individualreisende und Touristengruppen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, ja selbst von Skandinavien. Dabei ist die sehenswerte Stadt an der Oder noch längst nicht wieder so rasch erreichbar wie sie es ehedem etwa von Berlin aus gewesen sein soll. Mühsam überwinden die Schnellzüge von heute das marode Streckennetz – als wollte der Schienenstrang nachhaltig rüttelnd daran erinnern, welche Menschenfracht auf diesen Gleisen bis zum Mai 1945 transportiert worden ist.

Inzwischen wird Aussöhnung allerdings bestens gelebt. Davon zeugen nicht nur die zumeist gesittet daherkommenden Gäste der Stadt, sondern in Zeiten wachsender Europäisierung des Kontinents auch Kooperationen etwa mit anderen Opernhäusern, mit Reiseveranstaltern und mit Fachmagazinen. Spätestens seit Wagners „Ring“, der zwischen 2003 und 2006 während einer mehrjährigen Renovierung der Oper in der spektakulären – an Walhall gemahnenden – Jahrhunderthalle aufgeführt worden ist, tritt Wroclaws Musiktheater auch überregional in Erscheinung. Der seinerzeit tüchtig mythenbezogene „Ring“ wie jetzt auch „Die Frau ohne Schatten“ lag inszenatorisch in Händen von Hans-Peter Lehmann. Der deutsche Gast ist aus seinen Amtszeiten in Wiesbaden und Hannover nachhaltig bekannt.

Die polnische Strauss-Erstaufführung der „Frau“ – überhaupt der erste Strauss seit 1945 in Worclaw! – konzipierte er in der etwas schwerfälligen Ausstattung von Olaf Zombeck, die wohl Zeitlosigkeit ausstrahlen sollte, aber schon zur Premiere ein klein wenig angestaubt wirkte. Von märchenhafter Leichtigkeit war nur wenig zu spüren, auch die Kostüme wirkten seltsam brachial, insbesondere die bedeutungsschweren Brustpanzer der Kaiserlichen weckten Erinnerungen an (niedersächsisch provinzielles) Musiktheater aus dem Bilderbuch. Dabei bietet der wunderbare Stoff doch beste Basis für ein seicht andeutendes Geflecht, für ein Gewebe aus Diesseits und Jenseitigkeit, weit mehr als pur auf Märchenwelt bezogen. Schwebende Stimmung scheint nicht der Fall dieser Produktion zu sein, sie kommt arg irdisch und schwerlastig daher. Die humanistische Ausdeutbarkeit à la „Zauberflöte“ und „Faust“ bleibt so auf der Strecke.

Das Orchester flirrt straussig
Ganz anders der musikalische Part. Das Orchester unter der musikalischen Leitung der Opernintendantin und Musikdirektorin Ewa Michnik flirrt so straussig, entfaltet ein grandios spannendes Farbenspiel, dass nichts, aber auch gar nichts nach derart langjähriger Strauss-Abstinenz klingt. Freilich ist der Graben zu klein, Schlagwerk und Harmonika müssen in den ersten Rang ausweichen, doch das verstärkt nur noch die Raumwirkung der kaleidoskopartig verstandenen Partitur, die hier übrigens in der Fassung Herbert von Karajans umgesetzt wird. Erstaunlich international ist das Solistenensemble besetzt: Stimmlich exzellent das Kaiserpaar mit Susan Anthony und John Hurton Murray, wenngleich beide ihrer Herkunft gemäß teils arg wider Strauss/Hofmannsthal prononcierten. Einheimischem Publikum fällt das sicher nicht auf, doch schallplattenreif ist es nicht. Wolfgang Brendel als gestandener Färber hat es da logischerweise viel leichter. Er schmettert brillant, spielt auch sehr überzeugend um die Liebe seiner den Schatten und die ungeborenen Kinder preisgebenden Gattin an. Evgeniya Kuznetsova erfüllt diesen Part zur Premiere höchst hingebungsvoll.

Dieses gewiss nicht ganz billige Besetzungsprinzip begründet die seit 1995 erfolgreich in Wroclaw agierende Hausherrin, die zuvor 14 Jahre lang der Oper in Kraków vorstand, mit dem internationalen Niveau, das der einheimischen Bevölkerung präsentiert werden solle, um der nationalen Doppelbesetzung Maßstab und Anreiz zu setzen. Jedes gute Musiktheater, so Ewa Michnik, müsse Strauss im Repertoire haben, so wie auch jedes gute philharmonische Orchester Strauss und Bruckner spielen können sollte, sonst sei es als Orchester nicht reif.

Die Reifeprüfung an der Oder jedenfalls wurde nun mit Bravour bestanden. Wroclaw darf getrost auch als Zielort für Opernreisen empfohlen werden, zumal im Repertoire auch Sensationen wie Szymanowskis „Król Roger“ und „Hagith“, Pendereckis „Paradise Lost“, sowieso Mun „Halka“ und als Kafka-/Guantánamo-Adaption „The Penal Colony“ von Joanna Bruzdowicz zu finden sind.


 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!