Ein Elefant, ein Bürgerschreck, eine Winterreisende, eine Tänzerin: Die 29. Ausgabe unserer Streamingtipps versammelt von der jazzigen Schubert-Aneignung über ein Kinderkonzert bis zu Hindemith und Korngold wieder einiges an Genres und Stilen. Für neue Klänge und solche, die in den Jahrzehnten seit ihrer Entstehung nichts an Frische verloren haben, sorgen das Ensemble Garage und Georg Katzer. Der Dezember kann kommen. [jmk]
28. November
WDR Funkhausorchester: Das Konzert mit dem Elefanten
Samstag, 28.11.2020, 16:00 Uhr
Live-Videostream via Facebook
Das Konzert mit dem Elefanten feiert Jubiläum. Zum 10. Mal lädt das WDR-Funkhausorchester dazu in das Kölner Funkhaus ein. Das Jubiläum wird mit viel Geburtstagsmusik gefeiert werden und so stehen u.a. ABBAs „Dancing Queen“, Nikolai Rimski-Korsakows „Hummelflug“, Leroy Andersons „The Typewriter“, Zequinha de Abreus „Tico Tico“ und Paul Linckes „Berliner Luft“ auf dem Programm. Der Elefant, bekannt aus der Sendung mit der Maus, hat seit 2007 seine eigene Sendung, die sich an Vorschulkinder zwischen 3 und 6 Jahren richtet. So soll auch das „Konzert mit dem Elefanten“ diese Altersgruppe ansprechen. Dem Konzert zu Grunde liegt ein Konzept der Fernsehjournalistin, Autorin und Regisseurin Natascha Breuer und der Drehbuchautorin Simone Höft, die für ihre Umsetzungen von Bildergeschichten fürs Kinderfernsehen bekannt ist, Durch das Konzert führen die Moderator*innen Anke Engelke und André Gatzke, die beide auch zum Team der Sendung mit dem Elefanten gehören. Mit dabei sind selbstverständlich auch der Elefant und der Hase.
[Juana Zimmermann]
29. November
Ensemble Garage: Audible Landscapes
Sonntag, 29.11.2020, 19:30 Uhr
Live-Videostream über die Plattform „Dringeblieben“
„Audible Landscapes“ heißt das nach einem Stück der iranischen Komponistin Elnaz Seyedi benannte Programm, das das Ensemble Garage am 29.11. im Kammermusiksaal des Deutschlandfunk Köln live in ihrer Konzertreihe Acts ’n Sounds zum Besten geben wird, unter dem Dach der Konzertaktivitäten von Frau Musica Nova. Die akustischen Landschaftsgestalter heißen: Annegret Mayer-Lindenberg (Viola), Yuka Ohta (Schlagzeug), Till Künkler (Posaune), Maruta Staravoitava (Flöte), Rostislav Kozhevnikov (Violine), Max Pross (Regie), Maximiliano Estudies (Klangregie). Also nicht ganz so opulent besetzt wie die Tafel des barocken Gruppenfotos auf der Ensemble-Website, aber dennoch klangfarblich reich bestückt für unterschiedlichste Entwürfe in kleineren Besetzungen. Fünf Komponistinnen verbinden Akustisches und Visuelles in diversen instrumental-elektronischen Formaten: Malin Bång (Hyperoxic für Bassflöte und Klangobjekte), Natacha Diels (Strange Attractors für Pikkolo, Schlagzeug und Elektronik), Sarah Nemtsov (Brief.Kasten für Viola, Posaune und Elektronik), Elnaz Seyedi (3 audible landscapes für Posaune und Schlagzeug) und Clara Iannotta (Limun für Violine, Viola und zwei obligate Seitenwender). Wer das Ensemble Garage kennt, weiß, dass an diesem Abend garantiert mehr passieren wird als das fachgerechte Bedienen von Instrumenten.
[Dirk Wieschollek]
Kammerorchester der Neuen Philharmonie Frankfurt: Hindemith 125 – Made in Hanau
Sonntag, 29.11.2020, 17:00 Uhr
Live-Videostream über die Orchesterwebseite, danach als Video on demand verfügbar
Die Kammerensemble-Hommage zum 125. Geburtstag des am 16. November 1895 in Hanau geborenen Paul Hindemith wurde dort am 25. November im PhilharmonieLaden Am Frankfurter Tor aufgezeichnet. Das vor Corona geplante große Hindemith-Konzert des führenden deutschen Orchesters für Crossover, Starauftritte und Sommerevents soll dann 2021 im Congress Park Hanau vor hoffentlich wieder 700 Besucher*Innen stattfinden.
„Hindemith125“, mit der Mezzosopranistin Josephine Claire Rösener unter der musikalischen Leitung von Jens Troester, bringt zwei frühe Werke des wegen der Schikanen durch das nationalsozialistische Regime aus Deutschland emigrierten Komponisten. Der in Ausschnitten erklingende Liederzyklus „Die junge Magd“ für Alt und Kammerensemble nach Gedichten von Georg Trakl schichtet dunkle Erotik, stilisierte Volksliednähe und versachlichende Distanz. Nach der Uraufführung der Kammermusik Nr. 1 in Donaueschingen (1922) ertrotzte das Publikum eine Wiederholung des dritten und vierten Satzes. Durch die ungewöhnliche Aneignung eines Foxtrotts und neuartige Schlagwerk-Effekte bekam Hindemith sein Image als „Bürgerschreck“ verpasst.
[Roland H. Dippel]
2. Dezember
Streaming in the MuTh: Mathias Rüegg & Lia Pale – „A Winter’s Journey“
Mittwoch, 2.12.2020, 20:00 bis 21:00 Uhr, über die MuTh-Website
Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“ op. 89, D 911 im Jazz-Gewand – die Ankündigung: „Sechs Jahre lang sind Lia Pale und mathias rüegg mit der unvergleichlichen Schubert-Vertonung der 24 Gedichte von Wilhelm Müller ‚schwanger‘ gegangen, ehe sie den Mut aufgebracht haben, sie im Zeichen der Jazz-Tradition neu zu deuten. Dank ihres großen Gespürs und Taktgefühls gelingt es ihnen, Schuberts Liedgut nicht nur nicht auszubeuten, sondern vor allem herauszuarbeiten, was für eine Kraft in ihm steckt! Dieses Konzert kann aufgrund der Verordnung der Bundesregierung leider nicht vor Publikum stattfinden. Wir freuen uns aber, dass es am Veranstaltungstag um 20:00 Uhr in einer gekürzten Fassung als Online-Streaming ausgestrahlt wird (nur um 20:00 Uhr als Live-Stream verfügbar!).“ Spenden sind sicher hilfreich. Bei „Streaming in the MuTh“ (es handelt sich dabei übrigens um den Konzertsaal der Wiener Sängerknaben) ist aber auch sonst viel Musik unterwegs.
[Martin Hufner]
Bis 31. Dezember
Oper „La Monnaie“ Brüssel: Erich Wolfgang Korngold – „Die tote Stadt“
Videostream on demand auf der Theaterwebseite und via YouTube
„Die tote Stadt“ ist das Werk des 23-jährigen Erich Wolfgang Korngold. Die Uraufführung gab es 1920 zeitgleich in Hamburg und Köln. Es blieb der Lebenserfolg des Komponisten. Der überbordenden Musik merkt man die Jugend ihres Schöpfers ebenso an wie ein Selbstbewusstsein, das es mit einem Richard Strauss und Giacomo Puccini aufnehmen konnte. Freilich hört man dem Dauerschwelgen auch an, dass der vorm Rassenwahn der Nazis in die USA geflohene Komponist zum oscargekrönten Impulsgeber des Hollywoodsounds werden sollte.
Nun gibt es die Melange aus psychologisierender Diagnose und atmosphärischem Surrealismus, auch im La Monnaie Brüssel. Die Premiere vor reduziertem Publikum im Haus und eine Folgevorstellung gelangen gerade noch vor dem November-Lockdown. Ähnlich pragmatisch wie München ist die Vorstellung im jetzt wiederaufgenommenen Streaming-Angebot der Brüssler Oper zu erleben. Der auf dem Programmzettel unter „Reduktion der Orchesterpartitur“ aufgeführte Leonard Eröd hat die Orchesterstärke von 75 auf 57 reduziert. Die Musiker unter der Leitung von Lothar Koenigs sind auf der Hinterbühne platziert: jeder am eigenen Pult, die Blechbläser zwischen Plexiglas-Abtrennungen.
Die Sänger und das Regieteam haben fünf Wochen mit Masken und bei regelmäßiger Desinfektion geprobt. Marius Trelinskis hat seine drei Jahre alten Warschauer Inszenierung den aktuellen Bedingungen angepasst und auf pausenlose knappe zwei Stunden verkürzt. Die gerade u.a. für ihre Marietta in München zur „Sängerin des Jahres“ gekürte Marlis Petersen ist auch in Brüssel der Star im Zentrum der Inszenierung. Roberto Saccà und Dietrich Henschel als Paul und Frank sind eine sichere Bank. „Glück, das mir verblieb“ oder die Bariton-Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ sind die zwei Hits, die die Erinnerung an „Die tote Stadt“ auch über die Zeit wachhielten, in der es sich noch nicht so eindrucksvoll wie in den letzten Jahren auf den Opernbühnen zurückgemeldet hatte. Eine coronacompatible und zugleich atmosphärisch dichte Inszenierung!
[Joachim Lange]
Bis auf weiteres verfügbar
Akademie der Künste Berlin: EM4 | Berliner Studios Nr. 18 – Georg Katzer
Videostreams on demand via YouTube
Eine ursprünglich zum ersten Todestag Georg Katzers im Mai geplante Werkschau hat die Berliner Akademie der Künste mittels einer gehaltvollen Zusammenstellung aus Probenmitschnitten und Interviews ins Netz hinübergerettet. Im Mittelpunkt stehen dabei Stücke, die jeweils ein Soloinstrument (Flöte, Klavier, Bassklarinette, Akkordeon, Kontrabass) in einen „imaginären Dialog“ mit Live-Elektronik bringen. Einstudiert von Helmut Zapf, der in einem Gespräch über seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Auskunft gibt, entstehen intensiv-intime, immer wieder mit hintersinnigem Witz aufgebrochene Klanginteraktionen, die mit ihren Wortanteilen bis hin zum Semitheatralen reichen, mit dem hinreißenden „L’Homme Machine“ als Höhepunkt. Der stupende Kontrabassist und Sprachperformer Matthias Bauer hat einiges zur Entstehungsgeschichte des Stücks zu erzählen.
Wie heißt es so schön in der „Ballade vom zerbrochenen Klavier“: „Lasst uns singen, auch in finsteren Zeiten“…
[Juan Martin Koch]