Das hoffentlich hygienisch einwandfreie Überreichen einer silbernen Rose darf man an diesem Wochenende der Bayerischen Staatsoper durchaus zutrauen, aber ob es beim Sing-Boxen ähnlich gesittet zugeht? Ansonsten geben in der zweiten Maerz-Hälfte womöglich Barockoper, Chormusik, Simon Steen-Andersens „Black Box Music“ und ein einschlägiges Festival unübersehbare Antworten auf drängende Zeitfragen. [jmk]
20. März
ID Festival/Boxwerk München: Box-Salon
Samstag, 20.3.202, 21:00 Uhr
Live-Videostream via Facebook, Instagram und YouTube; Infos auf der Festivalwebseite
Hashtag: #2021isAbsurd – Boxen und Singen? Singen und Boxen! Singen sowie Boxen sind harte Formen körperlicher Arbeit. Choreographiert wird das Ganze dann zu einem spektakulären Event, das ist sicher. Bisher kannte ich das nur vom Schachboxen. Unterschied: Die Singenden sind nicht zugleich die Boxenden. Aber irgendwann kommt das sicher auch noch. Und was wird gesungen? Lieder von John Dowland und Kurt Weill mit der Sopranistin Andromahi Raptis vom Staatstheater Nürnberg und dem Pianisten Jonathan Ware (Hugo-Wolf Preisträger). Boxende und Richtende kommen vom Boxwerk München. Die Zuschauenden vor ihren Screens dürfen aus der Deckung kommen. Kostenfreier Stream.
[Martin Hufner]
Ensemble Modern: Happy New Ears – Porträt Simon Steen-Andersen
Samstag, 20.3., Dienstag, 23.3, und Sonntag, 28.3.2021, jeweils 19:30 Uhr
Videostreams, live und on demand auf der Ensemblewebseite, Tickets via Reservix (solidarisches Preissystem)
Seit über 20 Jahren veranstalten die Frankfurter Oper und das Ensemble Modern Werkstattkonzerte unter dem Namen „Happy New Ears“. Komponist*innen, Dirigent*innen und Interpret*innen geben anhand von Werk-Ausschnitten, Anmerkungen und Hintergrundinformationen Einblicke in ihre Musik. Diesen Monat steht Simon Steen-Andersen (*1976) im Mittelpunkt. Der dänische Komponist widmet sich in seinem künstlerischen Schaffen auf launige, manchmal träumerische Art der Visualisierung von Klängen. Er wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet (u.a. Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung 2017) und ist seit 2018 ist Professor*in für Komposition an der Hochschule der Künste in Bern. Für dieses Porträtkonzert wurde Steen-Andersens „Black Box Music“ ausgewählt, ein Stück für Schlagwerk Solo, Verstärker, 15 Spieler*innen und Video. Der Titel ist wörtlich zu verstehen: In einer schwarzen Box sind die Hände des Dirigenten zu sehen. Wie bei einem Puppentheater gibt es einen Vorhang. In dieser Box tauchen verschiedene Requisiten auf, mit denen die Performer*in zur Schlagzeuger*in wird. Das Ganze wird gefilmt und vergrößert an eine Leinwand projiziert. Dazu musiziert das Ensemble. Es bleibt unklar, ob die Musiker*innen den Gesten des Performers folgen oder er ihnen.
Tickets: € 5 / € 12 / € 30 (Der Ticketverkauf schließt jeweils 1 Stunde vor Beginn. Ein späteres Abrufen der Streams ist bis zu 48 Stunden nach dem ursprünglichen Beginn der Veranstaltung möglich.)
[Juana Zimmermann]
21. März
Bayerische Staatsoper: Richard Strauss – „Der Rosenkavalier“
Sonntag, 21.3.2021, 15:30 Uhr
Live-Videostream via staatsoper.tv
Am Sonntag ist es wieder so weit: In München hebt sich in der Staatsoper der Vorhang für eine große Premiere! Ein besonderes Schmankerl ist „Der Rosenkavalier“ immer. Nach seinen beiden blutrünstigen Einaktern „Salome“ und „Elektra“ ist der „Rosenkavalier“ das schwelgerische Prunkstück unter den Strauss-Opern. Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmanthal haben sich da eine Welt erfunden, die so lebensecht wirkt, dass man alle ihre Legenden gerne glauben würde. Ein Maria-Theresia-Wien mit Walzerklängen und Ritualen, die es zu jener Zeit allesamt nicht gegeben hat. Die ganze Geschichte, die sich da im Schlafzimmer der Marschallin, beim Neureichen Faninal und dann im Wiener Beisel abspielt, entfaltet im Gegenlicht der Melancholie ihre eigenen Faszination. Es ist ein lebenskluges Philosophieren übers Leben, die Liebe und die Vergänglichkeit, das sich da mit den vitalen Szenen von heimlicher Liebesnacht, Eklat bei der Brautwerbung und dem inszenierten finalen Verwirrspiel im Wirtshaus abspielt.
Barrie Kosky wird mit der Ambivalenz der Zeiten und mit den Jahrhunderten spielen, die zwischen dem artifiziellen Wien und den heutigen Zuschauern liegen. Und das in der für ihn typischen Melange aus Witz und Hintersinn. Dass er beides mit Opulenz der Bilder und Spannung des Personenführung zu verbinden versteht, darf man bei ihm und seinen Partnern (Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüme: Victoria Behr) erwarten – und die Trailer mit den ersten Einblicken bestätigen diese Hoffnung.
Am Pult des Bayerischen Staatsorchester wird Vladimir Jurowski stehen, der ab Herbst 2021 der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper sein wird. Auch die Besetzungsliste verheißt Oper de luxe: Besonders gespannt sein darf man dabei auf Marlis Petersen mit ihrem Debüt als Feldmarschallin. Samatha Hankey wird „ihr“ Octavian sein und Katharina Konradi „dessen“ Sophie. Die Herren werden von Christof Fischesser als Ochs und Johannes Martin Kränzle als Herr von Faninal angeführt.
Die Staatsoper überträgt die Premiere am Sonntag, den 21. März 2021 ab 15.30 Uhr live und kostenlos auf www.staatsoper.tv als Stream. Ab 22. März ist die Neuproduktion als Video on demand ebenfalls kostenfrei für 30 Tage auf www.staatsoper.tv erhältlich.
[Joachim Lange]
Berliner Mädchenchor: STIMMENÜBERLEBEN
Filmpremiere am Samstag, den 20.3.2021, 20:00 Uhr, via YouTube, anschließend bis auf weiteres dort verfügbar; ausführliche Infos unter www.stimmenueberleben.de
Aus der Auseinandersetzung des Berliner Mädchenchors (Ltg. Sabine Wüsthoff) mit der Komposition „Anne Frank: A Living Voice“ von Linda Tutas Haugen ist unter der Regie von Ulrike Ruf ein bemerkenswerter Film entstanden. Stärker als die Komposition selbst beeindruckt dabei die Ernsthaftigkeit, mit der die Mädchen und jungen Frauen des Chors einerseits das Schicksal Anne Franks reflektieren und andererseits ihren eigenen Sorgen, Ängsten und Sehnsüchten Ausdruck verleihen.
[Juan Martin Koch]
Bis 27. März
Théâtre des Champs-Elysées: Rameau/Marmontel – „Achante et Céphise ou La sympathie“
Sonntag, 21.3.2021, 17:00 Uhr, bis Samstag, 27.3.2021, 23:59 Uhr
Video on demand via YouTube
Das Liebesglück von Achante und Céphise ist gefährdet, weil Céphise einem anderen Mann versprochen ist. Die Fee Zirphile bietet dem jungen Paar einen magischen Ring an, der die beiden noch mehr aneinander bindet: Sie werden fühlen, was der andere fühlt, ob gut oder schlecht. Mit dieser Wundergabe müssen die Liebenden sich gegen einen bösen Dschinn bewähren.
Die dritte der insgesamt fünf „Pastorales héroïque“ Rameaus zwischen „Zaïs“ (1748) und „Lysis et Délie“ (1753) entstand zur Feier der Geburt von Louis Joseph Xavier, Herzog von Burgund, dem älteren und im Alter von nur neun Jahren verstorbenen Bruder von Louis XVI.. Der Zeitgenosse Claude Parfaict schrieb in seinem „Wörterbuch des Theaters“: „Anstelle eines Prologs hat der Komponist versucht, in der Ouvertüre, soweit es die Musik vermag, die Wünsche des Volkes und den öffentlichen Jubel über die Nachricht von der Geburt des Prinzen darzustellen.“ Für den zweiten Teil dieser Einleitung sind im Aufführungsmaterial zur Uraufführung die Zeitpunkte für die Kanonenschüsse genau vermerkt.
Die Video-Aufzeichnung vom 12. Dezember 2020 im Théâtre des Champs-Elysées folgte einem im März 2020 vorgesehenen und wegen der Pandemie entfallenen Konzert. Das Centre de musique baroque de Versailles, das Atelier Lyrique de Tourcoing und das Ensemble Les Ambassadeurs brachten das Werk folgend der Edition von Sylvie Bouissou und Robert Fajon heraus. In der mit anspruchsvollen Schwierigkeiten gespickten Partitur verlangte Rameau als erster die Verwendung von Klarinetten in einem französischen Orchester. Eigens für diese Produktion wurden Agnès Guéroult und Rudolf Tutz deshalb beauftragt, sechs französische Klarinetten der Entstehungszeit nachzubauen. Eine Wiederentdeckung aus einer spannenden Opern-Epoche. Die Aufzeichnung präsentiert eine große Szenenfolge vor der im Herbst 2021 bei Warner erscheinenden Gesamtaufnahme.
[Roland H. Dippel]
Bis 28. März
MaerzMusik – Festival für Zeitfragen
Samstag, 19.3.2021, bis Sonntag, 28.3.2021
Streams, live und on demand auf der Festivalwebseite, Programm hier, Tickets hier
Das Stuttgarter Festival Eclat hatte es mit beeindruckender Konsequenz und inhaltlichen Fülle im Februar vorgemacht. Nun präsentiert sich auch die Berliner MaerzMusik im Angesicht einer weiterhin publikumslosen Gegenwart als üppig bestückte Online-Plattform und hat ihre Inhalte komplett ins Netz gehievt. Als ausgewiesenes „Festival für Zeitfragen“ kann es sich auch kaum leisten, in der Krise den Kopf in den Sand zu stecken und wird 2021 ein „Festival on Demand“, das in Live-Events oder vorproduzierten Videos diesmal programmatisch weit über den europäischen Tellerrand hinausblickt. Hierbei wird Film nicht nur als dokumentarischer Träger von Musikgeschehen eingesetzt, sondern regelmäßig zum eigenständigen künstlerischen Medium.
Los geht es am 19. März mit dem Eröffnungsprojekt „Environment“, in dem das Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos (OEIN) aus Bolivien im Blickpunkt stehen wird. Das verbrachte im März vergangenen Jahres (im Rahmen der Vorbereitungen zur abgesagten MaerzMusik 2020) 84 unfreiwillige Tage in der Musikakademie Rheinsberg, zusammen mit dem Vokalensemble PHØNIX16. Die musikalische Begegnung fand nicht nur ihren Niederschlag im gemeinsamen Konzert, sondern auch in verwirrend zahlreichen Filmproduktionen, die ein Leben im Ausnahmezustand aus verschiedenen Perspektiven beleuchten (Philipp Hartmann, Tobias Kreus, Katja Heldt, Sonia Lescène). Einen experimentellen Video-Essay zur Pandemie hat auch die Sopranistin Juliet Fraser mit Filmemacherin Jessie Rodger erarbeitet, der Gedanken und Befindlichkeiten in der Resonanzlosigkeit einer heruntergefahrenen Welt reflektiert (25. 3.).
Die MaerzMusik war immer gut für überraschende Entdeckungen von Künstler*innen, die durch die Raster der europäischen Musikgeschichtsschreibung gefallen sind: Besonders im Blickpunkt steht in diesem Jahr der bemerkenswert vielseitige und dennoch in Europa praktisch unbekannt gebliebene ägyptisch-amerikanische Musiker, Komponist und Musikologe Halim El-Dabh (1921–2017). Er wird gleich an zwei Abenden ausführlich präsentiert: Am 20. 3. gibt es live im Haus der Berliner Festspiele Vorträge, Filme und Konzerte, darunter Uraufführungen von Sofia Jernberg, Mazen Kerbaj, Ute Wassermann, Mena Mark Hanna, das Ganze flankiert von einer Ausstellung im Savvy Contemporary. Der 23. 3. bringt eine filmische Hommage von Milena Metwaly, ein Konzert mit dem Zafraan-Ensemble und eine „Listening Session“ mit El-Dabhs elektroakustischen Kompositionen. Ebenfalls im Fokus: die französische Elektro-Pionierin Éliane Radigue. Das wird spannend! Am 22. 3. zunächst im Filmportrait „Échoes“ von Eléonore Huisse und dem Klangkünstler François J. Bonnet, dann in der Aufführung ihrer dreistündigen „Trilogie de la Mort“ (1988-93) in der Kuppel des Zeiss Großplanetariums. Ihr Streichquartett „Occa Delta XV“ (2018) wird als „Binaurale Audioproduktion“ vom Quator Bozzini in Montreal realisiert (25. 3.) Ebenfalls vom Bozzini-Quartett wird am selben Tag das 4. Streichquartett des Schweizer Komponisten Jürg Frey aus der Taufe gehoben. Regelmäßiger Gast bei der MaerzMusik ist das Komponist*innen- und Musiker*innen-Kollektiv Bang on Can, das am 21. 3. ein vierstündiges Live-Konzert aus seinem New Yorker Domizil senden wird!
Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals: „Afro-Modernism in Contemporary Music“, ein beflissen vernachlässigtes Thema, das am 24. 3. in einem von George Lewis kuratierten Programm u. a. vom Ensemble Modern bespielt wird. Lewis moderiert auch diverse Diskussionen zum Problem der „Afrodiaspora in der musikalischen Avantgarde“ sowie zu grundlegenden Fragen der „Identität und Zukunft zeitgenössischer Musik.“ Die MaerzMusik ist bekanntermaßen ein diskursfreudiges Festival und es scheint, die Pandemie-Ausgabe versorge ihre Besucher*innen besonders reichlich mit Lectures und Panels zu global angesagten, aber auch dezidiert esoterisch daherkommenden Themen:
Zunächst lädt am 21. 3. The Political Kitchen zum traditionellen Symposium „Thinking Together“, das sich explizit den sozialen Verwerfungen und künstlerischen Bedingungen der Pandemie widmen wird (15:00–20:00 Uhr). Am 22. 3. beginnt Pacha Nete, das in vier zeremoniellen online-Workshops eine „andin-amazonische Online-Begegnung“ stiften möchte; will heißen, die peruanischen Künstler*innen Arely Amaut, Gomez Sanchez und Milke Sinuiri Panduro vermitteln Einblicke in Wissens- und Bewusstseinsformen der Anden und des Amazonas. In The House of Cancer reflektieren die Kuratorin Camila Marambio und die Ökologin Bárbara Saavedrav im Zeichen eigener Krebserkrankung über die Themen Einsamkeit, Marginalität, Naturschutzbiologie, Kontext, Autopoiesis, Krankheit, Liebe und Tod (wenn’s mehr nicht ist) und werden dabei unterstützt vom bolivianischen Anthropologen, Heiler und Musiker Bernardo Rozo López und dem Künstler Ariel Bustamante. Im GROUNDWERK (24.–26. 3.) beschäftigt sich eine experimentelle Arbeitsgruppe mit „Future Wordlings“ und „Reproduktive Futures“ in Form von „Analysen, Meditationen, Resonanzräumen, Storytelling, Traumarbeit und Gesprächen.“ Ob sich in solchen Tsunamis sprachlicher Trendiness tatsächlich Konzepte nachhaltiger Zukunftsperspektiven verbergen, wird interessant zu beobachten sein.
Den „Festivalpass“, der Zugang zu allen Programmbestandteilen ermöglicht, erhält man kostenlos oder nach Zahlung eines frei wählbaren Betrages. Die einzelnen Beiträge stehen nach der Erstausstrahlung zum Nachhören und -sehen zur Verfügung.
[Dirk Wieschollek]