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Wenn der Apparat seinen Gegenstand ruiniert

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Neue Musik und unsere Orchester – Ein Problemfall?
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Wollen sie nicht? Können sie nicht? Schafft es der Dirigent nicht, Präzision und Klarheit herzustellen? Diese Fragen kamen beim Eröffnungskonzert der diesjährigen Donaueschinger Musiktage spontan auf. Leider sind solche Fragen keine Ausnahme mehr. Man mag zurückdenken auf Orchesterkonzerte der diesjährigen Münchner „musica viva“, auch auf die Art, wie sich früher manchmal das Radio-Sinfonie-Orchester Wien beim Steirischen Herbst präsentierte. Faktum jedenfalls war, daß das Donaueschinger Eröffnungskonzert unter Wyttenbach (nicht das Schlußkonzert unter Zender!) auf einem Niveau geboten wurde, das kaum in der Lage war, die Intentionen der Komponisten wenn schon nicht differenziert umzusetzen, so doch zumindest anzudeuten.

Diese Pflicht zumindest hat je- de (Ur-)Aufführung eines zeitgenössischen Werks; und in besonderem Maße verstünde sich das bei einem Festival dieser Rangordnung. Vermerkt wurde, als die drastischen qualitativen Defizite zur Sprache kamen, daß von verschiedenen Seiten zu beschwichtigen versucht wurde. Der „Pssst-Finger“ regierte. Man könne doch jetzt nicht, wo Donaueschingen nach den Exitus-Drohungen der letzten Jahre wieder massiv auf die Beine komme, wo das SWF-Sinfonieorchester im alten Umfang zur Verfügung stehe, schon wieder zu stänkern anfangen und somit die mühsam errungene Goodwillness aufs Spiel setzen. Denn drinnen in den ummauerten Instanzen gebe es genug Leute, die nicht scheuen würden, den Rotstift gleich wieder massiv anzusetzen. Jubeln also sollen wir, wie man eben einen Event bejubelt, ganz gleich wie er ausfällt. Zu solch Übererfüllungen des Jahresplans kann man nicht bereit sein. Neue Musik als Überlebens-Notwendigkeit hat es nicht nötig, wie ein vom Aussatz befallenes Ding am Rande geduldet zu werden. Faktum in diesem jetzigen Fall war: Orchester und Dirigent hatten zu wenig Zeit, zu proben. Man sprach vom Tag der Deutschen Einheit, der eine weitere, beinahe unvorhergesehene (stimmt: die Deutsche Einheit bleibt unvorhergesehen stückhaft) Kürzung erzwungen hätte. Selbst wenn das ein einmaliges „Versehen“ gewesen wäre, könnte man darüber nicht einfach hinwegsehen. Schlimmer ist aber, daß ein Trend kenntlich wird. Ein Trend, dem das Orchester – und das SWF-Sinfonieorchester darf man immer noch als das profilierteste und wohl auch engagierteste Rundfunkorchester in Sachen Neuer Musik bezeichnen – ebenso unterworfen ist, wie die jeweiligen Dirigenten. Den Trend besorgen die Manager, diejenigen Leute in den Schaltzentralen der Anstalten, denen Arbeit mit und an Kultur seit jeher ein Dorn im Auge ist. Weil sie sich nicht rechnet. So wird versucht, die Orchester partiell, sich schrittweise verstärkend, abzuschieben in eine ominöse finanzielle Eigenverantwortlichkeit. Einspielergebnisse sollen auf den Tisch, am besten geht das kurzsichtig mit dem vorauseilenden Kotau des Populismus (der im übrigen nichts mit Nähe zum sogenannten „einfachen Volk“ zu tun hat) – und dies, obwohl auch die Kleingeister solchen Managements genau wissen, daß diese „Gewinne“ allenfalls das Zubrot der dafür benötigten Stardirigenten decken. Der Rummel ist da, und der rechtfertigt die kulturelle Verwüstung. Solche Flachhorizonte können den Sinn von verantwortlicher Arbeit mit Musik, besonders Neuer Musik, nicht orten. Der Orchestermusiker wird von solchen Instanzen ohnehin nur als Kostenfaktor und als funktionables Organ gesehen. Selbstbestätigungsprozesse und Identifikationen, wie sie in verantwortungsvoller Arbeit mit dem Dirigenten und dem Komponisten, in der Auseinandersetzung mit dem unvertrauten Text, mit neuen Ausdrucksmitteln und Techniken entstehen könnten, sind da nur lästige Nebenerscheinungen. Das Orchester, wenn es schon so teuer ist, soll wenigstens stramm und widerspruchsfrei funktionieren, möglichst ohne selbst zu denken. Aus dieser verachtenden Haltung gebiert sich im Orchester – zumindest partiell – eine ebenfalls problematische Gegenposition: das gewerkschaftliche Verhalten. Es versteht sich, daß hier dem Musiker nicht das Recht auf anständige Vergütung abgesprochen werden soll, gemeint ist das nackte Gegenrechnen in Zahlen, die gewissermaßen für die frustriert abgelieferten Töne eingefordert werden. In solchem Umfeld rückt die Chance ins Hintertreffen: die Möglichkeit, als kulturelles Wesen in einen diskursiven Prozeß einzugreifen, darüber als mitverantwortliche Person sich selbst und anderen gegenüber Rechenschaft abzulegen. Es wäre so etwas wie eine ökologische Umgestaltung des Orchesters. Die musikalische Kultur ist aus ihrem Disneyland herauszuholen und wieder in einen Prozeß der künstlerischen Auseinandersetzung zu integrieren. Deshalb wäre eine Einheit herzustellen aus allen, die zur Zeit mit Erfolg auseinanderdividiert werden. Denn zu gern wird angesichts solch unfertiger Aufführungen, wie es das Donaueschinger Eröffnungskonzert war, der Schwarze Peter herumgeschoben: vom unwilligen Musiker zum unsouveränen Dirigenten, vom zu viel wollenden Organisator bis zum zu spät einreichenden Komponisten (dem ein entfremdet verstandener Progressionsbegriff einredet, daß Orchestermusik so etwas wie die höheren, darum möglichst komplexen Weihen des schöpferischen Daseins darstellen), von der Technik bis zum böswilligen Kritiker, der auf einmal zu hören vorgibt, was ihm vor zwanzig Jahren noch entgangen ist. Das sind Ausreden und diejenigen, denen Aufwand für Kultur als Verschwendung gilt, sehen sie gern: denn sie geraten aus der Schußlinie. Gerade auf sie aber wären die Waffen der Kritik und des Widerstands zu richten, auf die Verwertungsideologen, auf die Scharfmacher des Entertainments, auf die Proklamierer des Events. Von dort kurzfristig errungene Erfolge dürften sich allzubald als Pyrrhussiege herausstellen. Vielleicht sollte man einmal, im Selbstbewußtsein gestärkt durch die Resonanz des diesjährigen Donaueschingen, wirklich zusammentreten – Komponisten, Musiker, Organisatoren, Kritiker und andere –, um einen Katalog an Forderungen zu entwerfen, die für einen verantwortungsvollen Umgang mit Neuer Musik, mithin mit unserer, nötig sind. Man hat es leid, immer nur vor denen zu kuschen, die die Zeiten, auch die Probezeiten, diktieren.

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