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Nida-Rümelin: Intendantengehälter teilweise «obszön»

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München - Intendanten an deutschen Bühnen verdienen nach Ansicht von Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) zu viel. «Manche Intendantenverträge wirken obszön, wenn man ihre Gehälter mit denen der Ensemble-Mitglieder vergleicht und die oft klammen Kommunalfinanzen im Blick hat», sagte der Philosophie-Professor im Interview der Nachrichtenagentur dpa in München.

 

Versuche, die Gehälter zu deckeln, seien aber bislang ergebnislos geblieben - «was man ja auch irgendwie verstehen kann, wenn man denn einen besonders exzellenten Mann oder eine besonders exzellente Frau haben will».

Julian Nida-Rümelin war Kulturreferent der Stadt München und unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Kulturstaatsminister. Inzwischen ist der Philosophie-Professor wieder an seinen Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München zurückgekehrt - und beobachtet die Kulturpolitik der Bundesregierung von dort aus.


Das dpa-Interview im Wortlaut:

Frage: Sie kommen aus einer Künstlerfamilie und sagen, Kunst und Politik sprechen unterschiedliche Sprachen. Übersetzen Sie doch einmal die Probleme der Künstler von heute?

Antwort: Ein Beispiel sind die Arbeitsbedingungen. Praktisch existieren heute in den Großstädten kaum mehr Industriebrachen. Die aber, alte Gebäude, die niemand mehr brauchte, waren traditionell gute und günstige Orte für Künstler, um kreativ zu sein. Gerade Städte wie München und Stuttgart haben da ein großes Problem. Die Künstler wandern dann nach Berlin oder ins Ruhrgebiet ab.

Frage: Verlieren Städte wie Stuttgart und München darum langfristig an künstlerischer Bedeutung?

Antwort: Dieser Zug hat was verändert, ja. Die Szenen in München, Stuttgart oder auch Hamburg - und interessanterweise selbst die von Paris - sind ausgedünnt. Allerdings hat Berlin wiederum eine viel geringere Kaufkraft. Wenn es dann darum geht, Werke zu verkaufen, ist der süddeutsche Raum wieder günstiger.

Frage: Arbeitsflächen scheinen aber noch das geringste Problem zu sein, wenn man sich die finanzielle Situation mancher Künstler anschaut...

Antwort: Innerhalb der Künstlerschaft ist die Spreizung stärker geworden. Es gibt einige, die sehr, sehr viel verdienen. Unter den Top 100 der bildenden Kunstszene weltweit befindet sich ein erstaunlich hoher Prozentsatz deutscher Künstler. Der großen Mehrheit geht das aber anders. Die meisten Mitglieder des Berufsverbandes bildender Künstler sind auf Einkommensquellen zusätzlich zu ihren Künstlerhonoraren angewiesen, das Durchschnittseinkommen liegt gerade mal über dem Sozialhilfesatz.

Frage: Warum ist das so?

Antwort: Wir haben in der deutschen Kulturpolitik eine deutliche Schlagseite in Richtung Förderung des Musealen, der Geschichte, der kulturellen Erinnerung. Aber die zeitgenössische Kunstpraxis selbst, die Leute, die davon leben, geraten oft in den Schatten. Dabei müsste es doch in Deutschland eigentlich auch ein Interesse geben, mit den kreativen Potentialen der Künste sorgsamer umzugehen. Deswegen würde ich einen Schwerpunkt auf die direkte Künstlerförderung unabhängig vom Markt und von den großen Institutionen setzen.

Frage: Ist das eine Entwicklung, die sich durch alle Bereiche der Kunst zieht?

Antwort: Ja. In der bildenden Kunst sind die Unterschiede zwischen Top-Verdienern und der großen Mehrheit besonders krass, aber auch manche Intendantenverträge wirken obszön, wenn man ihre Gehälter mit denen der Ensemble-Mitglieder vergleicht und die oft klammen Kommunalfinanzen im Blick hat.

Frage: Was kann die Politik da tun?

Antwort: Letztendlich sind es städtische und staatliche Entscheidungen, die allerdings auf einem internationalen Markt künstlerischer Spitzenleistungen bestehen müssen. Da geht es nicht nur um persönliche Gehaltsvorstellungen, sondern auch um implizite Leistungsvergleiche. Die Städte und Länder haben sich auf Modelle einer Deckelung, die allenfalls in der innerdeutschen Konkurrenz hätte funktionieren können, nicht wirklich eingelassen, was man ja auch irgendwie verstehen kann, wenn man denn einen besonders exzellenten Mann oder eine besonders exzellente Frau haben will.
 

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