Normale Geigen werden repariert. Bei einer Stradivari spricht man von Wiedergeburt. Jedenfalls, wenn sie vor der Behandlung als nahezu unspielbar galt. Eine solche Stradivari-Renaissance gab es jetzt an der Sächsischen Staatskapelle in Dresden.
Es gibt vieles, was man mit einer wirklich guten Geige tun kann, nur eines sollte man unbedingt vermeiden: sich draufsetzen. Schon gar nicht, wenn es sich um eine Stradivari handelt! Da aber auch Musiker nur Menschen sind, ist selbst für eine Stradivari nichts ausgeschlossen – und so ist es vor etwas mehr als 100 Jahren tatsächlich geschehen, dass ein solches Instrument unter der Last eines Musikers in Dresden zu Bruch ging.
In „nervöser Zerstreutheit“ soll sich 1910 ein Konzertmeister der damaligen Hofkapelle auf sein Instrument gesetzt haben. Das war – und ist – Eigentum des Orchesters; es gehört seit 1833 zum Fundus der Kapelle. Zum Glück blieb das wertvolle Stück reparabel. Jetzt ist die „Strad“, wie sie unter Kennern kurz genannt wird, erstmals gründlich restauriert worden und nach fünf(!)jährigem Werkstattaufenthalt im Berliner Geigenatelier Kogge & Gateau wieder der Sächsischen Staatskapelle übergeben worden.
Dort wird die Violine mit der Inschrift „Cremona 1734“ seit kurzem von Konzertmeister Kai Vogler gespielt.
Der Musiker hat sich zur Geschichte des Instruments kundig gemacht: „Das Instrument ist den Dokumentationen zufolge für um die 800 Taler durch die damalige Königlich-Sächsische Kapelle in Paris angekauft worden. Für die damalige Zeit war das ein stolzer Preis. Es gibt Leute, die das heute auf zirka 100.000 Euro hochrechnen, aber das war das Instrument sicherlich wert. Nach dem Unfall von 1910 und den ersten Reparaturen blieb der Klang allerdings unbefriedigend. Man konnte den Zustand nur als bedauernswert bezeichnen.“ Dabei sind Stradivaris bekanntlich gerade für ihre Klangpracht berühmt. Man durfte es also gar nicht bei diesem Dilemma belassen! Schon in der Vergangenheit wurde die Violine zwar mehrfach repariert, aber nie so, dass ihre ursprüngliche Qualität je wiederhergestellt werden konnte.
Kai Vogler war sich des damit verbundenen Risikos durchaus bewusst: „Wir haben im Orchester gemeinsam überlegt, was man machen kann. Es war der dringende Wunsch, die Geige instandsetzen zu lassen. Sie so restaurieren zu lassen, wie es aus heutiger fachmännischer Sicht möglich ist. Man muss sich an so eine Restaurierung aber ein paar Jahre ketten und ist dem dann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Es ist immer ein Wagnis, denn man kann nicht sehen, was unter der Oberfläche an Beschädigungen lauert. Deswegen entschieden wir, die Stradivari zu Yves Gateau und Daniel Kogge nach Berlin zu geben, und wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.“
Bevor das Instrument 2008 zum Restaurieren ins Berliner Geigenbauatelier Kogge & Gateau ging, wurde es vom Londoner Experten Charles Beare auf seine Echtheit hin überprüft. Diese Expertise dürfte von unschätzbarem Wert sein, denn angesichts der ins Kraut schießenden Spekulationen um rare und alte Instrumente ist ein Echtheitszeugnis das A und O jeder Strad. Und in der Tat soll die Wertsteigerung beträchtlich sein, hinter vorgehaltener Hand wird vom Dreifachen des ursprünglichen Schätzpreises gesprochen.
Zu verdanken ist dies der aufwändigen Handarbeit von Yves Gateau und seinem Kollegen. Bei der Übergabe des Instruments erinnert er sich: „Das war eine große Herausforderung, aber auch ein tolles Projekt. Ich denke, die Riesen-Arbeit hat sich gelohnt, denn dies ist wirklich ein sehr hochwertiges Instrument, das haben auch wir nicht alle Tage in der Werkstatt.“
In einer peniblen Untersuchung mussten zunächst die Schäden festgestellt werden, beispielsweise die Risse in der nur noch hauchdünnen Decke, die in ihrer Wölbung stark deformiert war und mittels diverser Gipsabgüsse in zahlreichen mehrmonatigen Arbeitsschritten wieder korrigiert wurde. Selbst die ursprüngliche Deckenbreite war nicht mehr gegeben und musste wiederhergestellt werden. Ob Zargenkranz, Boden- oder Deckenfutter, überall musste Hand angelegt werden, um die Schäden durch Unfall und unsachgemäße Werkstattarbeiten zu beheben.
Im Nachhinein zeigte Yves Gateau jedoch Verständnis für die Unzulänglichkeiten früherer Reparaturversuche, die Kollegen seien halt nicht auf dem Stand der heutigen Möglichkeiten gewesen und hätten oft auch nicht die der hohen Qualität dieses Instruments gerecht werdenden Materialien zur Verfügung gehabt. Insbesondere die stark deformierte Wölbung der Geigendecke sei auf den Einsatz von unpassendem Futter zurückzuführen gewesen. Daher spricht Gateau nach dem Abschluss seiner Arbeiten auch von einer umfänglichen Restaurierung der Stradivari, die dem Beare-Gutachten zufolge übrigens um 1727 herum gebaut worden sein soll. Die sieben Jahre später datierende Inschrift weckt zumindest Fragezeichen.
Dass sie nun aber wieder dem Konzertleben der Sächsischen Staatskapelle zur Verfügung steht, ist fraglos das beste Ergebnis dieser instrumentalen Odyssee. In einem Kammerkonzert Ende Oktober – Kai Vogler spielte darin gemeinsam mit der Pianistin Mirjana Rajic die A-Dur-Sonate für Violine und Klavier von César Franck – konnte sich das Publikum bereits von der Klangfülle der Stradivari überzeugen.
Angesichts der galoppierenden Preise solcher Pretiosen scheint ein orchestereigener Instrumentenfundus von geradezu weitsichtiger Weisheit zu sein. Auch die nicht unerheblichen Investitionen für Expertise und Restaurierung sind Konzertmeister Kai Vogler zufolge gut angelegtes Geld: „Die Stradivari ist natürlich ein Highlight. Deswegen war die Restaurierung auch dringend nötig und wir sind sehr froh, dass die Mittel dazu bereitgestellt wurden.“ Während man zuvor keine verlässliche Wertschätzung vornehmen konnte, sondern nur über den ideellen Wert dieses Instruments sprach, würde jetzt feststehen, dass die Reparaturkosten in einem sehr guten Verhältnis zur Wertsteigerung stünden.