Dresden - Der israelische Dirigent Omer Meir Wellber (36) plädiert für einen nüchternen Umgang mit der Person und dem Werk von Richard Wagner. «Wenn man Wagner in Deutschland weiterhin mit einer Art Heiligenschein umgibt und ihn auf einen Sockel stellt, dürfte er es schwer haben in Israel», sagte er mit Blick auf den weitgehenden Boykott Wagners in Israel.
Er ist dort als Lieblingskomponist des NS- Regimes und Antisemit verpönt. Meir Wellber hält nichts von einer Überhöhung Wagners. Es wäre falsch, seiner Musik eine übermenschliche Dimension zu geben: «Wagner gehört ganz irdisch auf den Boden gestellt. Das könnte eine Chance für Aufführungen in Israel sein.»
Omer Meir Wellber selbst will sich Wagner behutsam nähern: «Bislang habe ich nur meinen Schlüssel zu «Tannhäuser» gefunden.» Diese Oper habe er bereits in Venedig dirigiert und werde sie auch bei der Wiederaufnahme an der Semperoper Dresden 2019 leiten. Kürzlich war der 36-Jährige in Dresden zum Ersten Gastdirigenten der Oper ernannt worden. Bei Wagner sieht er auch eine manipulative Seite: «Seine Musik besitzt oft einen doppelten Boden. Das macht seine Magie aus. Richard Strauss sagt mit seiner Musik, was er denkt. Wagner nicht.»
Wagners vierteiliger Opernzyklus «Der Ring des Nibelungen» sei für ihn wie Science Fiction: «Das würde ich heute noch nicht dirigieren wollen», sagte der Dirigent. Kollegen wie Christian Thielemann und Daniel Barenboim könnten das besser: «Ich habe Barenboim oft assistiert, wenn er Wagner dirigierte - wunderschöne Momente. Für mich könnte der «Ring» erst am Ende der Suche stehen.»
Meir Wellber: Einen «heiligen» Wagner brauchen wir nicht
Interview mit Omer Meir Wellberg: Jörg Schurig, dpa
Frage: Richard Wagner ist wegen seines Antisemitismus ein schwieriges Thema in Israel. Wäre die Aufführung seiner Werke dort eine Aufgabe für Sie?
Antwort: Eher nicht. Man muss das Thema nicht besonders betonen. Es gibt genügend andere wunderbare Komponisten, die sehr populär in Israel sind. Wagner hat eine große manipulative Seite. Seine Musik besitzt oft einen doppelten Boden. Das macht seine Magie aus. Richard Strauss sagt mit seiner Musik, was er denkt. Wagner nicht. Bislang habe ich nur meinen Schlüssel zu «Tannhäuser» gefunden. Nun suche ich nach dem nächsten Stück, aber das ist nicht so einfach.
Frage: Wie wäre es mit einem Wellber-«Ring»?
Antwort: Der «Ring» ist momentan wie Science Fiction für mich. Das würde ich heute noch nicht dirigieren wollen. Leute wie Christian Thielemann und Daniel Barenboim können das viel besser. Ich habe Barenboim oft assistiert, wenn er Wagner dirigierte - wunderschöne Momente. Für mich könnte der «Ring» erst am Ende der Suche stehen.
Frage: Ist es eine Frage der Zeit, bis Wagner in Israel überall gespielt wird?
Antwort: Wenn man Wagner in Deutschland weiterhin mit einer Art Heiligenschein umgibt und ihn auf einen Sockel stellt, dürfte er es schwer haben in Israel. Einen solchen «heiligen» Wagner brauchen wir nicht. Heilig ist nur das Leben. Man sollte seine Werke nicht überhöhen, sondern wie eine normale Oper betrachten. Das ist gute Musik. Es wäre aber falsch, ihr eine übermenschliche Dimension zu geben. Wagner gehört ganz irdisch auf den Boden gestellt. Das könnte eine Chance für Aufführungen in Israel sein.
Frage: Sie arbeiten künftig als Erster Gastdirigent der Semperoper. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Antwort: Sie hat für mich eine besondere Bedeutung. Das ist ja nicht immer so in der Zusammenarbeit zwischen einem Dirigenten und einem Orchester. Nur manchmal trägt das Früchte. Bei der Staatskapelle Dresden überrascht mich das nicht mehr. Wir kennen uns sehr gut und müssen nicht jedes Mal von Neuem anfangen. Es ist ein sehr schönes Gefühl, hier zu arbeiten. Die Chemie zwischen mir und dem Orchester stimmt. Ich bin ja sehr spontan und versuche, immer etwas Neues zu machen. Nicht nur neue Musik, sondern auch Neues im Umgang mit Altem.
Frage: Sie wohnen in Mailand und dirigieren überall auf der Welt. Was ist für Sie Heimat?
Antwort: Musikalisch ist meine Heimat jetzt Dresden. Hier fühle ich mich besonders wohl. Das ist meine musikalische Welt. Ich komme ja praktisch aus der Wüste und habe einen ganz anderen kulturellen Hintergrund. Aber die Musiker in Dresden lassen mich machen. Ihre musikalische Ästhetik ist mir sehr vertraut.
Frage: Sie sind viel bei Orchestern zu Gast. Inwieweit versuchen Sie denen ihre klanglichen Vorstellungen aufzudrücken?
Antwort: Das ist eine sehr interessante Geschichte. Im letzten Herbst habe ich in Birmingham die 7. Sinfonie von Anton Bruckner dirigiert. Ein Kritiker schrieb danach, es habe ein bisschen wie die Dresdner Staatskapelle geklungen. Wenn man viel mit einem Orchester arbeitet, bleibt etwas in einem zurück. Ich weiß nicht, wie es funktioniert. Man nimmt die Ästhetik eines Orchesters in sich auf. Etwas davon bleibt in meinem Kopf und wird dann weitergegeben.
Frage: Im Herbst gibt es Ihr Debüt an der Met in New York. Wird das eine längere Zusammenarbeit?
Antwort: Wir haben zunächst für zwei Spielzeiten geplant. Aber emotional fühle ich mich mehr Europa verbunden. Ich bin drei bis vier Wochen im Jahr in den USA. Das ist ziemlich weit weg. Natürlich will ich so oft wie möglich meine zweijährige Tochter in Mailand sehen.
Frage: Sie wollten wieder mehr komponieren. Hat es geklappt?
Antwort: Bislang nicht. Ich habe aber nach dem Mozart-Buch noch ein weiteres geschrieben, einen Roman. Der soll in ein paar Monaten in Israel erscheinen, später vielleicht auch in Deutschland und Italien. Derzeit arbeite ich mit dem Lektor am Feinschliff. Das ist schwieriger als das Schreiben selbst.
ZUR PERSON: Omer Meir Wellberg (36) gilt als einer der gefragtesten Dirigenten der jüngeren Generation. In Deutschland fühlt er sich vor allem an der Bayerischen Staatsoper München und der Semperoper Dresden zu Hause.