Hauptbild
Moral in der Schwebe: Szene aus Moritz Eggerts „Bordellballade – ein Dreigoscherlnstück“. Foto: Thomas Ruttke
Moral in der Schwebe: Szene aus Moritz Eggerts „Bordellballade – ein Dreigoscherlnstück“. Foto: Thomas Ruttke
Banner Full-Size

Verhaltene Hoffnung, kämpferischer Optimismus

Untertitel
Das 18. Kurt-Weill-Fest in Dessau war überschattet vom „Blut-und-Tränen-Papier“ der Stadt
Publikationsdatum
Body

Wer zur Eröffnung des 18. Kurt-Weill-Festes in Dessau den Aufgang zum Anhaltischen Theater betrat, hörte – Hanns Eisler. Sein „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ war Teil einer Demonstration gegen das „Blut-und-Tränen-Papier“ der Stadtverwaltung von Mitte Februar. Zusätzlich zu den bisher erfolgten Einsparungen sollen nämlich in der chronisch unterfinanzierten Stadt Dessau-Roßlau vom Jahr 2013 an weitere 13,5 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden. Betroffen sind Bibliotheken, Schwimmbäder, Sportplätze und das Anhaltische Theater – ein fatales Signal für die alte Hochburg der Aufklärung und der klassischen Moderne! Eckehard Fuhr hat das Problem im Feuilleton der Welt auf die treffende Formel gebracht: „Ohne diese Einsparungen gibt es ab 2018 keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr. Mit diesen Einsparungen gibt es Dessau nicht mehr.“

Vor einem halben Jahr dominierte noch vorsichtiger Optimismus. Philipp Oswalt, neuer Direktor der Stiftung Bauhaus, André Bücker, neuer Generalintendant am Anhaltischen Theater, und Michael Kaufmann, neuer Direktor des Kurt-Weill-Zentrums, verkündeten im Sommer 2009 (in Anspielung auf den Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau 1925) das Motto „Jetzt wird gedessauert“. Es war ein klares Bekenntnis: „Wir wollen“, so verkündeten die Drei, „mit unserer Arbeit die Geschichte dieser im 20. Jahrhundert so mutigen wie geschundenen Stadt betonen, gleichzeitig aber auch zeigen, welche Möglichkeiten Dessau in der Zukunft haben könnte.“

Das diesjährige Weill-Fest, noch von Kaufmanns Vorgänger Clemens Birnbaum konzipiert, nutzte die Chance, das kulturelle Potential vor Ort zu demonstrieren. Das Anhaltische Theater brachte – mit Unterstützung der New Yorker Kurt-Weill-Foundation – Weills Broadway-Musical „One Touch of Venus“ in einer ansehnlichen  Referenz-Aufführung auf die Bühne. Der Komponist Helmut Oehring schrieb als „Artist in Residence“ eigens für das Weill-Fest und seine Kooperationspartner (Triennale Köln und Oper Frankfurt) ein „Songspiel“ zur Aufführung im Anhaltischen Theater. Ein zweiter Kompositionsauftrag für die Bauhaus-Bühne war (in Zusammenarbeit mit dem Theater Koblenz und der Neuköllner Oper in Berlin) an Oehrings Kollegen Moritz Eggert gegangen.

Zwei Uraufführungen, eine repräsentative Erstaufführung, dazu zahlreiche Konzerte, Songabende, Vorträge und Führungen – Weill selbst wäre mit seiner Heimatstadt zufrieden gewesen. Aber unter aller pulsierenden künstlerischen Vielfalt lag in diesen Tagen – wie ein penetranter, bedrohlicher Orgelpunkt – das „Blut-und-Tränen-Papier“ der Stadt. Unruhe, Nervosität und Zorn prägten die Stimmung vor und hinter den Kulissen, aber auch verhaltene Hoffnung und kämpferischer Optimismus waren zu spüren.

Programme mit Weill-Songs sind keine Seltenheit mehr. Aber dass jemand in die Ouvertüre zur Dreigroschenoper den Eingangschor von Bachs Weihnachtsoratorium hineinblendet oder Weills Cocteau-Vertonung „Es regnet“ mit einem von Mahlers Kindertotenliedern verschneidet, das ist ebenso neu wie instruktiv. „Der rauschende Gesang der Sterne“ hieß die pfiffige Matinee, die die Schauspielerin Anne Simmering und der Komponist und Kapellmeister Ulrich Pakusch, beide vom Mainfranken Theater Würzburg, in einem kleinen Saal im Georgium-Schloss präsentierten. Gut gelaunt, wie auf einer spontanen Entdeckungsreise, hangelten sich die beiden an Weills Biographie entlang, gruben Weill-Raritäten aus, sprangen zur Musik der Zeitgenossen und würzten das Ganze mit einer Spur Kabarett. Am Ende waren zweieinviertel Stunden wie im Flug vergangen.

Kurzweilig gestaltete sich auch Moritz Eggerts Bordellballade. In Anlehnung an Brecht trägt sie – in kalkulierter Abweichung um einen wichtigen Buchstaben – den Untertitel „Ein Dreigoscherlnstück“. Das Szenario des österreichischen Schriftstellers Franzobel spielt im Huren- und Gangster-Milieu, wie es ähnlich Brecht und Weill in der Dreigroschenoper, Mahagonny und Happy End herbeizitieren. Darüber hinaus stecken Musik, Text und Situationen der Bordellballade voller Anspielungen nicht nur auf diese drei Werke, sondern auch auf benachbarte Komponisten und Genres – bis hin zu Anatevka oder den Hildegard-Knef-Schlager „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. In fast schon durchtriebener Weise kreieren Eggert und Franzobel daraus aber ein Stück von vordergründiger Stringenz, dessen Melodien im Ohr noch eine ganze Weile nachklingen.

Ähnlich wie in der Dreigroschenoper räsonieren die Figuren in ihren Liedern über Dinge, die mit der Situation nichts zu tun haben, oder behaupten das Gegenteil von dem, was sie wirklich tun. Wenn sie Gesellschaftskritik üben, weiß man oft nicht, ob sie das ernst meinen oder bloß damit kokettieren. Es gibt die resolute Puffmutter und den charmanten Gangsterboss, es gibt zwei Prostituierte und zwei Freier. Da geht es auf der Bühne nicht ab ohne Obszönitäten und Brutalitäten, aber sie sind in Robert Lehmeiers Inszenierung so dosiert, dass sie weniger Abscheu oder Abstumpfung als Unbehagen erregen. Die Stimmung ist deutlich ungemütlicher als bei Brecht und Weill – zumindest solange man sich deren Texte nicht genau ansieht. Und genau wie die Dreigroschenoper hat die Bordellballade einen doppelten Schluss: Bei Brecht und Weill folgt auf das Opernfinale noch ein Choral, bei Franzobel und Eggert auf ein Wienerlied noch ein Hymnus. Die Moral bleibt in der Schwebe.

Helmut Oehring tat sich offensichtlich schwerer mit seinem Kompositionsauftrag. Ihm, der als Sohn gehörloser Eltern zunächst mit der Gebärdensprache aufgewachsen ist und musikalisch von der Neuen Musik her kommt, scheint ausdrucksstarke Instrumentalmusik deutlich mehr zu liegen als die verschiedenen Methoden der Sprachbehandlung. Diesen Anschein erweckte nicht nur das eindrucksvolle und dichte Porträtkonzert auf der Bauhausbühne, sondern auch das Songspiel „Die WUNDE Heine“ im Anhaltischen Theater. Dessen von Stefanie Wördemann konzipiertes Szenario strotzte von außermusikalischen Verweisen und dramaturgischen Komplikationen – weit mehr als einem Theatertext gut tut.

Wie geht es weiter? Da die Förderverträge noch bis 2012 laufen, dürfte das kommende Weill-Fest von der Krise noch einigermaßen verschont bleiben. Geplant ist ein Schwerpunkt Berlin, das Ensemble Modern wird Artist(s)-in-Residence, und Kurt Schwertsik wird ein Werk zum Thema „Dada“ komponieren. Ein Signal für die Zukunft setzte ein wichtiger Sponsor schon bei der Abschluss-Pressekonferenz: Es gebe kaum ein Festival mit sovielen Vernetzungen und Synergien wie das Weill-Fest, erklärte Patricia Werner von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung. Aber man könne die öffentliche Hand nur unterstützen, nicht ersetzen.

Lesen Sie auch den Bericht des Autors über Helmut Oehrings „Die Wunde Heine“ beim Kurt-Weill-Fest in Dessau.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!