Zu den Grundprinzipien von Community-Music-Arbeit gehört die Mitgestaltung der Teilnehmer*innen an dem, was musikalisch entsteht. Je nach Teilnehmerkreis, Vorerfahrungen und Zielsetzungen kann das sehr unterschiedliche Formen annehmen. Wie kann aber ein hoher Grad an Mitbestimmung mit Gruppen gelingen, in denen Menschen neu zusammenkommen und sich als Gruppe erst finden und kennenlernen müssen?
Kennenlernen und Kreativsein
Das Bild des Gastgebers, das Lee Higgins (2012) so treffend für die Rolle des Facilitators in den Diskurs eingebracht hat, hilft bei der Orientierung: Je nachdem, wer zum Abendessen eingeladen ist, kann mehr oder weniger Mitbestimmung angemessen sein. Kommen gute Freunde, kochen wir wahrscheinlich gemeinsam, sie bringen möglicherweise etwas zum Kochen oder Getränke mit, sie kennen sich in der Küche aus und dürfen diese selbstverständlich mitbenutzen. Wenn ich aber Gäste erwarte, die ich noch nicht lange kenne und die zum ersten Mal zu mir nach Hause kommen, begrüße ich sie an der Tür, zeige ihnen den Weg und gebe mein Bestes, dass sie sich willkommen fühlen und sich entspannen können. Die meisten Entscheidungen sind in diesem Fall aber schon gefallen – zur Entlastung der Gäste.
Auf den Kontext von Community-Music-Arbeit übertragen bedeutet das, dass der Grad an Mitbestimmung ebenfalls davon abhängt, wie vertraut sich die Gruppe und der Facilitator sind, mit welchen Ideen und Zielen sich die Gruppe trifft und wie viel Vorerfahrung schon da ist. Menschen, die neu in einer Gruppe zusammenkommen, haben zunächst das Bedürfnis, auf sozialer Ebene miteinander anzukommen und Vertrauen aufzubauen. Somit spielt das Prinzip der „Sicherheit“ eine wichtige Rolle bei der Frage, wie viel Mitbestimmung möglich und sinnvoll ist.
Die Aktivität, die ich hier vorstellen möchte, eignet sich besonders für Gruppen, die sich neu bilden und schon etwas musikalische Vorerfahrung mitbringen. Kennengelernt habe ich das Konzept beim Berliner Perkussionisten und Rhythmuslehrer Klaus Staffa; nachfolgend experimentierte ich mit Erweiterungen der Idee. Anders als viele andere Kennenlern- und Namensspiele erfordert sie sehr schnell eigenständiges Arbeiten und kreatives Teamwork, was aber – wenn es gelingt – zu einem hohen Energielevel in der Gruppe und einem direkteren Kennenlernen von einigen Teilnehmer*innen untereinander führt, was das Gefühl von Vertrautheit in der Gruppe stärkt.
Die Grundidee beruht auf einer Basismethode des Rhythmuslernens: Worte oder Namen werden dazu verwendet, einen bestimmten Rhythmus zu erlernen. In dieser Aktivität ist es umgekehrt. Wir nutzen die eigenen Namen (in Kleingruppen zwischen drei und fünf Teilnehmer*innen), um einen eigenen Rhythmus zu erfinden, der in einen langsamen 4/4-Takt passt. Dieser wird von den Teilnehmern in Bodypercussion „übersetzt“ und dann gleichzeitig mit den anderen Gruppen gespielt. Im Anschluss wird er noch pentatonisch mit Melodie und/oder Harmonie versehen, die sich die Teilnehmenden wieder in Kleingruppen ausdenken.
Ablauf
Ich nutze für die Gruppenarbeit meist einen bewährten Ablauf, der – nach einer Begrüßung oder einem Willkommenslied – darauf hinarbeitet, dass die Teilnehmenden die eigenständige, kreative Arbeit gut bewältigen können. Dazu gehört die Fähigkeit, einen Rhythmus über einen stabilen Grundschlag klatschen, patschen oder schnipsen zu können. Tatsächlich helfen dabei aber auch ein paar rhythmusstabile Menschen und die Gesamtgruppe denjenigen, die sich damit schwerer tun.
Einen leichten Einstieg bietet der Klatschkreis: Ein Klatscher wird im Kreis herumgegeben, mit Augenkontakt und Körpereinsatz, die auch einen danach erfolgenden Richtungswechsel anzeigen (in die Richtung klatschen, in die es weitergehen soll). Variationen in der Schnelligkeit sorgen für Spaß und Energie. Im Anschluss wird der Klatscher durch den Namen ersetzt: Nun sagt jede*r seinen eigenen Namen anstelle des Klatschers. Als Herausforderung gibt es nun eine Runde, in der zwei Namensrunden gleichzeitig nach rechts und nach links durch den Kreis laufen lässt, was ein wenig intendiertes Chaos produziert, wenn bei einer Teilnehmerin die Namen gleichzeitig von zwei Seiten kommen. Wenn diese Herausforderung gemeistert ist, gibt es gleich eine neue: Nun sollen die Namen, die ja gegenläufig durch den Kreis gehen, gleichzeitig wieder beim Facilitator ankommen. Dies führt zu einer höheren Gruppenwahrnehmung und zu der Frage, wie die Gruppe das Problem kooperativ lösen kann. Oft ergibt sich, dass ein gemeinsamer Beat hier hilft; aber auch andere Lösungen sind möglich.
Danach gibt es eine Einheit, in der über Call-Response ein wenig Bodypercussion geübt wird – von leicht nach schwieriger werden verschiedene Bodypercussion-Rhythmen und -Techniken vorgestellt und von den Teilnehmer*innen wiederholt. Dann wandert die Leitungsrolle von Call-Response ebenfalls durch den Kreis – einer nach dem anderen stellt ein Bodypercussion-Pattern vor, die anderen machen es nach. Nun wird das Namenselement integriert: Der eigene Name wird mit Bodypercussion rhythmisiert und jeweils in Call-Response-Manier wiederholt. Damit werden einerseits die Namen gelernt, andererseits die nun folgende Kleingruppenarbeit vorbereitet.
Kernaktivität
In Kleingruppen (zwischen 3 und 5 Personen pro Gruppe) denken sich die Teilnehmer einen gemeinsamen gesprochenen Rhythmus zu ihren Namen aus, der auf einen langsamen 4/4-Takt passen muss. Das Tempo des Grundschlages gebe ich vor und nutze gerne auch eine Trommel, mit der ich während der Kleingruppenarbeit für ein gemeinsames Tempo sorge. Wenn die Kleingruppe Reihenfolge und Rhythmus gefunden hat, findet sie danach ein Bodypercussion Pattern zu diesem Rhythmus. Ein wichtiger Hinweis an die Kleingruppen ist hier, dass alle Gruppenmitglieder den Rhythmus bewältigen können müssen und dass alle den gesamten Takt (und nicht nur den eigenen Namen) sprechen und patschen. Außerdem ist es für das spätere Zusammenspiel schön, wenn die Rhythmen so gestaltet sind, dass man gleichzeitig dazu laufen kann.
Diese Phase dauert in der Regel etwa fünf bis zehn Minuten, in denen ich als Facilitator individuell die Kleingruppen unterstütze. Im Anschluss stellen die Kleingruppen ihren eigenen Rhythmus vor, und dann werden die Rhythmen aufeinander aufgebaut. Schon zu diesem Zeitpunkt hat man ein schönes Ergebnis, mit dem man musikalisch spielen kann:
- Es kann ein bestimmter Ablauf verabredet werden und somit daraus ein arrangiertes Stück entstehen.
- Es kann spontan mit dem Hinzukommen oder Pausieren von einzelnen Gruppen eine interessante Klangerfahrung gemacht werden.
- Die Sprache (also die rhythmisch gesprochenen Namen) kann weggelassen werden oder wieder hinzugenommen werden.
- Die Gruppe kann anfangen, sich sprechend und patschend durch den Raum zu bewegen, was noch mehr Rhythmusstabilität benötigt, gleichzeitig aber auch die Begegnung mit anderen Rhythmen (und Namen) ermöglicht.
Als Fortsetzung kann man die Kleingruppen in eine weitere Arbeitsphase schicken: Auf der Grundlage einer pentatonischen Tonleiter denken sich die Kleingruppen nun eine Melodie zu ihrem schon vorhandenen Rhythmus aus. Die Tonleiter wird dazu vorher vom Facilitator vorgestellt und gemeinsam gesungen. Es kann helfen, den Kleingruppen präparierte Xylophone (auf denen nur die Töne der Tonleiter vorhanden sind) zur Verfügung zu stellen, so dass sie keine Mühe haben, eine Melodie mit den richtigen Tönen zu finden. Im Anschluss an die Kleingruppenarbeit präsentieren die Namensgruppen den anderen wieder ihre Melodie. Auch mit diesem weiteren Element kann nun wie oben beschrieben gespielt werden. Bei Menschen mit viel Vorerfahrung und Instrumentalkenntnissen ist es möglich, den Kleingruppen die Aufgabe zu geben, auf der Grundlage ihrer Melodie ein kleines Stück zu erfinden, bei dem die Melodie immer (wieder) erklingen soll, aber nicht von allen gespielt werden muss. Das eröffnet Möglichkeiten von Harmonisierung und rhythmischer sowie instrumentaler Gestaltung, bei der manchmal kleine Kunstwerke entstehen.
Je nachdem, wie viele Bausteine dieser Aktivität man in einer Session nutzt, dauert das Ganze also zwischen etwa 30 Minuten und einer Stunde. Aufgrund ihrer Flexibilität kann diese Aktivität sowohl für Menschen mit weniger als auch mit mehr Vorerfahrung funktionieren, und sie ermöglicht auch das Einbinden von verschiedenen Levels an Vorerfahrung innerhalb einer Gruppe. Meist sind die Teilnehmer*innen hinterher erstaunt, wie man mit einer recht einfachen Grundidee so musikalisch und kreativ arbeiten kann. Das Gefühl, selbst so viel Musik erschaffen zu haben, erzeugt zudem berechtigten Stolz und Selbstwirksamkeit – beides wirkt sich positiv auf das Gruppengefühl aus.
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