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Ein Mann im Anzug und Zylinder liegt am Boden, eine Frau im Hochzeitskleid seinem Schoß. Die hält aber die Hand eines anderen Mannes in Ledeshose und buntgemustertem Hemd, der über den beiden steht und sich zu ihr runterbeugt.

Dreigroscheoper in Bad Hersfeld: Kriminelle Männer und käufliche Frauen: Hier gespielt von Simon Zigah, Oliver Urbanski und Gioia Osthoffs

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Bechers Bilanz – Juli 2024: Mehr Olearius denken

Vorspann / Teaser

Die „Dreigroschenoper“ hält der kapitalistischen Gesellschaft einen Spiegel vor, in dem Bürger, Banker und Bettler auf gleiche Weise hässlich aussehen. Doch zeigt der Spiegel sie so sexy, dass das Stück seit der Uraufführung 1928 zu den Goldgruben des Repertoires zählt. Unverwüstlich Bertolt Brechts Story um den Menschenfänger, Lügner und Mörder Macheath, unverwüstlich die von Kurt Weill geschriebenen Hits. Weder vor knapp hundert Jahren noch heute steht die Provokation der „Dreigroschenoper“ ihrem Erfolg im Wege. Bejubelt wird, was einem die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste.

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Bad Hersfeld: Die Dreigroschenoper
Knackige Version ohne Zeige- und Mittelfinger

Regisseur Michael Schachermaier reckt bei der Open-Air-Aufführung der „Dreigroschenoper“ weder Zeige- noch Mittelfinger, sondern fetzt eine (wie er es formuliert) „knackige“ Version in die Stiftsruine der Bad Hersfelder Festspiele, die lediglich im „Kanonenbootsong“ einknickt. Das Wort „Rasse“ scheint dem Regieteam so anstößig, dass es entfernt werden muss. Aber Frauen dürfen eine Aufführung lang pauschal als käuflich, Männer als kriminell dargestellt werden? Wokismus unterscheidet sich nicht immer von Feigheit. Mehr Mut beweist die musikalische Einrichtung durch den Pianisten Lukas Mario Maier. Das Bläserquartett enthält ausreichend Weill, das Rocktrio steuert Schärfe und Schmutz bei. Gleich zu Beginn präsentiert Maier im vom gesamten Ensemble vorgetragenen Mackie-Messer-Song die ganze Klangvielfalt seines Septetts. Simon Zigah ist ein untypischer Macheath: Der aus dem Hamburgischen Mümmelmannsberg stammende farbige Schauspieler erinnert mehr an den Rapper Xatar als an die Eleganz eines Birane Ba, der in Thomas Ostermeiers französischsprachiger Inszenierung noch in der arte Mediathek zu finden ist. Aber genau so einen ungehobelten, latent gewaltbereiten Mann sehnt sich Polly ja auch herbei. Im quirligen (aber nie überdrehten) Schauspiel darf man keine Gesangskünste erwarten, und das Hersfelder Publikum am 19. Juli tut es auch nicht. Die Wienerin Katharina Pichler als Mrs. Peachum und die Rockröhre von Oliver Urbanski als Tiger Brown sind die rühmlichen Ausnahmen. Götz Schulte als Jonathan Peachum rockt die Bühne mit leidenschaftlicher und herausragender Diktion. Am Ende singen alle noch einmal den Mackie-Messer-Song, im Publikum denken wahrscheinlich zu wenige an Christian Olearius, die meisten aber an die sexy Kostüme von Alexander Hotter.

arte Mediathek: Charpentiers „Médée“
Die Rache der betrogenen Zauberin

Gegenüber der regelmäßig neu inszenierten „Médée“ von Luigi Cherubini – unvergessen Krzysztof Warlikowskis Regiearbeit am Théâtre de la Monnaie 2011, wo eine brennende Nadja Michael als Amy Winehouse kostümiert war (erhältlich als DVD) – hat es die barocke Version des französischen Komponisten Marc-Antoine Charpentier nicht leicht. Charpentiers Tonsprache lebt von der musikalischen Rhetorik einer Epoche, deren Vokabular kaum noch jemand versteht. Man muss also bei der in der arte Mediathek anwählbaren Aufführung der Opera de Paris mit Les Arts Florissants unter William Christie sehr genau hinhören (und die Untertitel mitlesen), um auch in den ersten drei Akten den Vulkan zu sehen, der in Medea brodelt: der Königstocher, der Zauberin, der Verräterin, der Ausgestoßenen, der Liebenden. Erst als Betrogene wird sie zur Rächerin und entfesselt jenes Drama, das auf die Ermordung der eigenen Kinder zuläuft – was Dichter, Komponisten und Maler seit Seneca und Ovid nicht losgelassen hat. Die französisch-italienische Mezzosopranistin Lea Desandre vollzieht die Wandlung von der liebenden Exilantin zur mörderischen Hexe mit phänomenaler Musikalität und Bühnenpräsenz (inklusive einer Tanzeinlage). Ihr Gesang ist elegant, verführerisch und schneidend – eine Sensation! Regisseur David McVicar siedelt die Handlung in den Jahren des Zweiten Weltkriegs an. Den Militarismus der Epoche gibt er der Lächerlichkeit preis, doch die politischen Ränkeschmiede fordern reale Opfer. Und er scheut nicht davor zurück, auch das Schauerstück mit Teufeln, Zombies und grünlichem Trockeneis anzufüttern. Für Jason interessiert er sich kaum, Reinoud Van Mechelen bleibt ein blasser Schönling mit einem Tenor, der einzig Medeas Verliebtheit rechtfertigen mag. Dies ist keine feministische Sichtweise. Aber wer nicht mit Charpentiers Médée leidet, hat kein Herz.

CD: Olivier Messiaen mit Barbara Hannigan
So farbig, so schwerelos

Abseits von Schubert, Schumann und Mahler – plus ein wenig Wolf und Brahms – steht es im aktuellen Konzertleben um das Klavierlied schlecht. Die wenigen Connaisseurs des Liedgesangs bringen die Kalkulation der Veranstalter nicht in die Gewinnzone. Wie viel Erstklassiges bei Ives und Schönberg, Rihm und Reimann, Franzosen und Engländern wäre zu entdecken! Zum Beispiel Olivier Messiaen. Der Lorbeerkranz des Monats gebührt daher Barbara Hannigan, die bei alpha eine CD mit zwei Liederzyklen Messiaens vorlegt: „Chants de Terre et de Ciel“ und „Poèmes pour Mi“. Ihr Partner ist der französische Pianist Bertrand Chamayou, dessen aktuelle Cage-CD ebenfalls Gehör verdient. Die Messiaen-CD gleicht einem Wunder. Die kanadische Sopranistin kann Ekstase sowohl religiös grundieren als auch mit einem Hauch Verlangen oder Bitterkeit versehen. Gleichzeitig beherrscht sie die weltabgewandte Reinheit einer Melisande. Das Wort „Allelujah!“ singt sie jedes Mal mit anderen Farben. Natur und Religion bilden den Boden, auf dem Messiaen wurzelte, und von diesem aus schweben wir mit der Sängerin empor. Ihr Pianist tupft die typischen Akkordtrauben Messiaens mit der gleichen Schwerelosigkeit: Klänge ohne Gravitation. Viel Arbeit steckt hinter dieser Leichtigkeit, mit der sich die beiden im letzten der „Poèmes“ („Prière exaucée“) in die Höhe werfen, um Gott näher zu sein. Berührt berichtet Hannigan im Booklet, wie die Atmosphäre des Landhauses von Reinbert de Leeuw, ihrem langjährigen, damals bereits verstorbenen Musikpartner, die Proben befruchtete. Wenn Messiaens Opern-Zumutung „St. François d’Assise“ in immer neuen, immer gewagteren Aufführungen das Publikum verzaubert, sollte es dieser Einspielung erst recht gelingen.