Viele Musikinstrumente haben ihren eigenen Feiertag. Mit dem Kazoo, der Ukulele und dem Schlagzeug haben wir ein paar davon schon betrachtet – nicht alle können wir hier in dieser Serie berücksichtigen. Ein letztes Instrument für dieses Jahr: Am heutigen Tag des Saxophons wollen wir mit dem Klischee aufräumen, dass das Saxophon ein typisches Jazz-Instrument ist – seine ursprüngliche Bestimmung lag im Sinfonieorchester und in der Militärmusik. Mit Asya Fateyeva porträtieren wir gleichzeitig eine Ausnahmekünstlerin, die sich der klassischen Seite des Saxophons verschrieben hat.
Musikalische Jahrestage (15) – 6. November – Tag des Saxophons
Auf einer Pfeifenorgel wird nur kirchliche Musik gespielt, ein Tubist kann nur so ein paar tiefe Grundtöne spielen und das Saxophon ist ein typisches Jazz-Instrument – schnell und ungeprüft entsteht ein Klischee. Ein Instrument wird in eine Schublade gesteckt aus der herauszukommen sich oft schwierig bis unmöglich gestaltet. Pfeifenorgeln haben eine umfangreiche „weltliche“ Geschichte, man denke dabei zum Beispiel an die vielen Pfeifenorgeln in Konzertsälen oder privaten Haushalten. Auch die Orgelmusik selbst hat bis hin zur Untermalung von Stummfilmen ein umfangreiches weltliches Standbein. Über die vielfältigen und unerwarteten Möglichkeiten der Tuba haben wir in unserer Serie über das Instrument dieses Jahres, die Tuba, schon viel lesen könne, was diesem Klischee deutlich widerspricht.
Als das Saxophon um 1840 herum erfunden wurde, waren es noch gut 60 Jahre, bis der Jazz überhaupt aufkam und es dauerte einige weitere Jahre, bis er sich als Stilrichtung etabliert hatte. Der belgische Musiker, Erfinder und Instrumentenbauer Adolphe Sax sah als Einsatzort für sein neu entwickeltes Instrument das Sinfonieorchester oder die Blasorchester der Militärmusik. Er wollte mit dem Saxophon eigentlich ein gut klingendes und tragfähiges Holzblasinstrument in der tiefen Lage schaffen, denn das fehlte zu seiner Zeit in den Orchestern. Ursprünglich schwebte ihm dabei ein Instrument vor, das zwischen dem „wärmend-biegsamen“ Klang der Klarinette und dem eher durchdringenden, näselnden Sound der Oboe liegt. So war das erste voll funktionstüchtige Saxophon ein Bassinstrument; später baute er das Instrument in allen Stimmlagen von Sopranino bis Subkontrabass.
Auch auf unserer Patenplattform „Kuriose Feiertage“ wird hervorgehoben, dass das Saxophon „gerade im Bereich des Jazz und der Big Bands eine zentrale Rolle einnimmt und deren Sound bis in die Moderne wesentlich geprägt hat“. Immerhin wird dort auch erwähnt, dass Adolphe Sax damals in dem „französischen Komponisten und Musikkritiker Louis Hector Berlioz einen finanziellen Unterstützer“ gefunden hat. Über das Saxophon und „klassische“ Musik ist allerdings auch dort nichts zu finden.
Wie mittlerweile schon fast nicht anders zu erwarten, helfen uns die anderen bei Kuriose Feiertage verzeichneten Jahrestage nicht weiter, um uns dem heutigen „Internationalen Tag des Saxophons“ zu nähern. Drei weitere nationale Feiertage in den USA findet man hier: „den Tag des Basketballs“, den „Nacho-Tag“, der auch international begangen wird, und den „Ohne-Kompass-gestrandet-sein-Tag“. – Für die Wahl des 6. November als Internationalen Saxophon Tag gibt es keine großartige Geschichte; der 6. November 1814 war der Geburtstag von Adolphe Sax. Hier folgt man wohl einer eher angelsächsischen Tradition, Verstorbene an Ihrem Geburtstag zu ehren.
Jazz? Klassik?
Wir wollen heute den Jazz links liegen lassen und auf eine Künstlerin schauen, die sich dem musikalischen Repertoire verschrieben hat, das Sax anfangs zunächst für sein neues Instrument im Blick hatte: das „klassische“ und „ernsthafte“. Die Saxophonistin Asya Fateyeva bedauert sehr, dass sich diese klassisch-ernsthafte Stilfarbe für ihr Instrument bis heute im Konzertbetrieb nicht wirklich hat durchsetzen können, obwohl es einiges an Originalkompositionen aus dieser Stilrichtung gibt. Zu den wenigen frühen Saxophon-Partien gehört Georges Bizets Bühnenmusik (und die aus ihr resultierende Suite) „L’Arlésienne“ aus dem Jahr 1872. Fateyeva bezeichnet das klassische Saxophon-Repertoire als „überschaubar“. Es hat einen Umfang, den man als Profi „bis etwa zu seinem 30. Lebensjahr vollständig erarbeitet hat“. Die Tatsache, dass das Saxophon ein noch recht junges Instrument ist, begrenzt diesen Umfang des Repertoires natürlich noch einmal, weil eben die Komponisten deutlich weniger Zeit hatten, etwas für dieses Instrument zu schreiben, als etwa für die Flöte, die Violine oder die Orgel.
Nun könnte ein klassischer Saxophonist schnell an den Punkt kommen, an dem Langeweile aufkommt, weil alle erreichbare Literatur bereits erarbeitet und aufgeführt ist. Fateyeva lässt sich von diesem begrenzten Repertoire nicht entmutigen und geht mit ihrer Kreativität auf die Suche nach anderer durchaus auch „klassischer“ Musik, die sie zur Aufführung bringen kann. Diese ist in ihrer Originalform zumeist für andere Instrumente konzipiert als das Saxophon. Durch Bearbeitungen dieser Werke, durch eingefügte Improvisationen und natürlich auch durch eine gelegentlich sehr spezielle Wahl ihrer musikalischen Begleiter gelingt es Fateyeva musikalische Kleinodien zu entstauben und in zauberhafter neuer Kleidung auf die Bühne zu bringen. Dabei schwärmt sie über die Fähigkeiten ihres Instrumentes: „Saxophon kann alles sein. Es führt mich weiter und weiter und zeigt mir jedes Mal eine neue Seite“.
SHMF – Portraitkünstlerin
In diesem Jahr war Fateyeva vom Schleswig-Holstein Musik Festival als Portraitkünstlerin eingeladen worden und durfte sich, ihr Instrument und ihre Musik in den Mittelpunkt stellen – ein Mammutprogramm von neun Programmen in 17 Konzerten innerhalb von sieben Wochen. Dabei, so erklärt Laura Hamdorf, die Pressesprecherin des Festivals, bekommen „unsere Portraitkünstler eine Carte blanche, d. h. sie dürfen sich ihr Portrait nach eigenen Wünschen zusammenstellen – also über die Programme, die Anzahl der Projekte und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Orchestern entscheiden. Wichtig ist, dass die Musikerinnen und Musiker eine große Bandbreite ihres Repertoires vorweisen können, d. h. sowohl als Solisten in groß angelegten Konzerten auftreten als auch in Kammerformationen. Wenn sie in ihrem Repertoire ‚über den Tellerrand‘ hinausblicken, also ihr Instrument in einen neuen Kontext setzen, mit Musikstilen experimentieren etc., ist das natürlich immer eine spannende Facette.“
All diese Bedingungen erfüllt Fateyeva locker – so musiziert sie etwa mit dem NDR Vokalensemble, dem Mandolinisten Avi Avital und dem Venice Baroque Orchestra. Sie spielt „alte“ Musik, Stücke zeitgenössischer Komponisten und sie improvisiert. Sie erfüllt aber auch die Sache mit „über den Tellerrand“: In ihrem Programm „An die Liebe“ präsentiert sie die Musik der Troubadour in einer Besetzung mit Cello, Drehleier, Vibraphon und natürlich Saxophon. Die bald 1000 Jahre alten Gesänge bekommen in den Arrangements Bo Wigets eine ganz neue Dynamik und aktuelle Relevanz. Dabei ist allein schon die Kombination zweier alter Instrumente (Cello, Drehleier) und zweier relativ junger Instrumente (Saxophon, Drehleier) ein besonderer klanglicher Ohrenschmaus.
Barock? – Beatles und ABBA!
Schon vor einigen Jahren hat Fateyeva eine Zusammenarbeit mit der Berliner Lautten Compagney und ihrem ziemlich reinrassig barocken Instrumentarium aufgenommen. Damals entstand ein Programm unter dem Titel „Time Travel“. Eine Kombination, Gegenüberstellung und Verschmelzung zweier zeitlich knapp 300 Jahre auseinanderliegender musikalischer Welten gleicher Nationalität: die Welten von Henry Purcell und die der Beatles. Das Saxophon, so Wolfgang Katschner, Leiter der Lautten Compagney, kann „auf verblüffende Weise wie die historischen Blasinstrumente Blockflöte oder Zink“ klingen, ist aber auch ein Instrument unserer Zeit. In „Time Travel“ scheint das Saxophon mit seinen reichhaltigen Klangmöglichkeiten als musikalische Zeitmaschine zu agieren, die die unterschiedlichen Stilistiken zusammenbringt.
Während des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals hat Fateyeva mit der Lautten Compagney ein ähnliches Programm zu Gehör gebracht, das sich den Kompositionen von Jean-Philippe Rameau und ABBA widmet: „Dancing Queen“. Beide waren musikalische Superstars ihrer Zeit – aber das ist letztlich zu wenig, um sie direkt miteinander in Beziehung zu setzen. Auch ihre Vorliebe für Tänze ist nicht ausreichend. Katschner begründet sein Projekt folgendermaßen: „Unser Arrangeur und Cellist Bo Wiget wollte gern ABBA-Songs machen und ich habe dann Rameau vorgeschlagen, denn bei solchen Kombinationen ist es immer wichtig, dass die Partei neben der Popmusik einen starken Eigenwert hat, und das ist bei Rameau der Fall.“ Beim genauen Hinhören auf die Musik wird Katschner überdies klar: „Rameau ist sehr artifiziell, aber auch exaltiert und avantgardistisch – dadurch gibt es immer wieder gute Verbindungen und Brücken zu ABBA.“
War Rameau als Nachfolger von Jean-Baptiste Lully eng mit dem französischen Hof verbunden, so wurde der für das Programm titelgebende Song „Dancing Queen“ am 18. Juni 1976, am Vorabend der Hochzeit des schwedischen Königs Carl Gustav und seiner Verlobten Silvia Sommerlath uraufgeführt. Königshäuser allüberall. Die vier Mitglieder von ABBA waren dabei in barocke Kostüme gewandet. – Dem Saxophon überträgt Wiget in dieser Produktion die Rolle der menschlichen Stimmen der Sängerinnen Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad, denn „das klassische Saxophon trägt den Klang der menschlichen Stimme in sich – und wir adaptieren ja Lieder für Instrumente“, so Katschner. Dabei wird das Saxophon hier eben „nicht jazzig, sondern klassisch gespielt“.
Wiget hat sich beim Arrangieren der ABBA-Songs von der ungeheuren Vielfalt und Originalität inspirieren lassen, die schon Rameau in seinen Orchestersätzen zeigt. Dabei nutzt er die Maultrommel ebenso wie slaptongue-Effekte auf dem Saxophon. Im Konzert sagt Fateyeva: „Wenn Sie – weil Sie es nicht genau nachvollziehen können – wissen wollen, wo Rameau aufhört und ABBA anfängt, dann fragen Sie uns in der Pause. Wir wissen es aber auch nicht besser als Sie.“ Auf der CD ist die Gliederung eigentlich klar – Track für Track. Oftmals laufen sie einfach nacheinander, aber es wird auch kombiniert, assoziiert und verarbeitet. Die Grenzen zwischen den Stücken sind vielleicht durch die Pausen zwischen den Tracks markiert – aber das Ohr nimmt sie nicht immer wahr, macht sie nicht immer mit. So entsteht ein neuer ABBA-Sound und letztlich schon durch die Kombination der beiden Musikgiganten auch ein neuer Rameau-Sound.
Klassisches Saxophon!
Wenn Fateyeva „über den Tellerrand“ hinausblickt, muss sie in erster Linie immer wieder gegen das schon erwähnte -Saxophon-Klischee anarbeiten: „Ich muss für mich zunächst das Rätsel lösen, was die Menschen beim Begriff ‚Saxophon‘ im Kopf hören. Oft beschreiben sie einen Klang nicht aus dem Moment heraus, sondern bedienen Klischees: rauchig, schrill, balladenartig, laut. Das stimmt jedoch nicht immer. Das Saxophon ist so wandlungsfähig wie die menschliche Stimme. Ich wünschte, man würde ihm von Anfang an mit offenen Ohren begegnen.“ Andererseits sind das „klassische“ und das „jazzige“ Saxophon ein und dasselbe Instrument – vielleicht muss man mal ein etwas anderes Mundstück verwenden, eine neuartige Spieltechnik oder einen Dämpfer in den Schalltrichter des Instrumentes einbringen, das aber ändert am Instrument letztlich nichts. – Asya Fateyeva spielt klassisches Saxophon – aus Überzeugung. Sie weiß um die große Bandbreite des Saxophons und seine dem menschlichen Atem verhaftete Spielweise und so kann sie ihr Instrument klingen lassen, wie auch immer sie es will.
Klänge:
- „Time Travel“, Asya Fateyeva (Saxophon), Lautten Compagney, Wolfgang Katschner (Leitung), dhm/Sony 19439924962
- Beatles: „Another Girl“ (aus: „Time Travel“) – Asya Fateyeva (Saxophon) und die Lautten Compagney BERLIN
- (gestern [05.11.] erschienen:) „Dancing Queen“, Asya Fateyeva (Saxophon), Lautten Compagney, Wolfgang Katschner (Leitung), dhm/Sony 19802802552
- ABBA: „Mamma Mia“ (aus: „Dancing Queen“), Asya Fateyeva (Saxophon) und die Lautten Compagney BERLIN
Weitere Informationen:
- Share by mail
Share on