Morgenstund’ hat Gold im Mund. Doch Geld allein macht nicht glücklich. Von letzterer Erkenntnis sind Alberich und Wotan bei Wagner allerdings weit entfernt. Da wird erst „der Minne Macht entsagt“ und „der Liebe Lust verjagt“, dann das Gold geklaut und schließlich der daraus geschmiedete Ring mit einem Fluch belegt. Wotan kann am Ende zwar seine wackelige Baufinanzierung für Walhall bei Fafner auslösen und die weiteren Ring-Probleme auf zukünftige Generationen verschieben – aber der Weltenbrand ist entfacht. Eine Geschichte von gestern? Weit gefehlt!
Reihe 9 (#95) – don’t touch
Vermutlich ist dies auch einer der Gründe, warum die Ring-Tetralogie aktuell an so vielen großen wie mittleren Häusern auf dem Spielplan steht – oder sich in den kommenden Spielzeiten zu einem vollständigen Zyklus entwickeln wird. Wie nun an der Mailänder Scala, an der Ende Oktober mit der „Rheingold“-Premiere und der Wiederaufnahme einer älteren „Rosenkavalier“-Produktion (von Harry Kupfer) eine ganze Folge von Abenden mit primär deutschsprachigen Sänger:innen auf dem Spielplan stand. Die Idee dazu geht auf Dominique Meyer als ehemaligen Intendanten zurück, der für Wagner Christian Thielemann verpflichtet hatte, für Strauss Kirill Petrenko. Thielemann sagte gerade noch rechtzeitig sein Dirigat ab (ob tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen, wie andernorts diskutiert, darf offen bleiben).
Umso herzlicher und mit Vorfreude wurde Simone Young empfangen. Großes sollte sich anbahnen – die Erwartungshaltung war jedenfalls überall zu spüren. Und am Ende die Enttäuschung: Denn was David McVicar auf die Bretter des Traditionshauses brachte, wirkte über weite Strecken beliebig und versatzstückartig, die Personenführung gar unausgegoren. Von Alberichs vergeblichem Greifen nach den auf glitschigem Glimmer gleitenden Rheintöchtern blieb nur ein allzu starres, unbeholfenes Kraxeln und Klettern, die Riesen durften auf Stelzen staksen, Loges teuflisches Glimmen, das Wagner so bildhaft in ein Leitmotiv fasste, kam über ein durch Pantomimen multipliziertes Hände-Wackeln nicht hinaus, schließlich trat auch Erda allzu trivial wie aus einer Treppenkammer hervor. Im Schlussbild kein Aufbruch nach Walhall, sondern ein Stillleben um Wotan als eingefrorenes Bild (wenn auch herausragend ausgeleuchtet). Verblüffen und überraschen konnte die Inszenierung nur in ganz wenigen einzelnen Momenten, wie in der Tarnhelmszene – ohne dass dort die Idee indes konsequent weitergeführt worden wäre.
Dass sich am Ende Ratlosigkeit gegenüber diesem „Rheingold“ breitmachte, darf also nicht verwundern. An der stimmigen Sängerschar lag es wahrlich nicht – ich hatte den Eindruck, dass sie von der Regie eher an der kurzen Leine bis hin zur Verunsicherung geführt wurde. Die Aufführung endete indes nicht als spektakulärer Skandal, doch mit „Buhs“ oder unentschlossener Teilnahmslosigkeit.
Nach diesem missglückten „Vorabend“ kann es einem für die folgenden drei „Tage“ bange werden: Die Deutung des Dramas jedenfalls fiel durch, das auf den Vorhang projizierte „don’t touch“ blieb allenfalls ein uneingelöstes Versprechen. – Und die Musik? Die auch in Bayreuth präsente Generalissima schlug sich mit fragwürdigem Ergebnis. Wie selbstverständlich, ausgewogen und brillant es aus dem Mailänder Orchestergraben tönen kann, war nur 20 Stunden später beim „Rosenkavalier“ zu bestaunen, als sich natürliche Begeisterung einstellte, sich „bravo“, „brava“ und „bravi“ im weiten Halbrund der Scala mehrfach stürmisch Bahn brachen.
Reihe 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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