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NIXON IN CHINA, Regie: Franziska Kronfoth, Julia Lwowski, Premiere 22. Juni 2024 Deutsche Oper Berlin. Foto: Thomas Aurin

NIXON IN CHINA, Regie: Franziska Kronfoth, Julia Lwowski, Premiere 22. Juni 2024 Deutsche Oper Berlin. Foto: Thomas Aurin

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Pure Lust am Theater – John Adams’ „Nixon in China“ an der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Obgleich das Stück lange Zeit von deutschen Bühnen ignoriert wurde, konnte man während des vergangenen Jahrzehnts auch hierzulande zunehmend häufiger John Adams’ erste Oper „Nixon in China“ sehen. Nach einer halbszenischen Aufführung in der Berliner Philharmonie (2012) und Inszenierungen in Würzburg (2018), Stuttgart (2019), Dortmund (2023), Koblenz (2023) und Hannover (2023) ist das Stück nun endlich auch an den Bühnen der Hauptstadt gelandet. Mit der Umsetzung durch das Theaterkollektiv Hauen und Stechen, die am vergangenen Samstag Premiere feierte, lieferte die Deutsche Oper Berlin eines der gelungensten Musiktheaterereignisse der fast verstrichenen Saison 2023/24.

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Es waren denkwürdige Tage auf dem politischen Parkett, die John Adams’ 1987 uraufgeführter Oper „Nixon in China“ als Sujet dienten. Alice Goodman hatte die Ereignisse um den ersten Staatsbesuch eines US-amerikanischen Präsidenten in der Volksrepublik China vom Februar 1972 zu einem Libretto geformt, dessen Szenenfolge sich gekonnt zwischen Dokumentation und Fiktionalisierung bewegt, und dadurch ein Geschehen ins Zentrum gerückt, das auf beiden Seiten als Medienevent der Superlative geplant und propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Während Regisseur Peter Sellars 1987 bei der Uraufführung in Houston und erneut 2011 an der New Yorker Metropolitan Opera die ikonisch gewordenen TV-Medienbilder des Staatsbesuchs auf der Bühne rekonstruierte und szenisch ausleuchtete – ein wirkungsmächtiges Vorbild, das auch auf andere Realisierungen ausstrahlte –, setzt das Theaterkollektiv Hauen und Stechen unter Führung des Regieduos Franziska Kronfoth und Julia Lwowski am Propagandakonzept selbst an – genauer: an der Frage nach dem Stellenwert von Realität und Fiktion, die im Zeitalter von Fake News und Bildmanipulation eine besondere Brisanz gewonnen hat.

Mediale Brechungen

Indem die Regie dem Einsatz des Orchesters einen filmischen Vorspann vorausschickt, wird die gesamte Oper von Anfang als mediales Ereignis gekennzeichnet; und wie in der Filmkunst schließen sich aufgrund dieser von Martin Mallon (Video und Live-Kamera) gestalteten Ebene Wirklichkeit und Erfindung zu einer neuen Einheit zusammen: Live im Foyer des Opernhauses sowie im Auditorium gefilmte Szenen wechseln mit vorproduzierten Backstage-Sequenzen ab, stellen die Hauptfiguren nacheinander vor und tragen jenseits dessen, was sich später auf der Bühne ereignet, zu deren Charakterisierung bei. So entpuppt sich Mao Tse-tung gleich zu Beginn als Persönlichkeit, die vor ihrer eigenen Macht erschrickt, während Henry Kissinger in Macho-Manier als Actionheld mit Maschinenpistole inszeniert wird und Maos Frau Chiang Ch’ing in der Garderobe am eigenen Leib ihre Vorliebe für das tödliche Henkerseil demonstriert.

Von der ersten Sekunde an wird die Oper durch dieses Verfahren als Fiktion ausgestellt, als Bühnenshow, die sich innerhalb einer medialen Realisierung abspielt und in der Folge wiederum durch den Einsatz von Medien innerhalb dieses Mediensettings gebrochen wird. Dabei übernehmen Projektionen dokumentarisch abgefilmter, auf der Bühne nicht oder höchstens am Rande zu sehender Handlungsbestandteile eine ebenso wichtige Funktion wie die Zuspielung historischer Filmartefakte, die Einbindung live agierender Personen in Spielfilmsequenzen, die Schaffung fiktiver Szenen unter Einsatz einer Greenscreen oder die verbogene Realität KI-erzeugter Bildwelten. Gesteigert werden solche Elemente nochmals durch das Durchbrechen der Vierten Wand, so etwa, wenn sich nach der Pause die „Intendantin des Opernhauses“ an das Publikum wendet, die Gäste des Abends – den amerikanischen Präsidenten und seine Gattin – ankündigt und sie im Auditorium Platz nehmen lässt, bevor sich der Vorhang zum fünften Bild öffnet. Dieses wiederum, bei Adams und Goodman durch eine Aufführung des revolutionären Balletts „Das rote Frauenbataillon“ als Theater im Theater markiert, wird unter den Händen von Hauen und Stechen zu einem Höhepunkt wahrhaft katastophenhaften Ausmaßes, der von den skandalösen Zuständen in einer Wurstfabrik seinen Ausgang nimmt.

Grundlage all dessen ist eine sorgfältige Lektüre von Goodmans Libretto: Kronfoth und Lwowski hinterfragen das Vokabular, indem sie einzelne Gedanken aufgreifen, vor dem Hintergrund zwischenzeitlicher gesellschaftlicher Entwicklungen assoziativ vergrößern und auf der Bühne performativ verhandeln. Die hieraus resultierende kritisch-dekonstruierende Lesart wird zu einer Parallelgeschichte ausgesponnen, die – unterstützt durch Yassu Yabaras fantastischer Bühnengestaltung, Christina Schmitts farbenfrohe Kostüme und Henning Strecks opulentes Licht-Design – den historischen Hintergrund allmählich verhüllt und mit der Vertonung in Konflikt gerät, aber dennoch immer wieder einen Bezug zu beiden Aspekten sucht. Die resultierenden szenischen Irritationen stecken voller starker, bis ins Detail choreografierter und mitunter auch provokativer Bildfolgen, die ihre pure Lust am Theater ganz offen zur Schau tragen. Tatsächlich erweist sich die Produktion als ein von szenischen Einfällen überschäumendes Ereignis, dessen vielfache Referenzen aus Historie und Popkultur in weitem Bogen vom kapitalistischen Coca-Cola-Marketing über Adolf Hitler und Alfred Hitchcock bis hin zu „Star Wars“ reichen.

Musikalische Präzision

Zum wahren Musiktheatererlebnis wurde die gleichermaßen kurzweilige wie exzentrische und gedanklich anregende Inszenierung am Premierenabend jedoch erst durch die großartigen musikalischen Leistungen sämtlicher Beteiligter: Schon die Besetzung der Hauptrollen – Chou En-lai (Kyle Miller, Bariton), Richard Nixon (Thomas Lehman, Bariton), Henry Kissinger (Seth Carico, Bassbariton), Mao Tse-tung (Ya-Chung Huang, Tenor), Chiang Ch’ing (Hye-young Moon, Koloratursopran) und Pat Nixon (Heidi Stober, lyrischer Sopran) – erwies sich als exzellente Wahl; darüber hinaus gaben die drei Mezzosopranistinnen Elissa Pfaender, Deborah Saffery und Davia Bouley als Maos Sekretärinnen ein wunderbar quirliges Frauenstimmentrio ab. Unter der musikalischen Leitung von Daniel Carter agierten Chor und Orchester der Deutschen Oper mit phänomenaler Konzentration und Dichte: Die komplexe, in der Handhabung des Tempos keinerlei Verschleppungen oder Verzögerungen vertragende Verzahnung melodischer, rhythmischer und akkordischer Patterns, dem die Musik ihre unnachahmliche Wirkung verdankt, wurde nicht nur mit höchster Präzision realisiert, sondern erfuhr zudem ganz besondere farbliche Abstufungen. So gelang es Carter immer wieder – analog zum Verfahren der Regie – durch Herausarbeitung einzelner melodischer Linien oder orchestraler Farbwerte die Aufmerksamkeit auf bestimmte Textpassagen und deren (mitunter versteckte) Bedeutung zu lenken.

Zwei Momente ragten bei alldem als besondere Glanzpunkte des Abends hervor: Pat Nixons große Arie „This is prophetic!“, Gegenstück zu der von Hye-young Moon emphatisch vorgetragenen Bravourarie Chiang Ch’ings („I am the wife of Mao Tse-tung“), erfuhr in Heidi Stobers Umsetzung einen Grad von emotionaler Tiefe, der die utopischen Schilderungen der Präsidentengattin von jeglicher Naivität befreite. Stobers Fähigkeiten zur Gestaltung der melodischen Phrasen gingen hier auf ideale Weise mit dem Vermögen einher, die formale Weitläufigkeit des Stückes zu artikulieren, ohne den Faden zu verlieren. Besonders eindringlich geriet zudem die Arie, mit der Chou En-lai die Oper ausklingen lässt: Dem desillusionierenden Gehalt des sechsten Bildes entsprechend siedeln Kronfoth und Lwowski die Szene in der dystopischen Welt einer weit entfernten Zukunft an, in welcher die politische Gegenwart nur mehr als Schatten aufscheint. Auf diese Weise wurde das von Kyle Miller mit zarter Melancholie und großem Gespür für schmerzliche Zwischentöne vorgetragene Nachdenken über Leben und Tod („I am old and I cannot sleep“) zu einem intimen Abgesang, der eine denkwürdige Produktion abrundete. Einzig die Abmischung der über Mikrofone abgenommenen Stimmen war während des Abends nicht immer ganz ideal. Bei einer rundum lebendigen Aufführung, die permanent im Fluss ist und den Sänger:innen auch Plätze zuweist, die normalerweise nicht bespielt werden, war dieses kleine Detail jedoch eher Nebensache.

  • Weitere Aufführungen am 28. Juni sowie am 4., 10. und 12. Juli 2024; Wiederaufnahme im Februar 2025.

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