Bald nach Mahlers Tod […] war vielfach die Rede von umfangreichen Vorarbeiten für eine neue Zehnte Symphonie, an der der schon schwer kranke, von Todesahnungen gequälte Meister in den letzten Monaten seines Lebens […] geschaffen hatte […].

Neue Musik-Zeitung – Vor 100 Jahren
Vor 100 Jahren: Mahler Zehnte Symphonie
Obwohl es Frau Mahler recht erkannt hatte, wenn sie schreibt: „Die einzig richtige Form einer Veröffentlichung der Zehnten Symphonie konnte nur die Faksimilierung sein“, hat man sich doch noch zu einer zweiten Form entschlossen, nämlich zur Aufführung des ersten Adagios und des kurzen „Purgatorio“ benannten Intermezzos. Das Adagio ist am weitesten ausgeführt, besonders im Streicherpart, aber es ist gar kein Zweifel, daß auch hier oftmals nur die Stimmen stehen, die dem Schnellschreibenden gerade wichtig waren und vieles andere einfach ausgelassen wurde. […] Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder mußte ein großer Künstler, mit Mahlers Geisteswelt innig verwachsen, etwa Walter oder Schönberg oder Zemlinsky, neu schaffen und ergänzen, was not tat, um dieses höchst „unvollendete“ Symphoniestück wirklich zum Klingen zu bringen, oder – und dies wäre meinem Gefühl nach das Richtige gewesen – man hätte, was doch nicht leben kann, ruhen lassen! Ich weiß nicht, ob Mahler die Vernichtung befohlen hat, ich weiß nicht, ob er den Befehl widerrufen hat; aber eines weiß ich bestimmt: daß der Mann, dessen stete Sorge es gewesen ist, seine letzte Absicht nicht anders als in vollkommenster Reinheit dargestellt zu wissen […] niemals etwas so unfertig aus der Hand gegeben hätte, wie man es ihm jetzt aus der toten Hand genommen hat. Es hätte ruhen bleiben sollen!
Dr. Rudolf Stephan Hoffmann, Neue Musik-Zeitung 46. Jg., Heft 5, Dezember 1924
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