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Lena Kutzner (Isolde), Ric Furman (Tristan). Foto: Jochen Quast

Lena Kutzner (Isolde), Ric Furman (Tristan). Foto: Jochen Quast

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Wagners „Tristan und Isolde“ in Lübeck – Liebe mit Drogen- und Wellenrausch

Vorspann / Teaser

Wird Richard Wagners „Tristan und Isolde“ irgendwo inszeniert, wird diese „Handlung in drei Akten“ mit großem Interesse verfolgt. Auch Lübecks Opernhaus war zur Premiere am 2. Februar 2025 wieder voll besetzt. Der grandiose Schlussapplaus bestätigte dann, dass dieses Bühnenwerk Wagners das meist bewunderte ist, vor allem, wenn es so sehenswert wie hörenswert dargeboten wird. 

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Ein keltischer Mythos gilt als Ursprung, der von der Dramatik erzählt, wenn erotisches Begehren mit der Loyalitätspflicht in Konflikt gerät. Die geheimen inneren Kräfte, auch Kämpfe stellte Wagner in seiner Schöpfung bezwingend dar, für uns aber immer wieder mit der Aufforderung, sie zu deuten. Dass eine Regie darin Autobiografisches aufdecken kann, machte vor dreizehn Jahren die letzte Inszenierung in Lübeck sichtbar. Die neue nun sucht vor allem nach der Kraft, die Held Tristan ankurbelt, sich Isolde so bedingungslos hinzugeben – und sie sich ihm. War das geheimnisvolle zwischenmenschliche Geschehen Liebe oder Eros oder noch anders zu benennen? 

Der britische Regisseur Stephan Lawless, der schon nahezu zum Hausregisseur in Lübeck geworden ist, fand eine Antwort, die das Rauschhafte ihres Zustands heraushebt. Dabei hat weniger Tristan, obwohl als Held bezeichnet, eher Isolde die Mittel dazu. Denn sie weiß mit all den Essenzen umzugehen, die Körper und Geist in andere Zustände versetzen, weiß, wie dem zweimal tödlich Verletzten geholfen werden kann, physisch und psychisch. Ihr großes Arsenal in einem Rollkoffer ist das Symbol dafür (Bühne und Kostüme: Frank Philipp Schlößmann), von dem sie sich wie eine medizinische Marketenderin in allen drei Akten nicht entfernt. Dass Isoldes Tun allerdings schnell nicht mehr selbstlos ist, ist die Kehrseite ihres „Opferdienstes“: Sie fordert Tristans Liebe. 

Quälende Harmonik

Wagners Musik wird einleuchtend in diese Deutung einbezogen. Dass Lawless eng an der Musik entlang inszeniert, wird schon in dem so berühmten „Vorspiel“ sichtbar. Das Aufwühlende ihrer quälenden harmonischen Ziellosigkeit macht er zur akustischen Metapher für das, was die Vorgeschichte mit den Protagonisten angerichtet hatte. Er fügt einen der rätselhaften Momente daraus in diesen instrumentalen Vorspann ein, jenen, in dem Isolde, das Schwert schon erhoben, den kraftlos vor ihr liegenden Tristan doch nicht ersticht. Es ist die Szene, die später im ersten Akt Tristan und Isolde noch einmal veranlasst, sie zu deuten. Warum rächt sie nicht, dass Tristan ihren Bräutigam Morold im Zweikampf tötete? Moralisch verpflichtet wäre sie dazu. Warum verliebt sie sich in Tristan und pflegt ihn gesund, lässt sogar zu, dass er sie zu Marke nach Cornwall begleitet, wodurch sie zum politischen Faustpfand wird? Wagners Vorspiel hört sich schon in der Kürze der Phrasen an, wie ein geheimer Dialog mit Frage und Gegenfrage, aber ohne Antwort. Er bekommt in der späteren Szene Worte und führt zum ersten Liebesrausch, dem Höhepunkt in diesem Akt. 

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Marlene Lichtenberg (Brangäne), Rúni Brattaberg (König Marke), Ric Furman (Tristan), Steffen Kubach (Kurwenal). Foto: Jochen Quast

Marlene Lichtenberg (Brangäne), Rúni Brattaberg (König Marke), Ric Furman (Tristan), Steffen Kubach (Kurwenal). Foto: Jochen Quast

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Eine unbehauste Welt

Das alles spielt sich, wie auch das weitere Geschehen, im Bauche eines Schiffshecks ab. Kahl ragt die Bordwand hoch. Je nach Seelenzustand ist sie wie auch der Boden ganz oder blitzförmig gespalten, teilt sich, fährt wieder zusammen, sodass man eher an ein Wrack denkt. So entsteht die Anmutung einer unwirtlich riesigen Badewanne in Grau, die irgendwo auf Cornwall gestrandet ist. Etwas banal gibt es zu den Liebesszenen Rotlicht und zu den wallenden Liebesgefühlen mehr oder weniger heftige, rundum projizierte Wellen. Sie symbolisieren die aufbrausenden Gefühle in ihrer situativen Stärke. 

Zwei Bereiche ergeben sich, rechts der für Tristan und seine Mannen, links der von Isolde und ihrer Vertrauten, der Brangäne. Dort steht auch der Giftschrankkoffer. Rechts führt eine Treppe hinauf, dorthin, wo der Deckbereich zu vermuten ist. Er ist durch eine Tür zu erreichen. Links und rechts lugen zudem je zwei Bullaugen herab, durch die der „junge Seemann“ sein Anfangslied singt, von wo auch Teichoskopie betrieben werden kann, wenn das lang ersehnte Festland kommt oder später König Marke erwartet wird. Das aber verengt den Raum, sperrt den Chor aus, wirkt sich auf den ganzen Akt eintönig aus.

Was der Zuschauer erblickt, zumal eine monochrome Wand den Raum nach hinten begrenzt, ist keine reale Welt, ist allenfalls ein psychischer Innenraum. Im dritten Akt wird der Riss in der Hinterwand sogar so breit, dass dort Eisschollen, ein Zitat aus Caspar David Friedrichs „Eismeer“, sowie ein dick eingemummelter Schalmeibläser eisige Gefühlskälte vermitteln. Er ist einer der ganz wenigen aus dem Hintergrund Agierenden, die sichtbar werden. 

Die Irrealität fördern zudem zwei Sitzmöbel, die vor allem den beiden Protagonisten dienen. Sie allein suggerieren so etwas wie Behausung. Sessel sind es, mit einem weiten Tuch überworfen. Beide haben einen, Isolde wie auch Tristan. Merkwürdig benutzt werden sie, zumeist im Drogenrausch, wobei es die beiden noch voneinander distanziert. Für Tristan wird er zudem nach Melots Attacke zum Kranken-, später zum Totenbett, zum „Wonnereich“ einer ewigen Nacht. Nur Kurwenal ist bei ihm, während Isolde auf dem anderen Sessel, einige Meter entfernt und von Brangäne beobachtet, ihre Seele „in des Welt-Atems wehendem All“ aushaucht. Ihre letzten Worte sind „ertrinken – versinken – unbewusst – höchste Lust!“ Sie künden von ihrem psychotischen, zugleich solipsistischen Zustand.

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Ric Furman (Tristan), Viktor Aksentijević (Ein Steuermann), Steffen Kubach (Kurwenal). Foto: Jochen Quast

Ric Furman (Tristan), Viktor Aksentijević (Ein Steuermann), Steffen Kubach (Kurwenal). Foto: Jochen Quast

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Sangeskunst und viele Debütanten 

Jeder weiß, dass diese Rollen große Sangeskunst erfordern. Umso erstaunlicher ist, dass Lübeck nicht nur in Lena Kutzner eine Debütantin in der ausgesprochen fordernden Rolle der Isolde hatte. Aber ihr kräftiger, von leidenschaftlicher Frische charakterisierter Sopran meisterte alles mit erstaunlicher Bravour, zudem in guter Textverständlichkeit. Auch auf den Tristan trifft zu, dass Ric Furman erstmals diese Rolle erarbeitet hatte. Er ist im wörtlichen Sinne ein Heldentenor, der mit einem klaren, sehr zielgerichteten Tenor sich als rechter Partner für Isolde herausstellte, dazu auch im Spiel. Die Brangäne, die dritte große, zugleich fordernde Partie, sang Marlene Lichtenberg nicht zum ersten Mal. Ihr Mezzosopran hat nicht nur in allen Registern einen vollen Klang, ist zudem besonders in der Tiefe warm getönt, womit sie zu einer sicheren Partnerin der Isolde wurde. 

Über den Darsteller von Tristans verlässlichen Gefährten Kurwenal, über Steffen Kubach, werden sich viele der getreuen Lübecker Besucher gefreut haben. Selten bekam er die Gelegenheit, sich mit Stimme und Spiel in einer Charakterrolle zu beweisen. Auch er hatte sie trotz langer Bühnenerfahrung erstmals gesungen und großen Eindruck mit Kraft und Temperament gemacht. Ein plötzliches Stimmproblem dagegen bei Rúni Brattaberg ließ den König Marke noch schwächer erscheinen als er ohnehin ist. Viktor Aksentijević übernahm den Steuermann und Noah Schaul, den Melot, den Hirten und den jungen Seemann. Erstaunlich, wie er diese drei verschiedenen Charaktere lebendig werden ließ! 

Das Philharmonische Orchester stand unter Leitung von GMD Stefan Vladar, für den diese Oper auch ein Debut war. Viel Ruhe hatte er dieses Mal für Wagners Farben. So konnten sich seine Musiker voll von kammermusikalischer Intimität bis hin zu Wagner-Opulenz entfalten. Schon vor Akt zwei und drei erhielt er Beifall, der sich beim Schluss für das Orchester noch steigerte.

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