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Drei Menschen stehen vor dem Garten vor dem Bayreuther Festspielhaus auf der Straße. Links ein alter Kastenwagen-Bus.

Am Ziel angekommen: Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar) und Le Gateau Chocolat. Foto: Enrico Nawrath

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Werkstatt mit Methode: Der Grüne Hügel legt mit „Tannhäuser“-, „Parsifal“- und „Holländer“-Wiederaufnahmen und dem dritten „Ring“ nach

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Nach der Neuproduktion von „Tristan und Isolde“ ist mittlerweile das komplette Repertoire des aktuellen Festspielsommers in Bayreuth einmal über die Bühne gegangen. Das Fazit: Die Inszenierungen behaupten sich, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Das Werkstatt-Prinzip ist keineswegs nur ein Marketinggag. Und von der früher mal beklagten Krise des Wagner-Gesangs weit und breit keine Spur.

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Wenn man in diesem Jahr von Festspiel-Dirigentinnen und -Dirigenten hört, dann hat das nichts mit sprachlichem Zeitgeist zu tun, sondern schlicht mit der Wahrheit: Im Graben stehen dieses Jahr drei Frauen mit insgesamt sechs Produktionen und nur zwei Männer mit jeweils einer Produktion am Pult.

Tannhäuser − als Spielplanhit

Tobias Kratzer hat das in seiner, zum Publikumsliebling avancierten Tannhäuser-Produktion ins wieder aktualisierte Video einfließen lassen und aus der Dirgentengarderobe (die Realität treffend) eine Dirigentinnengeraderobe gemacht. Er hat bei der Gelegenheit auch das Schlusswort zum von der Kulturstaatsministerin im Vorfeld ins Gespräch gebrachten Knuspern am Bayreuther Stückekanon in seine Inszenierung eingebaut: Den aparten Vorschlag aus grünem Mund mit „Hänsel und Gretel“ doch mal die Oper des Wagnerbewunderes Engelbert Humperdinck im Festspielhaus zu spielen, kommentierte er in seiner Inszenierung mit einem Schild am dort schon vorkommenden Hexenhäuschen mit einem Hänsel und Gretel Bild und der Überschrift „Dr. Claudias Kasperltheater“. Die plauderfreudige Ministerin scheint irgendwie zu ärgern, dass ihr Katharina mit der aktuellen Crew am Pult stillschweigend den genderaktivistischen Schneid abgekauft hat. Und im Jubiläumsjahr 2026 selbst (mit dem Einverständnis aller Wagners) den Kanon mal mit einer eigenen Bayreuther „Rienzi“-Fassung erweitern wird..

Abgesehen davon, hat Kratzer das Publikum zu einem wirklich ans Herz gehenden Tabubruch animiert. Zum ersten Mal wurde nämlich bei der ersten Tannhäuser-Aufführung mitten in den zur Ouvertüre laufenden Film hinein spontan und zustimmend applaudiert! Es war auf der Fahrt der Künstlertruppe um Venus, Dragqueen Le Gateau Chocolat, Oskar und Heinrich im Clownskostüm, die sie durch die Wälder Thüringens und Frankens von der Wartburg nach Bayreuth bis zum Festspielhaus führt. Da prostet Oskar mit traurigem Blick einem Foto zu. Zu sehen ist der am 19. September 2023 verstorbene Stephen Gould. Er war der erste Tannhäuser dieser seit 2019 laufenden Produktion. Es war diese berührende Referenz an den sympathischen, langjährigen amerikanischen Hügelgast, die viele im Saal für einen Moment die Konventionen vergessen ließ.

Ansonsten: Tannhäuser-Vergnügen pur und den ausufernsten Jubel der gesamten Premierenfolge. Für Hügelliebling Klaus Florian Vogt als Tannhäuser in Hochform. Für Elisabeth Teige als erst strahlende, dann tieftraurige Elisabeth, für Markus Eiche als Wolfram, Irene Roberts als fulminante Off-Szenen-Venus alle anderen und für Nathalie Stutzmann im Graben in ihrem zweiten Bayreuth-Jahr. Und in diesem Fall auch für Tobias Kratzer, von dessen Wagnerkompetenz demnächst München mit seinem kompletten Ring profitieren dürfte.

 

Parsifal - analog gesehen

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Ein Menschenmenge in zeremoniellen Gewändern. Die Rückwand ist blau, links ragt ein grau-schwarz und kantiger Monolith in den Himmel. Rechts davon schwebt über der Menge am Bad ein Kranz aus Neonröhren.

Heilige Ausblicke. Foto: Enrico Nawrath

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Bei der Wiederaufnahme des „Parsifal" von Jay Scheibs teilweise mit Augmented-Reality-Brille für einen kleinen Teil des Publikums erweiterten „Parsifal“ stand in Sachen Szene zunächst die Frage, ob mit oder ohne Zauberbrille. Ob die im Raum schwebenden Bildern mit dem Bühnengeschehen zu tun haben oder ob immer noch ein mehr frei assoziatives Eigenleben führen, bleibt ohne Brille ein Geheimnis. Dabei bleibt ausgerechnet der Karfreitagszauber auch ohne Blickerweiterung ein Beispiel für eine ungenutzte Leerstellen. Bei den paar Kunstblumen am Gralstümpel kann man die Augen auch gleich zu lassen und die Parsifal-Musik genießen, die sich in dem dafür ja maßgeschneiderten Haus entfaltet. Da wiederholte sich dank Pablo Heras-Casado zum Glück der Zauber, den das Orchester verströmt. Mit einer Stunde 39 Minuten für den ersten Aufzug auch noch wohltuend flüssig. Heras-Casado hat sich als Hügel-Dirigent etabliert und wurde entsprechend gefeiert. Was für die gesamte Besetzung gilt. Andreas Schager ist als Parsifal überwältigend, Ekaterina Gubanova eine imponierende Kundry, Georg Zeppenfeld als Gurnemanz der langjähriger Festspielrecke ohne Fehl und Tadel. Als genderfluid schillernder Klingsor hat Jordan Shanahan das dazu passende Timbre und Derek Welton sichert seinem Amfortas so viel Kraft, das er nicht wirklich etwas Todessüchtiges an sich hat. Der Regie wirkt, analog gesehen, eher illustrierend, verlässt sich darauf, dass die live gefilmten Großaufnahmen optisch den Raum füllen. Am Ende war sich das Publikum aber im Jubel für alle Beteiligten einig.

 

Holländer

Auch bei der Wiederaufnahme von Dmitri Tscherniakovs „Fliegendem Holländer“ mit Oksana Lyniv am Pult gab es Grund zur Freude über den Zustand der Produktion. Dabei bleibt der stürmische musikalische Seegang im Graben im produktiven Kontrast zur nüchternen Bühnenästhetik von Tscherniakovs Bühnendorf mit den beweglichen zweistöckigen Ziegelbauten. Was übrigens reibungslos funktioniert. Das musikalische Fundament und das eingespielte Protagonistenteam wurden diesmal zu einer Stütze für den Holländer Michael Volle. Der erschien zur Einladung an den Tisch im Hause Daland mit einer Gehhilfe, die nicht zur Inszenierung gehört, aber den Verlauf des Abends rettet. Volle machte seine Verletzung mit prachtvollem Bariton und darstellerischem Charisma einfach zum Teil seiner Bühnenfigur. Elisabeth Teige fügt ihrer fantastischen Tannhäuser-Elisabeth eine hinreißend spielfreudige, rebellische Senta mit sicher auftrumpfender Höhe hinzu. Da Georg Zeppenfeld wieder Sentas Vater Daland ist, mit dem der Holländer in der Kneipe um dessen Tochter feilscht, wird die Begegnung der beiden zu einem Lehrstück in Sachen Wortverständlichkeit. Nadin Weissmann als Mary, Eric Cutler als standfest auftrumpfender Erik und Matthew Newlin als eher lyrischer Steuermann lassen sich von diesem Spitzentrio inspirieren und mitziehen. 

Bei Tscherniakov erschießt Mary den Holländer, während das Dorf in flammen Steht. Die Katastrophe als Un-Happy End - da können die letzten Töne so erlösend verklingen wie sie wollen.

 

Ring mit interessanten Debüts

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Am Fuße einer Betontreppe er kniet in orangenem Mantel, sie liegt in blauem Kleid in seinen Armen. Beide haben lange blonde Haare.

Michael Spyres Siegmund-Debüt wird zur Tenor-Sensation und Vida Miknevičiūtė veredelt mit ihrer Sieglinde das Duo zum Bayreuther Glücksmoment. Foto: Enrico Nawrath.

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So ähnlich geht es auch in der „Götterdämmerung“ von Valentin Schwarz zu. Einerseits ist das Bild für die finale Katastrophe szenisch jetzt eindeutiger. Am Grunde des trockengelegten Pools der irgendwo zwischen metaphorisch und konkret changierenden Behausung der Großfamilie, deren Untergang wir über mehrere Generationen verfolgen konnten, brennt zumindest die leitmotivische Walhall-Pyramide lichterloh. Parallel dazu wird im Untergang der Blick auf einen quasi Neonröhrenfeuerzauber mit dem erhängten Wotan frei. Ein starkes, folgerichtiges Bild. Die personifizierte Zukunft, die jetzt als Nachwuchs von Siegfried und Brünnhilde, das Gold ersetzt, ist den Rheintöchtern längst entflohen. Aber auf einem Video sieht man jetzt wieder − wie am Anfang des „Rheingoldes“ − die Embryos von Zwillingen, wie einst Wotan und Alberich. Diesmal allerdings in trauter Zweisamkeit. Zumindest bis sich der Vorhang senkt. Eine kleine Chance für die neue Welt bleibt also. Vielleicht gibt es ja doch eine andere Möglichkeit als wieder gleich mehreren verlorenen Generationen, die Schwarz in der Ringfabel meist ziemlich nachvollziehbar sieht. Die Buhs fürs Regieteam, die es in diesem Falle gab, können jedenfalls nicht mangelnder Weiterarbeit am Stück gegolten haben. Die war allein schon wegen der vielen Neubesetzungen und der Übernahme des Pultes durch Simone Young nötig. Wer offen und bereit ist, der Geschichte eines Familienclans zu folgen, der immerhin erkannt hat, dass man mit den Nachkommen nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft beherrschen kann, der wird sowohl den dazuerfundenen Figuren (wie dem jungen Hagen als Siegfrieds Bruder im Geiste und einer verkorksten Kindheit) etwas abgewinnen können, als auch der brüderlichen Abneigung von Wotan und Alberich.

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Wie die Regie beim Umgang mit einem modifizierten Arsenal von Waffen und Symbolen durch die Stücke kommt, ist zwar nicht immer ganz widerspruchsfrei − mit Wotans Wandererhut kommt man dabei besser klar, als mit dem Wunderschwert Nothung. Dafür ist das Ineinandergreifen der verschiedenen Räume aber immer stimmig und opulent assoziativ. Zum Beispiel, wenn in der „Walküre“ die noble (Zimmer-)Welt der Kindheit von Siegmund und Sieglinde plötzlich einschwebt und dann später in der „Götterdämmerung“ zur Behausung der „Szenen einer Ehe“ zwischen Brünnhilde und Siegfried wird. Wer sich drauf einlässt, kann vier spannungs- und abwechslungsreiche Abende für sich verbuchen.

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Obendrein mit einem wachsenden musikalischen Gewinn. Simone Young spielt ihre lange Erfahrung mit dem „Ring“ voll aus, steuert mit dem Festspielorchester die nötige Dramatik bei, erzählt musikalisch so, dass sich auch das Atmosphärische zum Geschehen auf der Bühne entfalten kann. Ein Crescendo des Jubels belohnt sie dafür. Bei den Sängern imponiert die sich souverän freispielende Stammbesatzung. Angeführt von Tomasz Konieczny als Wotan (bzw. Wanderer) und Christa Mayer als Fricka. Catherine Foster krönt ihre Festspielkarriere mit einer atemberaubenden Brünnhilde im Weltklasseformat in gleich drei Ringteilen! Vor allem von seinen eingeschworenen Fans wurde auch der zweifache Siegfried von Klaus Florian Vogt bejubelt. Interessant war das mehr als Kontrast zu den sonst üblichen Heldentenorkraftakten. Die wirkliche Tenor-Sensation war aber das Siegmund-Debüt von Michael Spyres. Wenn dann noch eine so verführerisch jugendliche Sieglinde wie Vida Miknevičiūtė an seiner Seite steht, dann sind das genau die Glücksmomente, die man braucht, die jeder erwartet und die Bayreuth auch bereithält.

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Simone Young: „Für mich sind Geschlecht und Herkunft nicht von Interesse. Man muss Möglichkeiten schaffen“

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Gespräch mit Simone Young, die in diesem Jahr nach Cornelius Meister und Pietari Inkinen bei den diesjährigen Festspielen im Graben das Pult für den Nibelungen „Ring“ übernimmt. Mit der Dirigentin sprach in Bayreuth...

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