Joachim Raff: „Frühlingsboten“, 12 Klavierstücke op. 55 +++ Mike Cornick: Grieg Favourites +++ Gideon Klein: Sonate +++ Chinesische Klaviermusik
Bemerkenswerte Synthese, bedeutsame Entdeckung
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Chinesische Klaviermusik, Werke des 20. Jahrhunderts. G. Henle Verlag HN 1453
Das Klavier wurde in China erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebt, als sich Konzertagenturen und Institutionen um eine Verbreitung bemühten. Die ersten Klavierlehrer hatten im Ausland studiert und versuchten, selbst Stücke zu schreiben und darin europäische Kompositionstechniken mit traditionellen chinesischen Melodien zu verschmelzen. Wie produktiv die chinesischen Komponisten dann wurden, darüber legt der vorliegende Band auf eindrucksvolle Weise Zeugnis ab. Acht Komponisten sind mit zehn Werken vertreten: einer Sonatine, einem Zyklus, einem Tanz und sieben bildhaft-anschaulichen Titeln, die alle von der couleur locale der verschiedenen Provinzen beeinflusst sind. „Donner während einer Dürre“, ein Lied für Hackbrett, überträgt Chen Peixun gekonnt figurativ auf die Klaviertasten, ohne Einbuße der für die Provinz Guangdong typischen Volksmelodien. Wang Lisans dreisätzige Sonatine mit Untertiteln von 1957 und Huang Huweis „Bilder aus Bashu“, ein Zyklus aus sechs kleinen Stücken, eignen sich als besonders dankbar für die Verwendung im Klavierunterricht (Wettbewerbe) und öffnen den Blick auf ungeahnt schöne Klangstrukturen. Hier zeigen sich die regionalen Einflüsse in einer originellen Diktion. „Hundert Vögel huldigen dem Phönix“ und „Farbige Wolken jagen den Mond“, zwei Miniaturen von Wang Jianzhong, sind Adaptionen berühmter chinesischer Stücke. Das erste ist im Original für Suona, ein konisches Doppelrohrblatt-Instrument geschrieben, das das Gezwitscher hunderter verschiedener Vögel eindrucksvoll nachahmen kann. Das zweite basiert auf einer für volkstümliches Orchester bestimmten Komposition aus der Provinz Guangdong. Technisch anspruchsvoller und umfangreicher erscheint „Das Rauschen der Wellen“ von Wang Lisan. In mehreren Systemen notiert, klingen im Maestoso mehrere Akkordschichten übereinander, die die gesamte Klaviatur ausreizen. Im Wechsel mit schnellen Agitato-Abschnitten, in denen eine figurative Stimme in der rechten Hand mit einer Melodie in der linken Hand metrisch kooperiert und sich beständig aufbaut, wird eine erhabene Stimmung erzeugt, die den buddhistischen Grundgedanken des Stückes modifiziert. Das 1946 verfasste Werk „Blumentrommel“ von Qu Wei ist ein politisch motiviertes Stück, das wie der „Dreschtanz“ von Sun Yiqiang vom Freudentaumel lebt, motorisch unterlegt ist und die Rhythmen von Trommeln und Gongs mit einbezieht. Li Yinghais „Abschied aus Yangguan“ gilt als Schlüsselwerk der Assimilation chinesischer Musik an die instrumentalen Möglichkeiten des Klaviers, wie auch die Erhu-Bearbeitung „Der Mond spiegelt sich in der Erquan-Quelle“ von Chu Wanghua. Das kantable Stück besticht durch eine fast vergeistigte Nachahmung der Röhrenspießlaute, mit anspruchsvollen rhythmischen, dem Glissando angelehnten Episoden von außergewöhnlicher Strahlkraft. Zieht man in Betracht, dass das Klavier kein traditionell chinesisches Instrument ist, so gelang den Komponisten eine bemerkenswerte Synthese.
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Mike Cornick: Grieg Favourites, arranged for Piano Duet. Universal Edition UE 21 847
Mike Cornick ist als Arrangeur weithin ein Begriff. Im Fokus hat er zumeist Klavierschüler oder Liebhaber, die gern zu vier Händen spielen und mit Bearbeitungen aller Art versorgt werden wollen. So ist diese Ausgabe auch als Handreichung zu verstehen. In seiner Auswahl von Grieg-Stücken befinden sich natürlich die bekannten Melodien, die der eine oder andere schon immer einmal spielen wollte. Zu nennen wären „Solveigs Lied“, „Anitras Tanz“ oder auch die Zwei Elegischen Melodien op. 34. Der Satz für vier Hände erlaubt ein Spiel in größeren Tonabständen, was dann doch zu interessanten Klangerlebnissen führt. Die Bearbeitung zweier Lyrischer Stücke („Arietta“, op. 12 und „Nachklänge“ op. 71) ist doch etwas Geschmacksache, weil es sich ohnehin um originale Klavierstücke handelt. Das Arrangement lässt sich eben leichter spielen. Weiterhin gibt es das Thema aus dem 2. Satz des Klavierkonzerts, geschickt gesetzt, und natürlich „Anitras Tanz“ aus Peer Gynt.
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Gideon Klein: Sonate, Landschaft. Bärenreiter BA 9580
Es ist ein Jammer, dass bedeutende Zeugnisse einer im Stillen widerständigen Musik im Kulturleben immer noch kaum eine Rolle spielen. Gideon Klein, der wie viele seiner jüdischen Landsleute der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt war, starb im Januar 1945 fünfundzwanzigjährig im KZ Fürstengrube. Seine hoffnungsvolle pianistische Laufbahn hatte er mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Tschechien beenden müssen. Der musikalisch vielseitig gebildete Klein komponierte stattdessen. Großen Einfluss auf seine Werke hatte damals die Zweite Wiener Schule. Die vorliegende Sonate ist 1943 in Theresienstadt entstanden, in einer Zeit, als die Lagerleitung bemüht war, Gefangenen die Musikausübung zu erlauben. Sie ist dreisätzig und es besteht die Vermutung, dass noch ein vierter Satz angedacht war. Eine Aufführung in Theresienstadt ist nicht verbürgt. Die Uraufführung besorgte 1946 Pavel Štepán. Die drei Sätze, Allegro con fuoco, Adagio und Allegro vivace sind geprägt von virtuoser Kraft, rhythmisch und klanglich sublim durchleuchtet, spieltechnisch äußerst anspruchsvoll, mit großer Spannweite. Dass Gideon Klein ein derart komplexes Werk völlig abgeschottet von der Außenwelt und ohne jedwede Kontakte zu Papier bringen konnte, nötigt hohen Respekt ab.
Das Melodram „Landschaft“ ist vermutlich in den ersten Wochen der Okkupation entstanden. Der Herausgeber dieser Edition, Ondrej Pivoda, konnte den Text einem Gedicht des Schriftstellers Vilém Závada zuordnen. Melodramen waren damals als Gattung beliebt und man kann davon ausgehen, dass sich Klein auf Prager Bühnen anregen ließ. Die Uraufführung des zweiseitigen Stücks im Jahr 2016 ist dem britischen Musikwissenschaftler David Fligg zu verdanken. Das langsame, akkordisch und rhythmisch verzahnte, erhaben-melancholische und dissonante Stück mit Sprechstimme erweist sich als bedeutsame Entdeckung.
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Joachim Raff: „Frühlingsboten“, 12 Klavierstücke op. 55. Breitkopf & Härtel EB 9412
Joachim Raff (1822–1882) kämpfte viele Jahre um Anerkennung als Komponist. Gönner wie Liszt oder Hans von Bülow waren Helfer in der Not. Raff starb als angesehener Künstler in Frankfurt, wo er das Amt des ersten Direktors des Hoch’schen Konservatoriums innehatte. Die „Frühlingsboten“ entstanden in den Jahren 1852/53, in einer für Raff emotional sehr bewegten Zeit, zu Beginn des Liebesverhältnisses zu seiner späteren Frau Doris Genast. In den Überschriften der Stücke lässt sich das Gefühlsleben im Stillen mitverfolgen, das fast wie ein dramaturgisches Konzept erscheint. Die meist kurzen Stücke evozieren eine Vielfalt an Stimmungen, die detailverliebt ausgearbeitet wurden und höchstwahrscheinlich sukzessiv entstanden, wie Hans von Bülow in seiner Rezension dazu bemerkt. Einflüsse seiner Zeitgenossen sind nicht zu überhören, und trotzdem findet er gerade in diesen Stücken zu einem ganz eigenständigen Stil, der sich auch in kühnen metrischen Verschachtelungen manifestiert. Obwohl Raff kein Pianist war, gelang ihm ein gut spielbarer Klaviersatz, mit dankbaren virtuosen Episoden und Gestaltungsmöglichkeiten.
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