Am 31. Juli des Jahres beschloss das Bundeskabinett einen „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“. Der Entwurf sieht eine Zusammenfassung der zentralen Umsatzsteuer-Befreiungsvorschriften für Bildungsleistungen in einer veränderten Norm vor. Gemeinsam mit dem Deutschen Tonkünstlerverband, dem Verband deutscher Musikschulen und dem Bundesverband der Freien Musikschulen forderte der Deutsche Musikrat von der Bundesregierung und dem Gesetzgeber in einer öffentlichen Erklärung daraufhin, die steuerlichen Vorgaben der EU auf nationaler Ebene so umzusetzen, dass gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen wie Bildung für alle und kulturelle Teilhabe dabei keinen Schaden nehmen. Professor Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, bezieht im Gespräch mit der neuen musikzeitung Stellung zu dieser Forderung.
neue musikzeitung: Herr Professor Höppner, welche Befürchtungen ruft diese geplante Zusammenfassung beim Deutschen Musikrat und anderen Verbänden hervor?
Christian Höppner: Unsere Sorge gründet auf der Unschärfe in der Formulierung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, die Raum für Interpretationen lässt. Daraus lässt sich möglicherweise eine Umsatzsteuerpflicht für musikalische Bildungseinrichtungen ableiten. Das lehnen wir strikt ab: Es darf keine Steuer auf musikalische Bildung erhoben werden.
Präzisierung erforderlich
Die gegenwärtige Umsatzsteuerfreiheit ist unseres Erachtens mit diesem Entwurf nicht mehr rechtssicher gegeben, obwohl das Bundesfinanzministerium auf unsere Anfrage hin schriftlich mitgeteilt hat, dass nicht an eine Besteuerung der Musikschulen gedacht sei und das Ministerium unsere dahingehenden Befürchtungen nicht teile. Doch unserer Meinung nach besteht eben doch die Gefahr, dass das Gesetz so interpretiert werden kann, wenn es zur Prüfung einer musikalischen Bildungseinrichtung vor Ort kommt – Stichwort Bescheinigungsverfahren.
Deshalb fordert der Deutsche Musikrat gemeinsam mit dem Deutschen Tonkünstlerverband, dem Verband deutscher Musikschulen und dem Bundesverband der freien Musikschulen eine Präzisierung des Gesetzesentwurfs, der eine solche Interpretation ausschließt.
Ein Stein des Anstoßes: das Bescheinigungsverfahren
nmz: Worin besteht der Unterschied zwischen der bisherigen und der geplanten Handhabung der Umsatzsteuer?
Höppner: Bisher war aus dem Gesetzestext klar ersichtlich, dass es sich bei Unterricht an einer kommunalen oder freien Musikschule um eine Bildungsleistung handelt und nicht etwa um ein reines Freizeitvergnügen. Dass qualifizierte musikalische Bildung im vorgelegten neuen Entwurf wieder mit dem Freizeitsektor in Verbindung gebracht wird, empfinde ich persönlich als Pervertierung des musikpädagogischen Anliegens.
Außerdem sieht der Entwurf eine Veränderung des Bescheinigungsverfahrens vor. Diese stellt sicher, dass eine musikalische Bildungseinrichtung fachlich qualifizierten Unterricht und damit steuerbefreite Dienstleistungen anbietet.
Aktuell wird das Bescheinigungsverfahren von den zuständigen Fach-bereichen der Landesbehörden durchgeführt, künftig sollen die Finanzämter dafür zuständig sein. Bei aller Wertschätzung sehe ich bei den Finanzämtern keine ausreichende Qualifikation, qualitative musikpädagogische Standards seriös zu prüfen und darüber zu entscheiden. Sollten sie tatsächlich mit dieser Aufgabe betraut werden, würde das einen massiven Fortbildungsbedarf des Personals und damit hohe Kosten nach sich ziehen. Das wäre unsinnig, weil ja bereits ein bewährtes Verfahren existiert.
Verheerende Folgen
nmz: Laut Gesetzesentwurf soll Bildung möglichst nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein. Was unterscheidet einen Musikschulbetrieb von einem gewinnorientierten Unternehmen?
Höppner: Hier verschleiert der Begriff „Gewinnerzielungsabsicht“ die tatsächliche Situation. Denn kommunale Musikschulen, die im öffentlichen Auftrag handeln, sind ohnehin nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Private Musikschulbetreiber oder Einzelunternehmerinnen und -unternehmer müssen natürlich Gewinne erwirtschaften; doch ihre finanzielle Situation gestaltet sich in vielen Fällen so prekär, dass das Einkommen gerade noch vor Altersarmut schützt. Daher sollten die freiberuflich Tätigen nicht auch noch zusätzlich steuerlich belastet werden.
Abgesehen davon leisten Musikpädagoginnen und -pädagogen einen unverzichtbaren Beitrag für die musikalische Bildung. Das gilt für die kommunalen Musikschulen und ihren öffentlichen Auftrag genauso wie für die privaten Musikschulen und die einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen, die beispielsweise auch der Deutsche Tonkünstlerverband vertritt.
Gemeinwohl im Mittelpunkt
Ein Unterschied besteht möglicherweise darin, dass die kommunalen Musikschulen aufgrund ihres öffentlichen Auftrags eine bestimmte Infrastruktur vorhalten, die manche privaten Musikschulen oder Pädagogen aus finanziellen Gründen nicht anbieten können. Aber unabhängig von der Trägerschaft dienen alle qualifizierten musikpädagogischen Einrichtungen mit ihrem Angebot dem gesamtgesellschaftlichen Interesse und damit dem Gemeinwohl.
nmz: Wie schätzen Sie im Fall einer Umsatzsteuerpflicht die Folgen für Musikschulen und deren Schülerinnen und Schüler ein?
Höppner: Verheerend, und zwar sowohl hinsichtlich der unmittelbaren Folgen als auch der Signalwirkung: Die Umsatzsteuerpflicht würde eine weitere Hürde für die allgemeine Zugänglichkeit von Musikunterricht bedeuten. Schon jetzt kann wegen der Unterrichtskosten nicht jedes Kind das außerschulische Musikschulangebot wahrnehmen. Durch eine Besteuerung hätten noch weniger Kinder und Jugendliche Zugang zu musikalischer Bildung außerhalb der Schule, weil der Unterricht die finanziellen Möglichkeiten mancher Familien übersteigen würde.
Und für kleine Musikschulen oder Solo-Selbständige kann die Umsatzsteuerpflicht zu einem existenziellen Problem werden. Mittelfristig würde es bundesweit zu einer Reduzierung des musikalischen Unterrichtsangebots für Kinder und Jugendliche kommen.
Das mag jetzt etwas hoch gegriffen erscheinen, aber in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation – angesichts der sich eintrübenden Konjunktur – sollten wir nicht damit rechnen, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler oder deren Eltern eine Erhöhung der Unterrichtsgebühren so einfach verschmerzen können.
Auch bildungspolitisch wäre es ein fatales Signal: Wir nennen uns Bildungs- und Kulturland, und die Infrastruktur zeigt sich in Sachen außerschulischer musikalischer Bildung bundesweit noch relativ stabil. Doch die blinden Flecken auf der Landkarte werden größer, und auch an den allgemeinbildenden Schulen gibt es große Defizite, unter anderem durch ausfallende Stunden oder fachfremd erteilten Musikunterricht.
Klarstellung, Zusammenhalt
nmz: Welche Ergänzung beziehungsweise Erweiterung des Gesetzesentwurfs halten Sie also für sinnvoll und notwendig?Höppner: Erstens, dass qualifizierte musikalische Bildung ganz klar dem Bildungs- und nicht dem Freizeitsektor zugeordnet wird, und zweitens, dass das Bescheinigungsverfahren bei den Fachabteilungen der zuständigen Behörden bleibt. Das muss im Gesetzestext so klargestellt werden, dass keine andere Interpretation mehr möglich ist.
Verbandsübergreifende Interessensvertretung
nmz: Inwiefern können sich die Musikverbände an der Umsetzung dieses Vorschlags beteiligen?
Höppner: Der Deutsche Musikrat als Dachverband und die einzelnen Mitgliedsverbände müssen im Interesse einer gelingenden kulturellen Bildung und Vielfalt unbedingt an einem Strang ziehen. Ein sehr gelungenes Beispiel finde ich etwa das gemeinsame Einstehen des Deutschen Musikrats, des Deutschen Tonkünstlerverbandes, des Verbandes deutscher Musikschulen und des Bundesverbandes der freien Musikschulen für die Anerkennung Elementarer Musikpädagogik als Lehre der Kunst.
Diese Art verbandsübergreifender Interessenvertretung könnte ich mir in Zukunft noch häufiger vorstellen. Auch wenn es zum Beispiel um Lösungsansätze für eine verbesserte Einkommenssituation von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen geht, sollten wir uns noch intensiver untereinander verständigen und vernetzen.
Die Verbände können sich trotzdem für ihre spezifischen Interessen einsetzen. Aber wir alle sollten uns stärker auf unsere Schnittmengen besinnen, denn nur mit einer gemeinsamen Stellungnahme und Vorgehensweise senden wir ein starkes Signal an Politik und Gesellschaft.
Interview: Ines Stricker