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Nichts zu feiern gibt es gerade in der Kulturszene in der ganzen Bundesrepublik. Besonders trifft es aber im Moment die Berliner. Foto: Gerrit Wedel

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Die kulturelle Substanz ist extrem gefährdet

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Was das Ende der Ampelregierung für die Bundeskulturförderung bedeutet · Von Olaf Zimmermann
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Der 6. November endete mit einem Paukenschlag: Bundeskanzler Olaf Scholz entließ Finanzminister Christian Lindner und die erste Ampelregierung auf Bundesebene gehörte der Vergangenheit an. Was hoffnungsfroh als „Fortschrittskoalition“ im Herbst 2021 begann, scheiterte ziemlich jämmerlich am fehlenden Einigungswillen für den Bundeshaushalt. Die Ampelregierung war keine „Liebesheirat“, dennoch verbanden einige nach mehreren Jahren „Große Koalition“ mit der Ampel den Wunsch nach einem Aufbruch, nach neuen Wegen. 

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Sicher, die Ampel trat die Regierung zu einem Zeitpunkt an, als die Corona-Pandemie noch nicht zu Ende war. Immer noch bestanden Beschränkungen, etwa was die Zahl von Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmern, erforderliche Tests und die Einhaltung strikter Hygieneregeln betraf. Gleichwohl hatte die Vorgängerregierung durch beherztes Handeln und viel Geld unter Beweis gestellt, dass die Kultur ihr etwas wert war. Allein 2 Milliarden Euro umfasste das Programm Neustart Kultur, mit 2,5 Milliarden Euro war der Sonderfonds Kulturveranstaltungen des Bundes ausgestattet, zusätzlich gab es Unterstützungsmaßnahmen der Länder und die „normalen“ Coronahilfen konnten, so sie passten, ebenfalls in Anspruch genommen werden. 

Der 23. Februar 2022 markierte die erste Bewährungsprobe der Ampel, kaum, dass die Arbeit richtig aufgenommen war: Russland überfiel die Ukraine. Sanktionen gegenüber Russland wurden verabschiedet und das, woran sich Unternehmen und Privatleute in Deutschland gewöhnt hatten, preiswerte Energie, war perdu. Eifrig wurden Terminals für Flüssiggas gebaut, Lieferverträge mit Staaten abgeschlossen, die bei einem Demokratietest eher durchfallen würden. Gleichwohl die Heizungen blieben warm. Die Unternehmen mussten nicht aufgrund von Energiemangel ihren Betrieb einstellen. Hilfsmaßnahmen wie für den Kulturbereich, der Kulturfonds Energie des Bundes, wurden gestartet. 

Dies alles fand am 15. November 2023 ein jähes Ende. Das Bundesverfassungsgericht urteilte nach einer Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass der Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes, aus dem etwa der Kulturfonds Energie des Bundes finanziert worden war, verfassungswidrig ist. Hilfsmaßnahmen wurden gestoppt, eine Haushaltssperre verhängt und die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024 begannen teilweise erneut, sodass der Bundeshaushalt 2024 erst Anfang 2024 verabschiedet werden konnte. Das hatte zur Folge, dass Projekte, die eigentlich zum 01.01.2024 beginnen sollten, nicht genehmigt werden konnten und ein eigentlich ganz normales Haushaltsjahr mit vorläufiger Haushaltsführung begann. Zugesagte Vorhaben wie die Erhöhung der Mittel des Musikfonds, der neue Festivalfonds, der Amateurmusikfonds und der „EMIL_Der deutsche Preis für Schallplattenfachgeschäfte“ starteten mit Verspätung. 

Viele hegten trotz der ewigen Debatten um den Bundeshaushalt, die Schuldenbremse, das erneute Ausrufen einer Haushaltsnotlage und vieler weiterer kleiner und größerer Scharmützel unter den Beteiligten der Ampelregierung die Hoffnung, dass sich die Handelnden zusammenreißen und im voraussichtlich letzten „Ampeljahr“ einen Haushalt zustande bringen würden. Insbesondere nachdem Mitte Juli Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner vor der Bundespressekonferenz verkündeten, den gordischen Knoten durchschlagen und eine Verständigung in Sachen Haushalt erzielt zu haben. Die Streitigkeiten hörten nicht auf, man hatte sich aber auch fast schon daran gewöhnt.

Nun also das Ende der Koalition. Am 23. Februar 2025 finden Neuwahlen statt. Selbst wenn das Ergebnis eindeutig sein sollte und nach Sondierungen schnell mit den Koalitionsverhandlungen begonnen wird, wird die neue Regierung vermutlich erst Ende April/Anfang Mai stehen. Dann wird ein neuer Haushalt aufgestellt, die regierungsinternen Beratungen beginnen und hoffentlich findet vor der Sommerpause die erste Lesung statt. Stand jetzt ist mit der 2. und 3. Lesung und der Befassung des Bundesrats für das dann bereits laufende Haushaltsjahr kaum vor September zu rechnen. Das heißt, vermutlich werden drei Quartale ins Land gegangen sein, bevor klar ist, mit welchen Haushaltsmitteln der/die neue BKM rechnen kann, um auf dieser Grundlage Projekte zu genehmigen.

Für alle, die von der BKM Förderung erhalten, bedeutet dies im besten Fall, monatelang mit Abschlagszahlungen mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen. Neue Projekte werden erst dann begonnen werden können, wenn der Bundeshaushalt verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde. Das bedeutet für viele im Kulturbereich, so auch in der Musik, wahrscheinlich eine monatelange Hängepartie, in der nicht klar ist, welche Projekte überhaupt genehmigt werden und wie die finanzielle Ausstattung sein wird. Ob einige der neuen Vorhaben aus dieser Wahlperiode, wie der erwähnte Preis für Schallplattengeschäfte fortgeführt werden, ist ungewiss. Die Planungssicherheit ist Null. Das ist besonders bitter, weil so langsam nach dem Auslaufen der Coronahilfen und der einmaligen Aufstockung der Bundeskulturfonds in diesem Jahr Normalität einkehren sollte. Normalität setzt aber Planungssicherheit voraus. Da auch in den Ländern teilweise der Rotstift drastisch angesetzt wird, steht die Kulturfinanzierung wieder einmal auf sehr wackligen Füßen. Wer zum Beispiel die Situation in Berlin wahrnimmt, wo aktuell von einer Kürzung im Kultur­etats von 12 Prozent die Rede ist, muss zum Schluss kommen, dass die kulturelle Substanz extrem gefährdet ist. 

  • Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
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