Seit einigen Jahren beschäftigt sich Bernhard König künstlerisch und publizistisch, experimentierend und musizierend mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Musikkultur. Anfang Juni erscheint in einer Kooperation der Verlage oekom und ConBrio sein Buch „Musik und Klima“. Juan Martin Koch hat den Autor dazu befragt.
Kulturelle Transformation ist machbar
nmz: Welche Folgen kommen damit auch hier auf das Musikleben zu?
König: Ich bleibe mal beim Thema Hitze: 2019 wurden in Kanada, den USA und Frankreich mehrere große Open-Air-Festivals abgesagt, weil das Gesundheitsrisiko für Publikum und Musiker*innen zu groß gewesen wäre. Früher oder später wird auch die Frage aufkommen, ob es eigentlich noch zu rechtfertigen ist, dass ein großer klimatisierter Raum zum Proben genutzt wird, während draußen die Menschen unter unerträglicher Hitze ächzen. Und wenn Millionen von Menschen ihre Heimatregionen verlassen müssten, weil es dort zu heiß ist, dann hätte dies erst recht gravierende Auswirkungen auf die Kultur. Es ist deshalb in meinen Augen überhaupt keine Frage, ob der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten zu einem beherrschenden Einflussfaktor unserer Musikkultur wird – das wird unweigerlich so kommen, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist vielmehr, ob wir stumm dabei zuschauen, uns an den Ist-Zustand klammern und von diesen Veränderungen überrollen lassen oder ob wir den äußeren Veränderungsdruck als eine Chance begreifen, unser Musikleben aktiv und auf allen Ebenen umzugestalten.
nmz: Können Sie Beispiele nennen, wie dieser Paradigmenwechsel aussehen könnte?
König: Klar, sonst hätte ich ja dieses Buch nicht geschrieben. Aber ich will nicht zu viel spoilern. Deshalb hier nur so viel: Musik war den Menschen zu allen Zeiten wertvoll – sei es als Gotteslob, als Kommunikationsmedium oder als autonome Kunst. Ich bin überzeugt davon, dass sie auch in Zukunft wertvoll bleiben wird. Aber möglicherweise werden sich hier und da die Qualitätsmaßstäbe verändern. Unsere derzeitige Musikkultur ist weder klimaneutral noch sonderlich resilient. Aber die Musik als solche ist es. Sie lebendig zu halten, weiterzuentwickeln, sich von ihr berühren zu lassen – dies alles lässt sich problemlos mit einer umweltschonenden und zukunftsfähigen Lebensweise vereinbaren.
nmz: Eine weitere These Ihres Buches lautet, dass absichtsvolle kulturelle Transformation machbar ist und Musik darin eine wichtige und aktive Rolle spielen kann. Das hört sich vergleichsweise optimistisch an. Was stimmt Sie hoffnungsvoll?
König: Die letzten 2.000 Jahre Musikgeschichte. Sie sind voller Beispiele für diese transformative Macht der Musik. Zwei dieser Beispiele finde ich besonders spannend: Warum eigentlich haben die Menschen im 18. Jahrhundert – zeitgleich zur Industrialisierung – plötzlich begonnen, sich schweigend nebeneinander auf Stühle zu setzen, um gemeinsam Musik zu hören? Und was bedeutet es, wenn sich heute immer mehr Menschen einen Kopfhörer aufsetzen, sobald sie durch den Wald joggen oder in der U-Bahn sitzen?
In beiden Fällen handelt es sich um menschengemachte musikalische Rituale, die mit einer kollektiven Haltungsveränderung verbunden sind. Beide Rituale hatten und haben tiefgreifende Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Miteinander, aber auch auf die Art und Weise, wie wir die Natur oder unseren eigenen Körper wahrnehmen.
nmz: Es geht Ihnen also nicht darum, mit einzelnen Songs oder Musikstücken „die Welt verändern“ zu wollen.
König: Nein, das wäre ziemlich albern und vermessen. Aber ich bin überzeugt davon, dass Musik den Menschen schon immer dabei geholfen hat, ihre Welt und das eigene Zusammenleben umzugestalten, gemeinsam neue Haltungen zu erlernen und kollektiv über sich hinauszuwachsen. Es liegt in unseren Händen, ob wir diese wertvolle und großartige Eigenschaft nutzen, um diesen Planeten mit vereinten Kräften immer hässlicher oder ein klein bisschen schöner zu machen.
Bernhard König: Musik und Klima. Erscheinungsjahr 2024. 518 Seiten, Paperback. CB 1304, ISBN: 978-3-949425-04-2. € 36,00
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