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Bernhard König. Foto: oekom Verlag

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Kulturelle Transformation ist machbar

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Bernhard König im Gespräch über sein neues Buch „Musik und Klima“
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Seit einigen Jahren beschäftigt sich Bernhard König künstlerisch und publizistisch, experimentierend und musizierend mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Musikkultur. Anfang Juni erscheint in einer Kooperation der Verlage oekom und ConBrio sein Buch „Musik und Klima“. Juan Martin Koch hat den Autor dazu befragt.

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neue musikzeitung: Im September 2019 erschien in der nmz Ihr Artikel „Monteverdi und der Klimawandel“. Danach haben Sie das Thema unter anderem in von Ihnen angestoßenen Zukunftswerkstätten weiterverfolgt. Was hat sich in diesen viereinhalb Jahren getan? Welche Veränderungen im Bewusstsein, in der Musikpraxis können Sie beobachten?

Bernhard König: Gesamtgesellschaftlich und politisch hat es der Klimaschutz im Moment viel schwerer als 2019. Aber wenn ich auf die Themen und Teilnehmenden unserer Werkstätten schaue, dann erkenne ich dort eine Veränderung im Denken, die ich als positiv empfinde und die sich ungefähr folgendermaßen zusammenfassen lässt: Wir Musiker*innen, wir Kulturschaffende können etwas, das Politik und Wirtschaft nicht können. Und genau damit sollten wir uns aktiv einbringen. Zwar wissen wir vielleicht im Moment noch nicht so richtig, wie das geht, aber wir wollen uns zumindest gemeinsam auf die Suche machen! Anfang 2020, in unseren ersten Zukunftswerkstätten, konnte ich diese Art von Aufbruchsstimmung noch nicht so ausgeprägt wahrnehmen. Da stand für viele, mich selbst eingeschlossen, noch sehr stark die Frage nach der individuellen oder institutionellen Schadensbegrenzung im Zentrum. Heute will in solchen Zukunftswerkstätten niemand mehr über Wärmedämmung und Veggie-Catering sprechen – das wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Stattdessen wird mit Feuereifer über die Frage diskutiert: Wie können wir den Wandel mitgestalten? Wie kann unser ganz eigener positiver Beitrag als Musikerinnen und Musiker aussehen?

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Bernhard König: Musik und Klima. München/Regensburg (oekom/ConBrio) 2024, 520 Seiten, € 36,00, ISBN 978-3-949425-04-2

Bernhard König: Musik und Klima. München/Regensburg (oekom/ConBrio) 2024, 520 Seiten, € 36,00, ISBN 978-3-949425-04-2

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nmz: Was sich an einigen Konzert- und Opernhäusern schon getan hat, reicht also eher nicht aus?

König: Viele große Musikinstitutionen haben in den letzten Jahren eine Klimabilanz gemacht, ein Energiekonzept erstellt oder sogar eine neue Planstelle für die innerbetriebliche Nachhaltigkeit geschaffen. Das ist unbestreitbar ein ganz wichtiger erster Schritt. Wenn man in der Öffentlichkeit steht und in Sachen Klima etwas bewegen will, dann muss man bei sich selbst anfangen – schon allein um der eigenen Glaubwürdigkeit willen. Und selbstverständlich brauchen wir überall Fahrradständer vor dem Haus und Solarzellen auf dem Dach. Aber dies alles hat wenig mit Musik zu tun und betrifft ein Konzerthaus oder eine Musikhochschule nicht mehr als ein Finanzamt oder eine Fußballarena. Als Musiker oder Musikerin will ich doch etwas anderes: die Menschen erreichen, ein Stück Gegenwart gestalten oder einen Schatz aus der Vergangenheit zum Klingen bringen. Wenn ich dann immerzu zu hören bekomme, dass Musik in erster Linie ein Teil des Problems sei, kann das auf Dauer ganz schön abtörnend sein. Und gleichzeitig ist dieser verengte und einseitige Blick – nach dem Motto „wir machen einfach so weiter wie bisher, aber mit etwas weniger betriebsbedingtem CO2-Ausstoß“ – eine Verharmlosung dessen, worum es eigentlich geht.

nmz: „Die Klimakrise konfrontiert uns Musikliebende mit einer neuen Dimension von kultureller Verantwortung. Sie gehört ins Zentrum des musikalischen Wahrnehmens und Gestaltens.“ So lautet eine der Hauptthesen Ihres Anfang Juni erscheinenden Buches „Musik und Klima“. Das klingt ästhetisch wie institutionell betrachtet ziemlich radikal…

König: Nicht diese Aussage ist radikal, sondern die Folgen des Klimawandels sind es. Sie katapultieren uns alle in völlig veränderte Umgebungen und Lebensbedingungen. Hildegard von Bingen und John Cage hatten eine Gemeinsamkeit: Sie lebten in einer erdgeschichtlichen Epoche namens „Holozän“, die sich durch stabile und langfristig planbare klimatische Bedingungen auszeichnete und einen ungeheuren Reichtum an Kultur hervorgebracht hat. Dieses Zeitfenster, dem wir den größten Teil unserer musikalischen Errungenschaften verdanken, schließt sich nun allmählich. Natürlich ist ein Musikleben auch unter völlig anderen klimatischen Bedingungen denkbar und möglich. Auch in der Sahara oder am Polarkreis gibt es Musik. Aber die dortigen Musikkulturen hatten Hunderte von Jahren Zeit, sich an die Umgebung anzupassen. Für unsere europäischen Musikkulturen spielten solche extremen Temperaturen bisher keine Rolle. Aber das ändert sich gerade und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Veränderungen sehr drastisch sein werden, wächst von Jahr zu Jahr. Ein Drittel der heutigen Weltbevölkerung lebt in Regionen, in denen es bereits in fünfzig Jahren so heiß sein könnte wie jetzt in der Sahara. Und Europa ist im Moment der Kontinent, der sich weltweit am stärksten aufheizt – vor allem in den Großstädten.

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Reihe 9 (#80) – 17°

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Auch im Musikbetrieb machen sich die Folgen des Klimawandels bemerkbar, freilich kaum einmal durch plakative Protestaktionen – diese müssten ohnehin eher die kleine Gruppe der weltreisenden Stars treffen als das mit dem...

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nmz: Welche Folgen kommen damit auch hier auf das Musikleben zu?

König: Ich bleibe mal beim Thema Hitze: 2019 wurden in Kanada, den USA und Frankreich mehrere große Open-Air-Festivals abgesagt, weil das Gesundheitsrisiko für Publikum und Musiker*innen zu groß gewesen wäre. Früher oder später wird auch die Frage aufkommen, ob es eigentlich noch zu rechtfertigen ist, dass ein gro­ßer klimatisierter Raum zum Proben genutzt wird, während draußen die Menschen unter unerträglicher Hitze ächzen. Und wenn Millionen von Menschen ihre Heimatregionen verlassen müssten, weil es dort zu heiß ist, dann hätte dies erst recht gravierende Auswirkungen auf die Kultur. Es ist deshalb in meinen Augen überhaupt keine Frage, ob der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten zu einem beherrschenden Einflussfaktor unserer Musikkultur wird – das wird unweigerlich so kommen, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist vielmehr, ob wir stumm dabei zuschauen, uns an den Ist-Zustand klammern und von diesen Veränderungen überrollen lassen oder ob wir den äußeren Veränderungsdruck als eine Chance begreifen, unser Musikleben aktiv und auf allen Ebenen umzugestalten.

nmz: Können Sie Beispiele nennen, wie dieser Paradigmenwechsel aussehen könnte?

König: Klar, sonst hätte ich ja dieses Buch nicht geschrieben. Aber ich will nicht zu viel spoilern. Deshalb hier nur so viel: Musik war den Menschen zu allen Zeiten wertvoll – sei es als Gotteslob, als Kommunikationsmedium oder als autonome Kunst. Ich bin überzeugt davon, dass sie auch in Zukunft wertvoll bleiben wird. Aber möglicherweise werden sich hier und da die Qualitätsmaßstäbe verändern. Unsere derzeitige Musikkultur ist weder klimaneutral noch sonderlich resilient. Aber die Musik als solche ist es. Sie lebendig zu halten, weiterzuentwickeln, sich von ihr berühren zu lassen – dies alles lässt sich problemlos mit einer umweltschonenden und zukunftsfähigen Lebensweise vereinbaren.

nmz: Eine weitere These Ihres Buches lautet, dass absichtsvolle kulturelle Transformation machbar ist und Musik darin eine wichtige und aktive Rolle spielen kann. Das hört sich vergleichsweise optimistisch an. Was stimmt Sie hoffnungsvoll?

König: Die letzten 2.000 Jahre Musikgeschichte. Sie sind voller Beispiele für diese transformative Macht der Musik. Zwei dieser Beispiele finde ich besonders spannend: Warum ­eigentlich haben die Menschen im 18. Jahrhundert – zeitgleich zur Industrialisierung – plötzlich begonnen, sich schweigend nebeneinander auf Stühle zu setzen, um gemeinsam Musik zu hören? Und was bedeutet es, wenn sich heute immer mehr Menschen einen Kopfhörer aufsetzen, sobald sie durch den Wald joggen oder in der U-Bahn sitzen? 

In beiden Fällen handelt es sich um menschengemachte musikalische Rituale, die mit einer kollektiven Haltungsveränderung verbunden sind. Beide Rituale hatten und haben tiefgreifende Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Miteinander, aber auch auf die Art und Weise, wie wir die Natur oder unseren eigenen Körper wahrnehmen.

nmz: Es geht Ihnen also nicht darum, mit einzelnen Songs oder Musikstücken „die Welt verändern“ zu wollen.

König: Nein, das wäre ziemlich albern und vermessen. Aber ich bin überzeugt davon, dass Musik den Menschen schon immer dabei geholfen hat, ihre Welt und das eigene Zusammenleben umzugestalten, gemeinsam neue Haltungen zu erlernen und kollektiv über sich hinauszuwachsen. Es liegt in unseren Händen, ob wir diese wertvolle und großartige Eigenschaft nutzen, um diesen Planeten mit vereinten Kräften immer hässlicher oder ein klein bisschen schöner zu machen.

Text

Bernhard König: Musik und Klima. Erscheinungsjahr 2024. 518 Seiten, Paperback. CB 1304, ISBN: 978-3-949425-04-2. € 36,00

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