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Kulturinfarkt ganz anders

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Wie überall auch Streichkonzert in der Musikstadt Köln
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Der Entwurf zum Haushalt der Stadt Köln 2025/26 im Bereich freier professioneller Musikschaffender liest sich wie die Amputation eines schlagenden Herzens. Zur Beratung liegt dem Rat der Stadt ein Doppelhaushalt vor, der die städtische Förderung vieler Akteure auf Null setzt. Die Bezuschussung freier Träger im Bereich Musik belief sich 2024 auf 4,4 Millionen Euro. Für die kommenden Jahre soll dieser Betrag auf 3,2 Millionen Euro sinken. Das entspricht einer Kürzung von 27 Prozent und würde das Aus für etliche Festivals, Ensembles, Veranstalter und Vereine bedeuten. Weil das wichtige Pulsadern der Kölner Musikszene trifft, führt dieser Kahlschlag zum Infarkt der Musikstadt Köln.

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Komplett gestrichen werden sollen die hunderttausend Euro für das auf historische Aufführungspraxis spezialisierte und international renommierte Barockensemble Concerto Köln. Gänzlich wegfallen soll auch der mit 13.700 Euro nur geringe Betriebskostenzuschuss für die Kölner Gesellschaft für Neue Musik, immerhin eine der ältesten Initiativen neuer Musik in Deutschland, 1921 noch vor der IGNM initiiert und seit 1983 in dritter Gründung aktiv mit Konzerten, Diskussionsrunden und der regelmäßigen Veröffentlichung von Terminen neuer Musik in Köln und der Region. Das Netzwerk Neue Musik ON soll weniger Geld erhalten, zugleich aber den Prozess zum Wiederaufbau des Studios für Elektronische Musik des WDR maßgeblich vorantreiben. Für dieses Mehr an Aufgaben braucht es dringend zusätzliche Mittel für Archivierung, Künstlerische Exploration, Standortsuche, Raumplanung und personelle Arbeitsstrukturen, die all das effektiv leisten können.

Der Gesamthaushalt Kölns beläuft sich auf rund 6 Milliarden Euro. Für 2025/26 rechnet man mit einem jährlichen Defizit von rund 400 Millionen. Stadtkämmerin Dörte Diemert plant daher die Erhöhung von Gebühren und Eintrittspreisen sowie Einsparungen durch Zurückstellen von Bauvorhaben und Streichungen. Letztere treffen gleich mehrere Musikfeste. Die Förderung des größten Kölner Festivals für neue Musik ACHT BRÜCKEN soll bis 2026 auslaufen. Shalom für jüdische und Oluzayo für afrikanische Musik werden schon 2025 auf Null gestellt. Auf der Abschussliste steht auch die 2022 als SPARKS gegründete und 2024 als ORBIT fortgesetzte Biennale für aktuelles Musiktheater. Gerade noch hat man die Kölner Avantgarde von Zimmermann, Stockhausen sowie Kagel und seiner Hochschulklasse mit Carola Bauckholt, María de Alvear und Manos Tsan-garis durch zeitgenössische szenische, performative und intermediale Arbeiten erfolgreich fortgeschrieben. Und nun soll dieser Aufbruch geknickt werden?

Im Musikreferat des Kulturamts der Stadt sollen die „Fördermittel musikalischer Veranstaltungen“ wegfallen und teilweise der „Projektförderung“ zugeschlagen werden. Effektiv bedeutet das 130.000 Euro weniger Mittel für die freie Musikszene. Der langjährige Musikreferent Hermann-Christoph Müller ging im September in Rente und da die Stelle noch nicht wieder besetzt ist, gibt es momentan niemanden in der Kulturverwaltung, der diesen Etat verteidigt. Das tut leider auch nicht der städtische Kulturdezernent Stefan Charles, dem Kontakt und Rückhalt zu Politik und Szene fehlen. In der Streitschrift „Der Kulturinfarkt: Von Allem zu viel und überall das Gleiche“ hatten 2012 drei Neoliberale gegen „Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention“ polemisiert. Was diese kulturkonservativen Publizisten damals ohne Auswertung von Spielplänen, Programmen, Ensembles, Regionalität und Diversität pauschal herbeischrieben, könnte nun konkret eintreffen. Doch freilich droht der Kultur kein Schlaganfall durch ein Zuviel an Durchblutung, sondern im Gegenteil durch Verstopfung, Ausblutung und ein Zuwenig an Sauerstoff und Geld. Die aktuellen Sparszenarien von Bund, Ländern und Kommunen bedrohen Musik und Kultur mit akutem Herz- und Hirnversagen, in Niedersachsen, Sachsen, Berlin, München und wie vielerorts auch in Köln.

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