Hauptbild

Titelseite der nmz 2023/24 - 12/01

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Rassismus fängt schon in der Übezelle an

Untertitel
Studie zur Diskriminierung Schwarzer Studierender an Musikhochschulen · Von Andreas Kolb
Vorspann / Teaser

Bis vor kurzem noch haben wir in der so­genannten „Aufmerksamkeits-Gesellschaft“ gelebt. Das Rad dreht sich weiter, und wir sind in der „Aufregungs-Gesellschaft“ angekommen. Schuld haben natürlich die Sozialen Medien. Aber nicht immer, wie eine Premiere an der Oper Frankfurt Anfang November zeigte. Für eine Intervention durch die Frankfurter Kulturpolitik waren weder protestierende Aktivist*innen noch ein Shitstorm nötig.

Autor
Publikationsdatum
Paragraphs
Text

An der Oper hatte in György Ligetis Weltuntergangsszenario „Le Grand Macabre“ ein Darsteller mit schwarz-goldener Gesichtsbemalung Empörung bei zwei Kommunalpolitikerinnen hervorgerufen. Regisseur Vasily Barkhatov wurde Blackfacing vorgeworfen, also das Auftreten einer weißen Person als schwarze Person. Nach Informationen der Frank­furter Allgemeinen Zeitung wand­te sich die schwarze Frankfurter Stadtverordnete und Vorsitzende des Kulturausschusses Mirriane Mahn (Die Grünen) mit der Forderung nach Änderung der Inszenierung an den Intendanten Bernd Loebe: durch derartige rassistische Narrative fühle sie sich verletzt.

Die Oper Frankfurt ordnete das Bühnenkostüm völlig anders ein: es werde kein Blackfacing betrieben. Vielmehr schlüpfe ein Sänger in das Kostüm des ägyptischen Gottes Anubis, einer antiken Gottheit mit ikonographisch festgelegter Darstellung in Form eines schwarzen Hunde- oder Schakalkopfs.

Die Gottheit habe mehrere Funktionen und spiele vor allem im Zusammenhang mit dem ägyptischen Totenkult eine wichtige Rolle: Sie begleite die Menschen ins Totenreich. Nicht umsonst wird Anubis die erste Mumifizierung zugeschrieben. Das seien die Gründe, warum diese Figur auf der Opernbühne zu sehen wäre, denn die Menschheit bereite sich in Ligetis „Le Grand Macabre“ auf den Weltuntergang vor. Es gehe hier also ausdrücklich nicht um eine weiße Person, die eine schwarze Person darstellt, sondern um das Abbild einer mythologischen Gottheit mit einem Tierkopf.

Artikel auswählen
Text

Das Bemühen, Rassismus in unserer Gesellschaft – gerade auch in Kunst und Kultur – beim Namen zu nennen, ist ehrenwert, wird jedoch durch Aktionismus wie in Frankfurt eher torpediert. Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass in Deutschland die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich virulentem Rassismus noch immer in ihren Anfängen steckt.

Das Wort „Blackfacing“ ist im deutschen Kulturkreis noch nicht sehr lange bekannt. Auf deutschen Bühnen wurde die Debatte über diese Form von kulturellem Rassismus 2012 durch ein Werbeplakat des Berliner Schloss­park-Theaters ausgelöst. Darauf war der weiße Schauspieler Joachim Bliese mit schwarz bemaltem Gesicht, Hals, schwarzen Händen und weit aufgerissenen Augen neben seinem Kollegen Dieter Hallervorden zu sehen. Die Leitung des Schlosspark-Theaters rechtfertigte sich damals mit dem Argument, man könne keine schwarzen Schauspielerinnen oder Schauspieler ins feste Ensemble aufnehmen, weil es für sie nicht genügend Rollen gebe. Weiße können demnach alles spielen – Schwarze aber nur Schwarze. Der Umkehrschluss wäre, schwarze Figuren nur noch mit Schauspielerinnen und Schauspielern schwarzer Hautfarbe zu besetzen.

Kunstfreiheit hin oder her: Ideal wäre, wenn in den Ensembles Ethnien, Migrationshintergründe, Hautfarben und Geschlechter so divers vertreten wären, dass das äußere Erscheinungsbild seine Zeichenhaftigkeit verliert. Doch es wird noch eine Weile dauern, bis eine Person of Colour den „Wotan“ spielen kann, ohne dass das Publikum darin eine Inszenierungsabsicht liest.

Text

Rassistische Denkmuster sind jedenfalls auch heute noch auf der Bühne und im täglichen Zusammenleben stark wirksam, auch im Hochschulalltag. Hier verdient eine von der Rosa Luxemburg Stiftung in Auftrag gegebene Studie Beachtung. Der Musik­ethnologe Nepomuk Riva hat sich darin mit Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen von Schwarzen Studierenden an deutschen Musikhochschulen befasst. Die nmz-Redaktion hat den Wissenschaftler, der an der Universität Würzburg lehrt, gebeten, seine Studie und ihre Ergebnisse unseren Leser*innen vorzustellen (siehe Hochschulmagazin „Schwarze Stimmen in einer weißen Musikwelt“).

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Bewältigungsstrategien der Betroffenen. Zudem weist der Autor darauf hin, dass es nur „weniger inhaltlicher und struktureller Maßnahmen und eines besseren Verständnisses der individuellen Lebenssituationen bedarf, um die Situation schwarzer Musikstudierender in Deutschland ein wenig gerechter und diskriminierungsfreier zu gestalten“. Ein Themenfeld, das Riva in seiner Studie auch anreißt, wäre es, sichtbarer zu machen, dass Rassismus bereits bei den Studieninhalten und Lehrplänen der Ausbildungsstätten beginnt. Das Paradox ist ja, dass viele ausländische Instrumentalist*innen gerade deshalb an deutsche Musikhochschulen kommen, weil sie dort einen traditionsverhafteten, europäisch geprägten Musikkanon suchen, den sie in ihren Herkunftsländern (noch) nicht authentisch erlernen zu können glauben. In den Kompositionsklassen setzt sich dieser Eurozentrismus fort. So wie es Jahrzehnte gedauert hat, die Beiträge von Frauen zur Musikkultur sichtbar zu machen, so müssen auch Werke von Komponisten und Komponistinnen anderer Musikkulturen stärker gehört und gelehrt werden. Eine stärkere internationale Ausrichtung der Inhalte schließt Sensibilisierung für Diskriminierung und Rassismus, aber auch für Inklusion und Diversität mit ein. Hier wäre weiter zu forschen. 

Artikel auswählen
Autor
Print-Rubriken
Unterrubrik