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„Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin, Copyright: Thomas Aurin

„Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin, Copyright: Thomas Aurin

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Die Wäscherin lässt sich scheiden – „Die Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Dass Kassiererinnen nicht in die Oper gehen, behauptete unlängst der Berliner „Regierende“ Kai Wegner, um Kürzungen im Kulturetat und damit verbundene Preiserhöhungen ebenso kurzgeschlossen wie breitbeinig zu rechtfertigen. Die der teuren Hochkultur nicht von vornherein zugetane taz ging daraufhin mal stracks in die Oper (Ausgabe v. 06.12.2024), traf dort auf ein erstaunlich vielfältiges Opernpublikum – Lehrkräfte und Pflegekräfte, Jurist*innen und Mediziner*innen natürlich, aber auch Militärangehörige, Studierende sowie, ja, Kassiererinnen ‑, und fragte sich, ob die Politik ihre Stadtgesellschaft überhaupt kenne. Nein, tut sie nicht. Sie kennt beinahe ausschließlich Ihresgleichen, der Rest ist in aller Regel Staffage für Parolen. Siehe oben. 

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Wohingegen einige Tausend aus der Berliner Stadtgesellschaft Richard Strauss’ inhaltlich überladenes und allein daher schwer realisierbares opus magnum „Frau ohne Schatten“ sehr wohl kennen, konnten sie es doch in den letzten Jahren in gleich vier Interpretationen erleben: konzertant von den Philharmonikern und dem Radio-Sinfonieorchester, szenisch märchenhaft in der Regie von Claus Guth an der Lindenoper zuletzt im November letzten Jahres und nun keine drei Monate später brandneu an der Deutschen Oper. So etwas bietet weltweit nur, um Ernst Reuter zu zitieren, „diese Stadt“, die wohl alles andere ist als (Parole!) „arm und sexy“. Dafür muss man aber richtig hinschauen und -hören.

Vom Kopf auf die Füße gestellt

Das tat Tobias Krazter bei seiner Regiearbeit sehr genau, und was dabei die Berliner Stadtgesellschaft an der Bismarckstraße vor allem zu sehen bekam…, nun, das war sie selbst. Schritt „Die Frau ohne Schatten“ unter den Linden mythisch psychologisierend gewissermaßen auf hohem Kothurn, so stellt sie Kratzer vom Kopf auf die Füße und zieht ihr zeitgemäßeres Schuhwerk über: Slipper, Sneaker und Crocks. Leute von heute, mal exquisit, mal ordinär beschuht, und das letzte, was solchen in ihrer aller Verwirrtheit, Verblendung und Verlorenheit nützt, ist die ganze Geisterwelt mit ihrem Oben-Unten, all das Zauberflöten- und Parsifalhosianna aus Hofmannsthals Libretto. Die Hoffnung, es gäbe so etwas wie ein künstlerisches Hebewerk zum Glück der Seelen funktioniert nicht auf Erden, wo es nichts Überirdisches und nur Arm und Reich gibt, von beiden allerdings sehr viel. Hier wie anderswo und überall.

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Radikaler Regie-Ansatz geht auf

Kratzer also vergegenwärtigt und vergegenständlicht radikal die Geschichte von Kaiserin und Kaiser, Färberin und Färber, dem Gebärgeheiß der einen und der Verweigerung der anderen, ohne Übermächte und ihre Agenten: Der Geisterbote ist ein Paketlieferant. Was somit übrig bleibt, das ist auf der einen Seite die Macht im Singular, das Vermögen, sich Begehrlichkeiten zu erfüllen, auf der anderen Seite die Ohnmacht, Wünsche überhaupt formulieren zu können. Die einen wohnen im „Haus am See“, sagen wir mal am Kleinen Wannsee, während die anderen neben ihrem Waschsalon etwa in Berlin-Buch hausen: Ein perfektes Set (Ausstattung: Rainer Sellmeier) für eine Leihmutterschaft, einen Deal, bei dem, wie beide später einsehen, Käuferin wie Verkäuferin sich selbst verkaufen. Dadurch aber, dass sie den Deal schließlich nicht eingehen, findet sich Jede*r halbwegs ramponiert wieder – das Paar im Südwesten sogar zueinander, während die Färbers-, pardon: Wäschersleute sich einvernehmlich scheiden lassen. In Strauss’ Stimme von oben gönnt Kratzer ihnen eine mitfühlende Paartherapeutin und Barak sogar, wenn zum Schluss dann die Stimmen der Ungeborenen sich auf eine bunte Kita mit lauter Geborenen senken, ein Kind aus einer wohl späteren Beziehung. Nur ein kleines Beispiel von vielen, wie kongenial der radikale Ansatz aufgeht.

Stets sensibel am Puls der Musik

Stets sensibel am Puls der Musik werden auch die etlichen Verwandlungsmusiken um-interpretieret und geerdet. Die Mondberge, erhabenen Landschaften und finsteren Tempel gerinnen so zu eindrücklichen Paysagen von Seelennot und Pein der Leute von heute. Spektakulär am Schluss: Wenn im Inneren von Keikobads, ihres stets unsichtbaren Vaters Tempelberg die Kaiserin der erkauften Mutterschaft endgültig entsagen, so aber ihren erstarrten Mann dennoch retten soll, da dreht Kratzers Konzept mächtig auf und geht voll aufs Risiko. Am Wannsee nämlich lässt er zur Bestärkung des erschlichenen Kindersegens eine schicke Baby-Party feiern, selbstverständlich mit Keikobad. Ein soignierter Pensionär nach einer höheren Laufbahn, der vom Flügel der dazugehörigen Bürgerlichkeit das passende Geschenk nimmt und es seiner Tochter überreicht: den Klavierauszug der „Frau ohne Schatten“. Als er sie daraus ihr Melodram vorzutragen anhält, weigert sie sich, sie trinkt auch nicht das „Wasser des Lebens“, und schmeißt den Klavierauszug vors Portal hin. Wo er allerdings nicht lange liegenbleibt, da aus ihm die beiden Paare ihr straussnotorisches Schlussquartett singen, heraustretend als Leute wie wir quasi. Ein umwerfender Theatercoup, zugleich eine berührende, kluge und humorvolle Kunstphantasie. 

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"Frau ohne Schatten" von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin, Copyright: Thomas Aurin

"Frau ohne Schatten" von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin, Copyright: Thomas Aurin

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Umwerfend gespielt und gesungen

Das alles und noch viel mehr bliebe freilich nur Konzept, den hohen Ton der Vorlage mit heutigen Lebensentwürfen zu kontern, würde nicht gleichermaßen umwerfend gespielt und gesungen werden und man von den horrenden Anforderungen an die gleich fünf Hauptrollen schlicht nichts merkte: beim erst spät in die Produktion eingestiegenen Kaiserpaar, Daniela Köhler und Clay Hilley mit innigem Strahl, ebenso wenig wie beim Färberpaar, der intensiven Catherine Foster und dem ebenso sanftmütigen wie herausfahrenden Jordan Shanahan. Marina Prudenskaya, längst schon eine Opernikone der Stadt, berührte als verschwörerische und zugleich verzweifelte Amme, und last but not least war David Guetti ein profunder Geisterbote. Ein Sängerfest also, wobei zumindest im ersten Akt man sich aus dem Graben mehr Linie und Schwung hätte wünschen können.

Bei dieser, seiner Abschiedspremiere nach sechzehn Jahren als Generalmusikdirektor ließ Donald Runnicles zunächst wenig schwingenden Atem zu, was in den folgenden Akten allerdings Luft nach oben ließ, die er dann ausgiebig nutzte – natürlich dank eines geradezu fabelhaft aufspielenden Orchesters der Deutschen Oper. Nahezu alles, was das sinfonische Herz seinerzeit begehrte, das hat Strauss in seine Riesenpartitur eingearbeitet, vielfach geteilte Streicher, zarte Violin- und Cellosoli, kammermusikalische Intimität, Blechpanzer und Fernorchester. Ein Orchesterfest also auch, und man gewahrte abermals mit Genugtuung, wie weit oben an der wahrlich nicht bescheidenen philharmonischen Skala der Stadt dieses eher bescheidene Kollektiv spielt. Heftige Beifallsstürme für alle, und dann noch irgendwelche Buhs von rechts hinten.

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Strauss-Trilogie vom Verfall der bürgerlichen Welt

Tobias Kratzer hat an der Deutschen Oper mit „Arabella“, „Intermezzo“ und der „Frau ohne Schatten“ eine exquisite Strauss-Trilogie vom Verfall der bürgerlichen Welt, wie wir sie kennen, erarbeitet, mit eindrucksvollen Bildern, wie damit umzugehen sei. Er tritt demnächst als Intendant der Hamburgischen Staatsoper an und findet dort mitunter den engagierten Kultursenator vor, den er verdient. Den hiesigen indes hat man bei der aufwändigsten Neuproduktion dieser Spielzeit am größten Opernhaus seiner Stadt nicht gesehen. No Show Joe, wie’s von Wannsee bis Buch bereits heißt.

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Bestens unterhalten – Tobias Kratzers Richard-Strauss-Trilogie an der Deutschen Oper Berlin mit „Intermezzo“ fortgesetzt

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Auf die Idee, die Richard-Strauss-Opern „Arabella“, „Intermezzo“ und „Frau ohne Schatten“ zu einer Trilogie aus einer Regiehand zusammenzufügen, muss man auch erst mal kommen. Dietmar Schwarz hatte die Idee. Und Tobias...

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