Dass Kassiererinnen nicht in die Oper gehen, behauptete unlängst der Berliner „Regierende“ Kai Wegner, um Kürzungen im Kulturetat und damit verbundene Preiserhöhungen ebenso kurzgeschlossen wie breitbeinig zu rechtfertigen. Die der teuren Hochkultur nicht von vornherein zugetane taz ging daraufhin mal stracks in die Oper (Ausgabe v. 06.12.2024), traf dort auf ein erstaunlich vielfältiges Opernpublikum – Lehrkräfte und Pflegekräfte, Jurist*innen und Mediziner*innen natürlich, aber auch Militärangehörige, Studierende sowie, ja, Kassiererinnen ‑, und fragte sich, ob die Politik ihre Stadtgesellschaft überhaupt kenne. Nein, tut sie nicht. Sie kennt beinahe ausschließlich Ihresgleichen, der Rest ist in aller Regel Staffage für Parolen. Siehe oben.
Die Wäscherin lässt sich scheiden – „Die Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin
Radikaler Regie-Ansatz geht auf
Kratzer also vergegenwärtigt und vergegenständlicht radikal die Geschichte von Kaiserin und Kaiser, Färberin und Färber, dem Gebärgeheiß der einen und der Verweigerung der anderen, ohne Übermächte und ihre Agenten: Der Geisterbote ist ein Paketlieferant. Was somit übrig bleibt, das ist auf der einen Seite die Macht im Singular, das Vermögen, sich Begehrlichkeiten zu erfüllen, auf der anderen Seite die Ohnmacht, Wünsche überhaupt formulieren zu können. Die einen wohnen im „Haus am See“, sagen wir mal am Kleinen Wannsee, während die anderen neben ihrem Waschsalon etwa in Berlin-Buch hausen: Ein perfektes Set (Ausstattung: Rainer Sellmeier) für eine Leihmutterschaft, einen Deal, bei dem, wie beide später einsehen, Käuferin wie Verkäuferin sich selbst verkaufen. Dadurch aber, dass sie den Deal schließlich nicht eingehen, findet sich Jede*r halbwegs ramponiert wieder – das Paar im Südwesten sogar zueinander, während die Färbers-, pardon: Wäschersleute sich einvernehmlich scheiden lassen. In Strauss’ Stimme von oben gönnt Kratzer ihnen eine mitfühlende Paartherapeutin und Barak sogar, wenn zum Schluss dann die Stimmen der Ungeborenen sich auf eine bunte Kita mit lauter Geborenen senken, ein Kind aus einer wohl späteren Beziehung. Nur ein kleines Beispiel von vielen, wie kongenial der radikale Ansatz aufgeht.
Stets sensibel am Puls der Musik
Stets sensibel am Puls der Musik werden auch die etlichen Verwandlungsmusiken um-interpretieret und geerdet. Die Mondberge, erhabenen Landschaften und finsteren Tempel gerinnen so zu eindrücklichen Paysagen von Seelennot und Pein der Leute von heute. Spektakulär am Schluss: Wenn im Inneren von Keikobads, ihres stets unsichtbaren Vaters Tempelberg die Kaiserin der erkauften Mutterschaft endgültig entsagen, so aber ihren erstarrten Mann dennoch retten soll, da dreht Kratzers Konzept mächtig auf und geht voll aufs Risiko. Am Wannsee nämlich lässt er zur Bestärkung des erschlichenen Kindersegens eine schicke Baby-Party feiern, selbstverständlich mit Keikobad. Ein soignierter Pensionär nach einer höheren Laufbahn, der vom Flügel der dazugehörigen Bürgerlichkeit das passende Geschenk nimmt und es seiner Tochter überreicht: den Klavierauszug der „Frau ohne Schatten“. Als er sie daraus ihr Melodram vorzutragen anhält, weigert sie sich, sie trinkt auch nicht das „Wasser des Lebens“, und schmeißt den Klavierauszug vors Portal hin. Wo er allerdings nicht lange liegenbleibt, da aus ihm die beiden Paare ihr straussnotorisches Schlussquartett singen, heraustretend als Leute wie wir quasi. Ein umwerfender Theatercoup, zugleich eine berührende, kluge und humorvolle Kunstphantasie.
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